Süddeutsche Zeitung

Batterieforschung:Chronologie der Batterieaffäre

Es geht um eine halbe Milliarde Euro und den Wahlkreis der Forschungsministerin: Wie die Standortsuche für das neue Batterieforschungszentrum einen negativen Beigeschmack bekam.

Von Paul Munzinger

Am 28. Juni 2019 verkündet Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) eine Entscheidung, die unter normalen Umständen kaum Stoff für Schlagzeilen wäre: Münster erhält den Zuschlag für eine neue Batterieforschungsfabrik. Doch die Umstände sind nicht normal: Karliczeks Wahlkreis liegt in Westfalen, ihre Heimatstadt Ibbenbüren ist an der Bewerbung beteiligt. Seither muss die Ministerin sich rechtfertigen. Die Opposition stellt parlamentarische Anfragen und zitiert Karliczek im Juli vor den Forschungsausschuss des Bundestags. Im September stellt das BMBF dem Ausschuss die Verfahrensunterlagen zur Verfügung - eine Flucht nach vorn, doch der Schuss geht nach hinten los: Die Dokumente vervollständigen das Bild eines verfahrenen Verfahrens.

15. Dezember 2018: Das BMBF beschließt, die Förderung der Batterieforschung auszubauen. Batterien seien eine "Schlüsseltechnologie" etwa für die Elektromobilität, doch Deutschland habe den Anschluss verloren. Um das zu ändern, soll unter anderem eine "Forschungsfabrik Batterie" entstehen, betrieben von der Fraunhofer-Gesellschaft. Investitionsvolumen: 500 Millionen Euro. Den Standort soll ein Wettbewerb ermitteln.

22./23. Januar 2019: Karliczek stellt das Konzept auf dem Batterieforum Deutschland vor. Am Rande des Branchentreffens wird die Zusammensetzung der sogenannten Gründungskommission vereinbart. Ihr Auftrag: die Perspektive der Industrie ins Verfahren einbringen und einen Standort empfehlen. Der Kommission gehören acht Unternehmensvertreter "entlang der Wertschöpfungskette Batterie" an, unter anderem von BASF, Thyssenkrupp und BMW. Dazu kommen Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums und von Fraunhofer. Den Vorsitz übernimmt Herbert Zeisel, Vizeabteilungsleiter im BMBF.

18. März 2019: Fraunhofer fordert acht Städte auf, sich zu bewerben: Aachen, Braunschweig, Dresden, Itzehoe, Karlsruhe, München, Münster und Ulm. Übermittelt werden vier Auswahlkriterien: Kompetenz, Industrie, Finanzierung, Zeit. Vor allem den letzten Punkt wird das BMBF immer wieder betonen: Es ist Eile geboten.

22. Mai 2019: Die Abgabefrist endet, sechs Bewerbungen aus sechs Bundesländern sind eingegangen: Augsburg, Dresden, Itzehoe, Münster, Salzgitter, Ulm. Karliczek beschließt laut BMBF, keinen Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen - wegen der Bewerbung aus Münster, in die auch Ibbenbüren eingebunden ist. Dort sollen in einem stillgelegten Steinkohlebergwerk die Batteriezellen recycelt werden - denn verkaufen darf man sie nicht. Was wichtig werden wird: Mit Ausnahme von Münster sind an allen Bewerbungen Fraunhofer-Institute beteiligt. Fraunhofer ist also künftige Betreiberin der Fabrik, Mitglied der Gründungskommission - und Mitbewerberin.

24. Mai 2019: BMBF-Mann Zeisel schlägt vor, den Vorsitz der Gründungskommission an einen Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums abzugeben. Zwar fühle er sich "nicht befangen", doch sei es "in der Öffentlichkeit nicht kommunizierbar", sollte ein "von der Ministerin weisungsabhängiger Beamter eine positive Stellungnahme pro Konzept Münster (inkl. Ibbenbüren) aussprechen". "Sehr gute Idee", kommentiert Karliczek handschriftlich.

Am selben Tag geht beim BMBF eine "erste Einschätzung" des Standortkonzepts NRW ein, erstellt vom Projektträger Jülich, einer Art Dienstleister für das BMBF. Referatsleiter Peter Schroth habe darum gebeten. Aus Sicht der Opposition ist es einer von mehreren Belegen, dass Schroth die Bewerbung aus Münster bevorzugt. Erst fünf Tage später schickt Jülich einen Vergleich der Bewerbungen, mit Vor- und Nachteilen. Der einzige Bewerber, bei dem das Feld "Negatives" leer bleibt: Ulm.

29. Mai 2019: Fraunhofer schickt dem BMBF eine "Nutzwertanalyse" der Bewerbungen und erstellt eine Rangliste. Platz 1: Ulm, vor Salzgitter und Augsburg. Münster landet "im Mittelfeld". Referatsleiter Schroth vermerkt handschriftlich, es handle sich um einen "nicht abgestimmten ersten Entwurf, der wegen methodischer Unzulänglichkeiten nicht verwendet werden" könne. Am 3. Juni schickt Fraunhofer eine neue Version, ohne Ranking, dafür werden Aspekte wie "das Konzept für Ibbenbüren" stärker gewichtet. Es ergibt sich eine "neue Dreiergruppe" an der Spitze: Münster, Salzgitter, Ulm. Pikant: Am 16. September wird das BMBF auf eine Grünen-Anfrage antworten, ihm sei "nicht bekannt, dass einzelne Mitglieder der Gründungskommission eine Bewertung der Standorte ... erstellt oder abgegeben haben".

18./19. Juni 2019: Fraunhofer besichtigt die möglichen Grundstücke für die Forschungsfabrik in Salzgitter, Münster und Ulm. In Ulm können die "primären Ziele des Projekts", so das Fazit der Ortsbegehung, "in nahezu idealer Weise erreicht werden", in Münster "nur sehr bedingt". Autor des Papiers ist Jens Tübke vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal bei Karlsruhe. Das ICT ist an der Ulmer Bewerbung beteiligt.

23. Juni 2019: Reinhold Achatz, der Thyssenkrupp in der Gründungskommission vertritt, schickt eine Mail an BMBF-Mann Zeisel. Angehängt ist der Entwurf für eine Stellungnahme der Industrievertreter. Diese schlügen vor, Ulm auszuwählen. Achatz betont, dass es sich um einen "Diskussionsbeitrag" handle, der nicht als "Vorwegnahme einer Entscheidung zu verstehen" sei.

25. Juni 2019: Die Gründungskommission trifft sich zum letzten Mal, nun unter dem Vorsitz eines Beamten aus dem Wirtschaftsministerium. Der bricht die Sitzung ohne Ergebnis ab. Einige Industrievertreter hätten nicht als unabhängige Experten gesprochen, sondern Firmenpositionen bezogen. Festgehalten wird, dass das Gremium Augsburg, Münster, Salzgitter und Ulm für geeignet hält. Nun wird Fraunhofer um eine Stellungnahme gebeten. Doch auch Fraunhofer will keine Entscheidung treffen - weil unter den Bewerbern eigene Institute sind. Fraunhofer teilt mit, dass es drei Standorte als gleichwertig ansieht: Münster, Salzgitter, Ulm.

Die Gründungskommission ist gescheitert, entscheiden muss die Politik - in Person von Herbert Zeisel aus dem BMBF, der ein mögliches Votum durch ihn pro Münster zuvor als "nicht kommunizierbar" bezeichnet hatte. Zeisel erwägt, das Verfahren abzubrechen und neu aufzusetzen. Doch das würde wertvolle Zeit kosten. Er führt deshalb drei "zusätzliche" Aspekte ein, die das BMBF heute nicht als neue Kriterien verstanden wissen will, sondern als Verfeinerung der bestehenden. Sie lauten: Kompetenz der beteiligten Köpfe, volkswirtschaftlicher Nutzen, ökologischer Ansatz. Die Bewerber erhalten nicht mehr die Gelegenheit zu reagieren. In allen drei Bereichen liegt Münster vorne, entscheidet Zeisel noch am selben Tag. Einer der Trümpfe: das Recycling-Konzept in Ibbenbüren. Ausgerechnet.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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