Karikaturist Westergaard:"Er hat seine Mörder gesehen"

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Mitten in der Diskussion um muslimische Zuwanderer ehrt Kanzlerin Angela Merkel den Mohammed-Karikaturisten Kurt Westergaard. Auch Joachim Gauck lobt seinen Mut, die Freiheit zu verteidigen.

C. von Bullion

Die Kulisse war königlich, die Stimmung festlich, das Thema kontrovers. Bei der Ehrung des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard in Potsdam hat Kanzlerin Angela Merkel am Mittwochabend nachdrücklich für Meinungsfreiheit geworben, gleichzeitig aber Toleranz und Verantwortungsbewusstsein in der Integrationsdebatte angemahnt. "Die Toleranz ist ihr eigener Totengräber, wenn sie sich nicht vor Intoleranz schützt", sagte sie beim Festakt in Schloss Sanssouci. Europa sei ein Ort, in dem Respekt vor Religionen ein hohes Gut sei. Dies bedeute aber weder Unterwerfung noch Zurückweichen vor gesellschaftlichen Konflikten.

Symbol der Meinungsfreiheit: der dänische Karikaturist Kurt Westergaard. (Foto: REUTERS)

Der Mann, dem diese Worte galten, weil er sich auch dann nicht versteckt hat, als man ihn wegen eines Bildes töten wollte, heißt Kurt Westergaard. Vor fünf Jahren hat er in der dänischen Regionalzeitung Jyllands-Posten eine Zeichnung veröffentlicht, auf der der Prophet Mohammed zu sehen war. Statt eines Turbans trug er auf dem Kopf eine Bombe, deren Lunte brannte. Islamisten bedrohten den Zeichner daraufhin mit dem Tod, Westergaard lebt seither unter Polizeischutz.

Großer Bahnhof für einen alten Herren

Am Mittwoch taucht der Mann, auf den ein Kopfgeld in Millionenhöhe ausgesetzt ist, dann zwischen klassizistischen Säulen der Orangerie von Sanssouci auf und wirkt gar nicht wie einer, der die Welt in Aufruhr versetzt. Westgaard trägt zum Zirkusfrack rote Hosen, in einer Hand hält er einen Strohhut, in der anderen einen Gehstock. Der 75-Jährige wirkt freundlich, fast verlegen angesichts der vielen Prominenten. Neben der Kanzlerin sind viele "namhafte Medienmacher" da, wie der Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs es ausdrückt. Die Kanzlerin ist gekommen, und die Laudatio wird später der frühere Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck, halten.

Die Auszeichnung, die Westergaard als symbolische Geste internationaler Solidarität verliehen wird, heißt M 100. Der Potsdamer Journalistenverband honoriert damit Verdienste um Meinungsfreiheit und europäische Verständigung, zu den Preisträgern gehörten Hans-Dietrich Genscher und die Kolumbianerin Ingrid Betancourt. Auch die Jury ist mit bekannten Gesichtern besetzt. Neben Bild-Chef Kai Diekmann und Springer-Vorstand Mathias Döpfner gehört journalistisches Spitzenpersonal aus Frankreich und der Schweiz dazu, die Chefredakteure der Zeit, der Süddeutschen Zeitung und der Welt, FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust.

Großer Bahnhof also für einen alten Herren, dessen Ehrung in Potsdam - bei allem Respekt - nicht nur auf Zustimmung stößt. Warum, fragen Kritiker, zeichnet die Kanzlerin mitten in der Diskussion über muslimische Zuwanderer, die Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin losgetreten hat, einen Künstler aus, der sich über Muslime lustig gemacht hat? Sarrazin soll aus der SPD ausgeschlossen werden, weil er abfällig über Muslime schrieb, auch Merkel hat ihn kritisiert.

Nun ehrt sie Westergaard, gerade weil er sich ohne Rücksicht auf religiöse Empfindlichkeiten über Muslime mokiert. Im Kanzleramt arbeitet man gerade an einer Einschätzung, ob Sarrazins Kritik an Zuwanderern als rassistisch zu bewerten ist. Bundespräsident Christian Wulff soll demnächst entscheiden, ob Sarrazin die Bundesbank verlassen soll - während sein ehemaliger Mitbewerber Joachim Gauck in Potsdam das Hohelied auf die Meinungsfreiheit singen sollte.

Um das alles zu erklären, sollten einige rhetorische Verrenkungen notwendig werden, doch die Redner absolvierten die Kür elegant. Angela Merkel erinnerte an die friedliche Revolution in der DDR und den hohen Wert der Freiheit, deren Wahrung und Verteidigung sei seit 1989 angespornt habe. "Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut", sagte sie. Kurt Westergaard habe diesen Mut bewiesen, auch angesichts von Todesdrohungen.

Gerade in Europa habe man gelernt, die Vielfalt von Meinungen und Glaubensrichtungen wertzuschätzen. Verantwortliche in Medien und in der Politik seien an diese Werte gebunden. Zur Causa Sarrazin sagte Merkel nur, sie sei "gerade kein Thema der Meinungsfreiheit". Vielmehr gehe es hierbei um den verantwortungsvollen Umgang - auch mit dem Thema Integration. In der Politik habe es in der Vergangeheit beim Thema Zuwanderung "Versäumnisse" gegeben, nun müssten gesellschaftliche Missstände angegangen werden - allerdings mit Respekt. "Wir in Europa haben gelernt, aus der Vielfalt etwas zu machen."

Auch Joachim Gauck sprach von der Freiheit und dem Mut, sie zu verteidigen. "Kurt Westergaard darf so sprechen", sagte er: "Er hat seine Mörder gesehen." Alle Welt hätte es verstanden, wenn er sich ängstlich versteckt hätte. Der Zeichner aber habe das Gegenteil getan. Der so Geehrte bedankte sich bescheiden. "Die letzten Jahre sind für mich und meine Familie ein große emotionale Belastung gewesen", sagte er - und dass er sich dank des dänischen Geheimdienstes sicher fühle, jedenfalls noch.

Nach 27 Jahren bei Jyllands-Posten hat Westergaard seine Zeitung verlassen. Das Bild, das so viel Wirbel verursacht hat, steht weiter im Mittelpunkt seines Lebens. Im November sollen Westergaards Memoiren erscheinen - mit der umstrittenen Zeichnung des Propheten als Titelbild.

© SZ vom 09.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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