Karlsruhe genehmigt Deals:Der alte Strafprozess ist tot

Die Zukunft des Strafverfahrens ist keine gute. Das grundsätzliche "Ja" des Bundesverfassungsgerichts zur Dealerei in Strafprozessen wird zu einer Art Ablasshandel: (Teil-)Geständnis gegen milde Strafe. Dabei wird nicht mehr unbedingt die Wahrheit gesucht. Sondern gefeilscht, gekungelt und gepokert - vor der Verhandlung.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Der alte Strafprozess ist tot, es lebe das postmoderne Strafverfahren. Das wurde soeben vom Bundesverfassungsgericht, wenn auch mit allerhand warnenden Hinweisen, genehmigt.

Es wird in diesem neuen Strafverfahren nicht mehr unbedingt die Wahrheit gesucht. Stattdessen wird gefeilscht, gekungelt, gepokert und gezahlt. Geständnis und Deal werden außerhalb des Gerichtssaals, oft am Telefon, von Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagtem ausgetüftelt, die Strafe wird nicht nach der festgestellten, sondern nach der so ausgehandelten Schuld bemessen.

In der öffentlichen Verhandlung wird dann die ganze schon ausgehandelte Sache nur noch vorgetragen und protokolliert.

Hauptsache, es geht schnell

Aus dem Strafgesetzbuch wird so ein Handelsgesetzbuch, aus der Strafkammer eine Handelskammer, der Strafrichter wird zum Handelsrichter. Das ist die Zukunft des Strafverfahrens - und es ist keine gute. Und sie hat schon begonnen: Jedes fünfte Strafverfahren, so die Schätzungen, ist ein gedealtes Verfahren. Große Wirtschaftsstrafsachen werden gedealt und kleine Verkehrssachen auch. Hauptsache, die Sache geht schnell.

Nach dem grundsätzlichen "Ja" des Bundesverfassungsgerichts wird sich die Dealerei ausweiten. Die dringende Mahnung der Richter, strikte Regeln einzuhalten, ist gut gemeint, wird aber daran nichts ändern.

Der neue Strafprozess ist ein klassischer Tauschhandel, eine Art Ablasshandel: (Teil-)Geständnis gegen milde Strafe. Die Bundesverfassungsrichter heben zwar warnend den Finger: Sie mahnen eindringlich, die Dealerei nicht zu übertreiben. Das hat, lange vor dem Bundesverfassungsgericht, der Bundesgerichtshof schon zweimal getan. Und auch im Gesetz, in der Strafprozessordnung, stehen seit 2009 klare Regeln für den Deal.

Epochale Umwälzung des Rechtssystems

Viele Richter aber kungeln unter dem Druck immer komplexerer Verfahren an diesen Regeln vorbei. Wie kann man das verhindern? Entweder durch ein klares Verbot des Deals oder durch mehr Strafrichter und eine weniger strafversessene Rechtsordnung.

Die Verfassungsrichter versuchen es anders, sie drohen mit der Revision: Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten soll regelmäßig zur Aufhebung des Urteils führen. Das setzt freilich voraus, dass ein Prozessbeteiligter den Verstoß rügt und Revision einlegt. Und, noch ein Karlsruher Versuch der eindringlichen Mahnung: Wenn die Dealerei nicht ordentlich protokolliert wird, steht künftig der strafrechtliche Vorwurf der Falschbeurkundung im Raum! Ob's hilft?

Der Deal ist am geltenden Recht vorbei vor etwa 30 Jahren in der Praxis entwickelt worden; dann wurde er legalisiert und ausgeweitet. Jetzt wurde er mit den höchstrichterlichen Weihen und Mahnungen versehen. Es ist dies eine epochale Umwälzung des Rechtssystems: Die (mit einer Belohnung versehene) Zustimmung des Angeklagten zum Urteil erhält nun im postmodernen Strafprozess eine Bedeutung, wie sie einst im Inquisitionsprozess das (notfalls erzwungene) Geständnis hatte.

Der bisherige Strafprozess, in dessen Mittelpunkt die Aufklärung der Tat stand, verliert an Bedeutung. Und der Glaube an das Recht verliert seine Kraft.

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