Karlspreis:Merkel schwärmt, Macrons Augen glänzen

Frankreichs Präsident erhält den Internationalen Karlspreis. Die Bundeskanzlerin wird in ihrer Laudatio ungewöhnlich emotional und erinnert an den Zauber in der persönlichen Zusammenarbeit.

Von Jana Anzlinger

Normalerweise ist es in letzter Zeit eher umgekehrt - aber heute ist die Bundeskanzlerin dem französischen Präsidenten einen Schritt voraus. Die Ehrengäste spazieren in einem Pulk durch die Aachener Innenstadt. Ganz vorne winkt Angela Merkel in die Kameras. Direkt hinter ihr geht Emmanuel Macron, der mit seiner Frau Händchen hält und den freien Arm grüßend über dem Kopf schwenkt. Beide lächeln und versuchen, sich nicht von den Demonstranten beirren zu lassen. Mit blauen Luftballons und lauten Pfiffen protestieren sie gegen ein belgisches Atomkraftwerk nahe Aachen.

Als die Ehrengäste den historischen Krönungssaal des Aachener Rathauses betreten, schreitet Macron wieder voran. Schließlich soll es heute um ihn gehen. Macron erhält den Internationalen Karlspreis zu Aachen. Der Preis ist zwar undotiert, aber er gilt als wichtigste Auszeichnung für Verdienste um die europäische Einigung. Die Veranstalter begründen die Auswahl Macrons mit dessen "Vision von einem neuen Europa und der Neugründung des europäischen Projekts". Macron ist der dritte französische Präsident, der den Preis erhält.

Macron wird für die weitreichenden Reformideen belohnt, die er in leidenschaftlichen Reden etwa an der Universität Sorbonne oder vor dem EU-Parlament vertreten hat. In ihrer Rede lobt Merkel seine wichtigsten Pläne: Einer seiner Vorschläge sieht einen europäischen Finanzminister und einen gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone vor. Der Plan ist tiefgreifend und besonders umstritten. "Ja, es sind schwierige Probleme", sagt Merkel. Die sogenannten Europäischen Universitäten, die Macrons Idee gewesen waren, "brauchen wir auch dringend". Asylpolitik sei auch Entwicklungshilfepolitik und das habe Macron erkannt. Eine Idee zur Flüchtlingspolitik hat Macron inzwischen von der Bundesregierung übernommen: Aufnahmekommunen sollen finanziell von der EU unterstützt werden. Die Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werde "last but not least" auch weiterentwickelt, sagt Merkel.

Einige Reformen der Euro-Zone hat Macron mit der Bundeskanzlerin erarbeitet. Doch in Berlin stoßen die Vorschläge auf Skepsis, vor allem bei Politikern von CDU und CSU. In letzter Zeit hatte sich das proeuropäische Traumpaar deshalb ein wenig entfremdet. Bei einem gemeinsamen Auftritt vor drei Wochen drückten sich beide bewusst diplomatisch aus und versprachen einen Kompromissvorschlag bis Mitte des Jahres, obwohl die Kanzlerin betonte, dass man sich "gegenseitig befruchtet" habe.

Die Formulierung wiederholt sie nun, als es um die Kulturen Europas geht. Im Hintergrund sind die Sprechchöre der Demonstranten zu hören. Macron blättert und kritzelt während der Rede der Kanzlerin noch an seinem eigenen Vortrag für gleich herum. Und Merkel spannt einen großen Bogen vom Namensgeber des Preises Karl dem Großen über die Bücherverbrennung im Nationalsozialismus und Gefallene in französischen Schützengräben hin zur Wahl Macrons - dem Moment, in dem "ein junger, dynamischer Politiker die europäische Bühne" betreten habe. "Die Unterschiede trennen uns nicht, sondern führen uns immer wieder neu zusammen."

Dieses Zusammenfinden spielt sich vor einem dramatischen weltpolitischen Hintergrund ab, und so warnt Merkel angesichts der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten: "Die Eskalationen der vergangenen Stunden zeigen uns, dass es wahrlich um Krieg und Frieden geht."

Die Kanzlerin hat den Karlspreis 2008 erhalten. Damals hatte sie betont, er stelle für sie "keine Lorbeeren dar, auf denen ich mich etwa ausruhen könnte". Sie kämpfe dafür, das "Haus Europa wohnlich, sturmfest und gastfreundlich zu machen". Und sie versprach: "Wir wollen die Lähmung der Europäischen Union vor den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 beenden." Im kommenden Jahr sind wieder Europawahlen. Macron wirbt er für eine Reform des Wahlsystems bei der Europawahl, für die er gemeinsame Wahllisten und Spitzenkandidaten befürwortet. Das ist einer der Vorschläge, die ihn Berlin weniger Aufregung auslösen.

Dann spricht Merkel vom "Zauber Europas, wie ich ihn, wenn ich das sagen darf, gerade in der persönlichen Zusammenarbeit im vergangenen Jahr gemeinsam mit dir erlebt habe, Emmanuel Macron". Da glänzen die Augen des Preisträgers, was aber auch an der Beleuchtung im Krönungssaal liegen könnte.

Der Präsident wirkt immer noch gerührt, als er die Urkunde und eine goldene Medaille entgegennimmt. Bei seiner Rede trägt er sie um den Hals. Sein Vortrag ist gewohnt leidenschaftlich, aber stellenweise auch nachdenklich.

Auch Macron erinnert an historische Begebenheiten: Er zieht eine Parallele zwischen Deutschlands Wiedervereinigung und der Europäischen Integration. Dass er gewählt wurde, verstehe er als Auftrag für Reformen.

Er wiederholt an die "liebe Angela und die lieben Preisträger" gerichtet noch einmal seine Forderungen. Ganz deutlich buchstabiert er unter anderem aus: "Wir brauchen eine stärker integrierte Eurozone und einen gemeinsamen Haushalt."

Eine Bitte an Deutschland hat er noch: Geldsparen als deutschen "Fetischismus" doch bitte abzustellen - zumindest dann, wenn es um EU-Gelder geht.

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