Hunderte Ermittlungsverfahren:Lauterbach will Schnelltest-Betrügereien beenden

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Seit 15 Monaten wird in vielen Tausend Stationen kostenlos auf das Coronavirus getestet. (Foto: Robert Michael/dpa)

Der Bundesgesundheitsminister plant strengere Kontrollen für Corona-Untersuchungen. Außerdem sollen nur noch bestimmte Personengruppen auf Kosten des Staates getestet werden. Ermittler vermuten beim bisherigen System Milliardenbetrug durch private Betreiber.

Von Markus Grill und Klaus Ott, Berlin

Es ist wie eine Einladung zum Betrug: Der Staat zahlt viele Milliarden Euro für Corona-Schnelltests, kontrolliert die privaten Betreiber der vielen Tausend Teststationen aber kaum. So geht das seit 15 Monaten schon. Die Folge: Hunderte Ermittlungsverfahren quer durch das Land, weil zahlreiche Stationen jede Menge Tests abgerechnet haben sollen, die gar nicht stattfanden. Ermittler vermuten, dass der Schaden mehr als eine Milliarde Euro beträgt.

Mit dieser Verschwendung von Steuergeld soll jetzt Schluss sein. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR weniger Tests und strengere Kontrollen. Außerdem sollen die Betreiber der privaten Stationen künftig weniger Geld pro Untersuchung bekommen. Und es sollen keine neuen Testbetreiber mehr zugelassen werden. "Bescheißen soll sich nicht mehr lohnen", heißt es aus Regierungskreisen. Mit der bisherigen "Goldgräberstimmung" müsse endlich Schluss sein.

Mit den meisten Neuerungen, die von Juli an gelten sollen, dürften die Bundesländer und deren Gesundheitsministerien einverstanden sein. Ein Detail aber dürfte für Streit sorgen, wenn sich die Länderminister kommende Woche in Magdeburg bei ihrer nächsten Konferenz mit Lauterbach treffen. Die Bundesregierung will die für die Bürgerinnen und Bürger kostenlosen Tests offenbar nicht mehr alleine finanzieren; die Länder sollen ebenfalls zahlen. Bislang hat die Bundesregierung mehr als zehn Milliarden Euro für die Schnelltests gezahlt. Das von Christian Lindner (FDP) geleitete Finanzministerium dürfte angesichts der hohen Staatsschulden darauf drängen, deutlich weniger Geld auszugeben.

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In den Gesundheitsministerien der Länder kam schon vor einiger Zeit die Botschaft an, dort solle die Hälfte der Kosten übernommen werden. Die Länder wiederum haben dem Bund bereits signalisiert, dass dieser weiter zahlen solle. Anfang Juni erklärten die Regierungschefinnen und -chefs der Länder, der Bund möge die "Finanzierung der kostenlosen Bürgertests auch über den 30. Juni 2022 hinaus" sicherstellen. Dann läuft die aktuelle Testverordnung aus.

Lauterbachs Ministerium teilte auf Anfrage mit, in der Bundesregierung werde über "den Inhalt einer neuen Testverordnung" verhandelt. Details nennt das Ministerium nicht. Aus Regierungskreisen und aus den Ländern sind aber einige Eckpunkte zu vernehmen. Möglicherweise können sich künftig nur noch sogenannte "vulnerable" Personengruppen auf Kosten des Staats testen lassen. Das könnten etwa ältere oder kranke Menschen sein, die im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus besonders gefährdet werden. Vulnerabel bedeutet: krankheitsanfällig, wenig widerstandsfähig, verletzlich.

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Lauterbach wiederum will angesichts der wieder steigenden Zahl von Infizierten auf jeden Fall weiter an kostenlosen Tests zumindest für bestimmte Personengruppen festhalten. Der Gesundheitsminister warnt seit Tagen vor der "Corona-Sommerwelle". Die Lage sei angespannt. Und Schnelltests helfen nun einmal, halbwegs den Überblick zu behalten. Wer positiv auf das Virus getestet wird und sich in Isolation begibt, steckt im besten Falle keine Leute an.

Bayerns Gesundheitsminister fordert Klarheit über die Testmöglichkeiten im Herbst und Winter 2022

Das sehen offenbar auch die Gesundheitsministerien der Länder so, aus deren Reihen Druck auf Lauterbach kommt. "Es wird höchste Zeit, dass der Bund uns Ländern Planungssicherheit gibt", fordert Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). "Der 30. Juni steht vor der Tür, und uns sind immer noch keine Details über die Pläne der Bundesregierung bekannt. Das ist völlig unverständlich! Ich sage schon lange, dass wir klare Strukturen brauchen."

Holetschek sagt, Bayern hat den Bund schon mehrmals aufgefordert, Klarheit über die Testmöglichkeiten im Herbst und Winter 2022 zu schaffen. Solche Tests, insbesondere für vulnerable Gruppen, seien weiterhin notwendig. "Auch dem Betrug beim Testen muss ein Riegel vorgeschoben werden. Der Bund muss jetzt liefern." Die Länder und auch die Teststellenbetreiber bräuchten Klarheit über Gestaltung und Finanzierung und der Tests. "Und das sehr schnell."

Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) hatte im März 2021 in Absprache mit dem damaligen Koalitionspartner SPD und den Bundesländern die vom Staat bezahlten, für die Bürgerinnen und Bürger kostenlosen Tests eingeführt. Mitten in der seinerzeitigen Corona-Welle sollte das weitere strenge Einschränkungen verhindern. Die Menschen sollten sich "freitesten" können, lautete das Motto.

Anfangs gab es keine Kontrollen, nun stehen die ersten privaten Testbetreiber vor Gericht

Kontrollen der privaten Testbetreiber waren anfangs gar nicht vorgesehen. Das änderte sich erst, als SZ, NDR, WDR und andere Medien über mutmaßliche Betrügereien berichteten. Das führte zu einem ersten großen Ermittlungsverfahren in Bochum, wo jetzt ein Betreiber zahlreicher Teststationen vor Gericht steht und mit sechs Jahren Gefängnis rechnen muss. Er sitzt seit Langem in Untersuchungshaft und hat gestanden, erfundene Tests abgerechnet zu haben. Der Schaden soll allein in diesem Fall 25 Millionen Euro betragen.

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Auch andere Betreiber von Teststationen kamen inzwischen in U-Haft. Und kürzlich wurde ein 20-Jähriger in Freiburg wegen Betrugs schuldig gesprochen: Er hatte etwa 5,7 Millionen Euro für ein Testzentrum kassiert, das er sich komplett ausgedacht hatte. Aufgeflogen war der Fall nur, weil seine Bank nach einem hohen Geldeingang misstrauisch geworden war.

Die Medienberichte und die Ermittlungen führten dazu, dass Spahn seine Testverordnung überarbeitete und Kontrollen einführte. Die fielen aber so lasch aus, dass offenbar munter weiter betrogen wurde. Immer wieder gab es neue Verdachtsfälle. Die Ermittlungsverfahren häuften sich, manche Beschuldigte kamen in Untersuchungshaft. Im Landeskriminalamt Berlin geht man von einer hohen Dunkelziffer und einem bundesweiten Schaden von ein bis eineinhalb Milliarden Euro aus.

Einer der Knackpunkte: Die Tests werden in den Bundesländern von den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) bezahlt, die dafür das Geld vom Bund bekommen. Einen Teil des Geldes dürfen die Kassenärztlichen Vereinigungen für sich behalten, als Pauschale für die eigenen Verwaltungskosten. Gleichzeitig sollen die KV-Organisationen aber die Teststationen kontrollieren. Aus Sicht von Ermittlungsbehörden ist das aber ein falscher Ansatz. Je strenger die Kontrolle, je weniger Tests abgerechnet und bezahlt werden, desto weniger Geld fließt in die Kassen der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Wie Lauterbach dieses Dilemma löst, ist noch nicht abzusehen. Dem Vernehmen nach sind in der neuen Testverordnung mehr und strengere Stichproben geplant. Wie weitreichend die neuen Maßnahmen sein sollen und ob sie ausreichen werden, um Betrügereien weitestgehend abzustellen, bleibt abzuwarten. Der Bund wolle, ist aus Regierungskreisen zu hören, die Länder nicht nur beim Geld "in die Pflicht nehmen". Sondern auch bei den Kontrollen.

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