Politik und Wissenschaft:Minister mit grüner Mission

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"Raus aus dem Labor, rein in die Politik", rät Karl Lauterbach, SPD, den Wissenschaftlern. (Foto: Moritz Frankenberg/dpa)

Neues Thema, gleicher Sound: Karl Lauterbach gibt die Klima-Kassandra. In seinem neuen Buch lenkt er den Blick auf die Anstrengungen zur Rettung der Welt, die Pandemie spielt nur eine Nebenrolle.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Dass ein aktiver Bundesminister ein Buch auf den Markt bringt, hat durchaus Seltenheitswert. Dass es in diesem Fall sogar einer ist, der ständig im Rampenlicht steht, hat die Spannung in der Medienwelt zusätzlich gesteigert. Die Öffentlichkeit dürfte eigentlich erst an diesem Montag erfahren, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach wieder als Autor tätig geworden ist. Denn der Rowohlt-Verlag hat das Werk mit dem Titel "Bevor es zu spät ist. Was uns droht, wenn die Politik nicht mit der Wissenschaft Schritt hält" vorab an Redaktionen verschickt mit dem Hinweis: "Bitte beachten Sie die Sperrfrist für jede Form der Berichterstattung über das Buch bis zum 28. 02.2022." Dann folgt die übliche rechtliche Belehrung, dass ein Verstoß Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche nach sich ziehen könne.

Aber die Bild -Zeitung durfte sicherlich in verkaufsfördernder Absicht vorab berichten und bekam sogar private Fotos zur Verfügung gestellt, die nicht im Buch enthalten sind. SPD-Politiker Lauterbach schaffte es vergangene Woche als Aufmacher auf die Titelseite: "Krebs-Drama! Ärzte wollten mir ein Bein abnehmen." Dann bekam er im Boulevardblatt "Post von Wagner", der Lauterbach die Frage stellte: "Wie viele Stunden hat Ihr Tag? Sie müssen im Parlament sein, im Ministerium, jede Nacht in Talkshows. Sind Sie ein Mensch ohne Schlaf?"

Vom Arbeiterkind zum Arzt

Dabei wird zwar behauptet, das Buch sei "VOR seiner Zeit als Gesundheitsminister" entstanden. Das trifft sicherlich auf den Großteil der 283 Textseiten zu, denn es gibt immer wieder zeitliche Bezüge. Aber an einer Stelle verweist Lauterbach explizit auf die neue Ampelkoalition, die sich "weitaus ehrgeizigere Ziele" als die Vorgängerregierungen gesetzt habe.

Überhaupt ist dieses Buch nicht frei von Selbstlob, gleich auf Seite zwei verkündet Lauterbach: "Ich bin selbst in die Wissenschaft und später in die Politik gegangen, um die Welt etwas besser zu machen, konkret unser Gesundheitssystem. So etwas mag aus dem Munde eines Politikers heute kitschig klingen. Aber so war es." So erfährt man, wie sich Lauterbach vom Arbeiterkind zum Arzt und schließlich zum Gesundheitsminister entwickelt hat.

Karl Lauterbach: Bevor es zu spät ist. Was uns droht, wenn die Politik nicht mit der Wissenschaft Schritt hält. Rowohlt-Verlag, Berlin 2022. 288 Seiten, 22 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: N/A)

Aber nicht die Gesundheitspolitik ist das zentrale Thema des Buches, wie man erwarten könnte. Erst auf Seite 203 widmet sich Lauterbach der Pandemie. Im Fokus steht der Klimawandel, der ihn schon seit mehr als zehn Jahren umtreibe, wie Lauterbach schreibt. Seine vierzehnjährige Tochter, die an Schulstreiks für "Fridays for Future" teilnehme, habe ihn nun zum Schreiben inspiriert.

Starke Zweifel am 1,5-Grad-Ziel

Lauterbach beginnt mit einem Geständnis: "Auch wenn mich viele wieder eine Kassandra nennen mögen, muss ich dieses Buch doch mit einer ehrlichen und schmerzlichen Einschätzung beginnen: Ich bin mehr als skeptisch, ob wir die anstehenden Herausforderungen überhaupt noch in der uns zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen können." Als Politiker halte er das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr für erreichbar.

Dann beschreibt Lauterbach aber auf Dutzenden Seiten, was getan werden müsse, um die Klimaziele doch zu erreichen: Mehr mit Holz bauen, vegane Ernährung, der Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen, den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren und vieles mehr. An einigen Stellen wird er konkreter: Die Einspruchsrechte der Kommunen und der Landbesitzer müssten zugunsten der Energiewende eingeschränkt werden. Und dass China mehrfach als Vorbild dargestellt wird, dürfte für Überraschung sorgen, wie Lauterbach selbst meint.

Falsche Partei? Der Gesundheitsökonom und damalige Regierungsberater Karl Lauterbach spricht im Oktober 2004 in Kiel auf der Bundesdelegiertenversammlung von Bündnis 90/Die Grünen. Aber nicht übers Klima, sondern über die Bürgerversicherung. (Foto: Tim Brakemeier/dpa)

Lauterbach bringt in diesem Buch, an dem der Biologe und Autor Lothar Frenz mitgearbeitet hat, keine neuen Erkenntnisse. Was das Buch aber besonders macht, sind die Querverbindungen zwischen Wissenschaft und Politik. Lauterbach konstatiert ein "zentrales Versagen unseres politisches Systems", weil "wissenschaftliche Erkenntnis nicht ausreichend in unser politisches Handeln integriert werden". Mantraartig wiederholt Lauterbach seine etwas simple Annahme: Würden mehr Wissenschaftler in die Politik gehen, würde es bessere Politik geben. Deshalb seine Forderung: "Raus aus dem Labor, rein in die Politik."

Anmerkungen und Anhang inklusive

Wenig überraschend ist Lauterbachs Analyse, dass die Bilanz bei der Klimapolitik unter Angela Merkel mager sei. Aber auch in der SPD gebe es viel zu wenig Aufmerksamkeit für den Klimawandel. Deshalb habe er 2019 versucht, Vorsitzender SPD zu werden, weil er die Partei "stärker klimapolitisch ausrichten" wollte, verrät Lauterbach.

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Keine Frage: Dieser Mann hat eine grüne Mission, und er verrät auch manche seiner Tricks. Bei manchen Tweets wisse er schon vorab, dass er damit "zumindest einen kleinen Shitstorm provoziere". Etwa, wenn Lauterbach, der sich seit dreißig Jahren vegan ernährt, Billigfleisch kritisiert. Er schlägt eine Treibhausabgabe vor - nicht nur für Treibstoffe, sondern auch für Lebensmittel. Lauterbach hat also ein Buch geschrieben, das man von Annalena Baerbock hätte erwarten können, denn es widmet sich einem grünen Kernthema. Und es ist mit vielen Zitierungen und einem ausführlichen Anhang versehen.

Am Schluss der Bogen zwischen beiden Krisen

Erst am Schluss kommt er zur Corona-Politik und gesteht ein, dass er als Mitglied des Gesundheitsausschusses 2013 Risikoanalysen, mit denen auf die Gefahren einer Pandemie aufmerksam gemacht wurden, nicht ernst genommen habe. Dann erfährt man, welche Wissenschaftler er schätzt: die Liste reicht von Christian Drosten bis zu Melanie Brinkmann. Ganz zum Schluss gibt es noch ein Plädoyer für eine hohe Impfquote - nichts, was man nicht schon von Lauterbach in einer seiner zahlreichen Talkshow-Auftritte gehört hätte. Und schließlich spannt er den Bogen von der Corona- zur Klimakrise: "Die Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie waren geringfügig und zeitlich sehr begrenzt im Gegensatz zu dem, was wir in der Klimakrise erwarten müssen." Lauterbach bleibt seinem Ruf als Kassandra treu.

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