Karimov und der Islamisten-Vorwurf:Die Strategie des Diktators

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Seit Jahren nutzt Präsident Karimov die Islamisten zur Rechtfertigung seines brutalen Vorgehens gegen politische Gegner.

Von Daniel Brössler

In der usbekischen Hauptstadt Taschkent sind es Tage der Ungewissheit. Die Nachrichten aus Andischan fließen spärlich. Zwar ist die Stadt nur 360 Kilometer von Taschkent entfernt, doch für die Menschen in der Hauptstadt liegt sie hinter einem mächtigen Gebirgszug und - wichtiger noch - hinter einer hohen Mauer der Desinformation.

Präsident Karimov. (Foto: Foto: Reuters)

Usbekistan ist ein Land mit allen typischen Merkmalen einer Diktatur. Der Machthaber Islam Karimow kontrolliert streng, welche Informationen er seinen Untertanen gestattet. Fernsehen, Radio und Zeitungen werden staatlich gelenkt, ausländische Zeitungen sind kaum zu bekommen.

Die Menschen in Taschkent wissen von den Ereignissen in Andischan deshalb nur das, was Karimow ihnen gesagt hat - dass Islamisten einen Aufstand versucht haben, dass Demonstranten Polizisten und Soldaten angriffen, dass die Sicherheitskräfte zur Gegenwehr gezwungen gewesen seien.

"Die Organisatoren der Unruhen hofften, dass sie nach dem Beispiel Kirgisiens wüten können, ohne dass die lokalen und zentralen Behörden Entschlossenheit zeigen", sagte Karimow am Wochenende. "Sie hofften auch, dass die Bevölkerung sie unterstützt." In Wahrheit ist das in Andischan offenbar auch in erheblichem Umfang geschehen, doch davon erwähnte Karimow nichts.

Stattdessen warnte der Präsident vor den Gefahren der Freiheit: "Die Versuche, künstlich eine Demokratie in Ländern einzuführen, die von dessen Standards weit entfernt sind, können dazu führen, dass eine dritte Kraft davon profitiert - radikale muslimische Gruppen".

Aus dem Machtgefüge Karimows sind die Islamisten gar nicht mehr wegzudenken. Sie dienen dem Diktator zur Rechtfertigung jedweder Unterdrückung. Seit mehreren Jahren schon verfolgt Karimows Regime tatsächliche und vermeintliche Terroristen.

"Friedliche religiöse Dissidenten und politische Gegner, darunter Menschenrechtsaktivisten, werden als islamische Terroristen gebrandmarkt", beklagt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Nach Zahlen von Human Rights Watch sitzen in usbekischen Gefängnissen etwa 6000 bis 7000 Häftlinge, denen oft zu Unrecht Islamismus vorgeworfen werde.

Die Jagd auf die Islamisten ist besonders ausgeprägt seit einer Serie von Bombenanschlägen am 16. Februar 1999 im bis dahin ruhigen Taschkent. Autobomben detonierten damals vor Regierungsgebäuden, 16 Passanten starben. An einem der Tatorte trat Karimow umgehend im TV auf und verkündete, er sei einem Anschlag entgangen.

Wie ein stalinistischer Schauprozess

Kurz darauf behauptete der Innenminister, die Urheber seien "islamische Extremisten" gewesen. Im Juni 1999 wurden 22 Männer vor Gericht gestellt, die alle die Teilnahme an einer Verschwörung zur Ermordung Karimows und zur Errichtung eines islamischen Staates in Usbekistan gestanden.

Beobachter erinnerte das Verfahren an einen stalinistischen Schauprozess. Die in Käfigen ausgestellten Angeklagten leierten auswendig gelernte Geständnisse herunter. Über die wirkliche Stärke und Struktur islamistischer Organisationen verriet der Prozess wenig.

Tatsächlich ist der Islamismus in Usbekistan, wo sich etwa 90 Prozent der Menschen zum Islam bekennen, aber nicht nur ein Hirngespinst Karimows. Angesichts bitterer Armut suchen einige Usbeken ihr Heil im radikalen Islam.

Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida unklar

Über eine erhebliche Anhängerschaft verfügt offenbar die Hisb ut-Tahrir, die "Freiheitspartei", die für die Errichtung eines Kalifatsstaates in Zentralasien eintritt. Gegründet in den fünfziger Jahren von einem palästinensischen Geistlichen, verlagerte sie in den neunziger Jahren ihre Aktivitäten zum großen Teil nach Zentralasien.

"Die usbekische Version der Hisb ut-Tahrir sprach Bedürfnisse an, die in Usbekistan immer schmerzlicher gespürt wurden", schreibt die Taschkent-Korrespondentin der BBC, Monica Whitlock, in ihrem Buch über Zentralasien. Die Behörden behaupten, Hisb ut-Tahrir verfüge über Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida. Human Rights Watch hält Hisb ut-Tahrir für friedlich.

Auch die Islamische Bewegung Usbekistans kämpft mit allen Mitteln für einen Kalifatsstaat. Vor sechs Jahren entführte sie japanische Geologen. Die usbekische Regierung macht die Bewegung verantwortlich für die Bombenanschläge 1999. Ihr Finanzier, behauptet das Regime, sei Al-Qaida-Chef Osama bin Laden.

© SZ vom 17. Mai 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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