Süddeutsche Zeitung

Karl-Heinz Kurras:Stasi-Agent tötete Ohnesorg

Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der den Studenten Benno Ohnesorg 1967 erschoss, arbeitete für die Stasi. Recherchen der Birthler-Behörde zeigen das Ausmaß seiner Arbeit für die DDR und wie die Stasi auf Ohnesorgs Tod reagierte.

Es ist eine Enthüllung, mit der niemand gerechnet hat: Karl-Heinz Kurras, jener Polizist, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, war ein Spion der Staatssicherheit. Zwei Mitarbeiter der Birthler-Behörde haben nach intensiven Recherchen die schier unglaubliche Biographie rekonstruiert.

Im März 1950 beginnt Kurras im Alter von 22 Jahren seine Arbeit der West-Berliner Polizei. Fünf Jahre später fasst der junge Mann einen anderen Plan: Er will in die DDR übersiedeln und dort für die Volkspolizei arbeiten.

In Ost-Berlin redet er offenbar mit Vertretern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) - und diese überzeugen ihn, dass er als Spion bei der West-Berliner Polizei bessere Dienste leisten kann. Am 26. April 1955 unterzeichnet er eine handschriftliche Erklärung, in der er sich unter dem Decknamen "Otto Bohl" zur Kooperation und Konspiration verpflichtete.

Wörtlich schreibt Kurras: "Aus der Erkenntnis heraus, dass ich als Angehöriger der (West-Berliner) Polizei keiner guten Sache diene, habe ich mich entschlossen, meine Arbeitskraft dem Friedenslager zur Verfügung zu stellen." An anderer Stelle ist im Dokument zu lesen: "Ich bin bereit, dem mir bekannten Vertreter für Staatssicherheit Vorkommnisse aus der Polizei wahrheitsgemäß zu berichten."

Im Dezember 1962 stellt er den Antrag "aus ehrlicher Überzeugung", in die SED aufgenommen zu werden. Am 28. Juli 1964 erfüllt sich dieser Wunsch: Kurras erhält das Mitgliedsbuch mit der Nummer 2 002 373.

Die Mitarbeiter der Birthler-Behörde, Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs, haben keinen Hinweis darauf gefunden, dass die Stasi Kurras den Auftrag gegeben habe, Benno Ohnesorg zu töten. Weshalb der Mann am 2. Juni 1967 den Studenten nach den Demonstrationen gegen den Schah-Besuch erschoss, bleibt weiterhin unklar. Nach dem tödlichen Schuss auf Ohnesorg funkte das MfS an Kurras: "Material sofort vernichten. Vorerst Arbeit einstellen. Betrachten Ereignis als sehr bedauerlichen Unglücksfall." Der Tod gilt als Anlass für eine Radikalisierung der Studentenbewegung in Westdeutschland.

Allerdings können die Historiker, die ihre Rechercheergebnisse in der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift Deutschlandarchiv am 28. Mai publizieren werden, belegen, dass die Personenkartei (F16) von Karl-Heinz Kurras nach dem 2. Juni 1967 entfernt wurde. Es sei einem Zufall zu verdanken, dass die Erkenntnisse nun ans Licht kommen.

Historiker: Kurras war eine "Spitzenquelle"

Laut Müller-Enbergs und Jabs war Kurras, der von 1965 an für die Kripo arbeitete, eine "Spitzenquelle": Er lieferte "detailliert Erkenntnisse über Mitarbeiter, Ausbildung, Arbeitsweise und Personalveränderungen, Befehle, Dienstpläne und Einsatzpläne, zur Tätigkeit der Alliierten, der Ausstattung und Standorte - meist in dokumentarischer Form. Er war verantwortlich für die Asservate und die Auswertung des Funkverkehrs des MfS".

Als das ZDF vor seiner Tür stand, stritt Karl-Heinz Kurras zwar die Echtheit der Dokumente nicht ab - nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegels wies der in Berlin-Spandau lebende Pensionär jedoch den Vorwurf von sich, jemals mit der Stasi kooperiert zu haben.

In den Akten erfährt man einiges über den Menschen und Waffennarr. Kurras gehörte dem Polizeisportverein und dem Jagdverein an, verbrachte laut MfS-Notiz den "überwiegenden Teil seiner Freizeit" auf dem Schießstand und investierte einen guten Teil seines Einkommens für den Schießsport. 1961 gab Kurras dem MfS eine Waffe und erhielt eine andere, 1965 bekam er Geld, um sich abermals eine andere Waffe kaufen zu können.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Kurras Kontakt zur Stasi hielt und wie die Agenten seine Arbeit bewerteten.

Aus den Aktenfunden lässt sich auch rekonstruieren, wie Kurras entlohnt wurde: 1955 erhielt er 550 DM, ein Jahr später waren es laut FAZ 800. 1960 erhielt er 2310 DM, 1961 verdiente er 2200 DM, 1966 schon 4500 DM für seine Spitzeldienste. In den ersten beiden Monaten 1967 flossen 2000 DM, im Mai noch einmal 1000 DM an ihn.

Regelmäßige Treffen im Café

Nach dem Schuss auf Benno Ohnesorg im Hof des Hauses Krumme Straße 66 war der Name Karl-Heinz Kurras in ganz Deutschland bekannt, er wurde später aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die SED leitete nie ein Parteiausschlussverfahren ein.

Laut FAZ hielt Kurras den Kontakt zum MfS über eine Kurierin, mit der er sich im Schleusen-Café im Tiergarten traf. Kurz vor dem Bau der Mauer 1961 wurde demnach vereinbart, dass Kurras jeweils sonntags gegen 15.30 Uhr und später samstags um zwölf Uhr per Funk Informationen liefern und Aufträge entgegennehmen solle.

Die Agenten in der DDR waren offensichtlich mit Kurras' Diensten zufrieden. In der Akte heißt es: "Die gestellten Aufgaben werden von ihm gewissenhaft erfüllt. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben zeigt der K. Mut und entwickelt die notwendige Initiative ... er (steht) treu zur Deutschen Demokratischen Republik."

Als Reaktion auf die Medienberichte hat der Vorsitzende der Vereinigung 17. Juni und stellvertretende Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS), Carl-Wolfgang Holzapfel, nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen den 81-Jährigen erstattet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.466964
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/mati/odg
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.