Karikaturenstreit:Empörung auf allen Seiten

Karikaturenstreit: Der neueste Karikaturenstreit heizt das angespannte Verhältnis zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (links) und seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron weiter an.

Der neueste Karikaturenstreit heizt das angespannte Verhältnis zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (links) und seinem französischen Amtskollegen Emmanuel Macron weiter an.

(Foto: LUDOVIC MARIN/AFP)

Mit der Veröffentlichung einer Erdoğan-Karikatur geht der französisch-türkische Konflikt in die nächste Runde. Der türkische Präsident kündigt eine Klage gegen das Satiremagazin "Charlie Hebdo" an. In Frankreich reagieren alle Parteien empört auf die verbalen Angriffe aus Ankara.

Von Nadia Pantel

Paris - Emmanuel Macron hängt wie ein Spanferkel über einem Feuer, durch Mund und Hintern wurde ihm ein Stock geschoben. Mit diesem Titelbild würdigte die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo 2018 die einjährige Amtszeit des französischen Präsidenten. Weitere Charlie-Titel der vergangenen Jahre zeigen Macron zum Beispiel unter dem Fallbeil der Guillotine oder wie Jesus halb tot ans Kreuz genagelt.

Anders als Frankreichs Präsident sieht sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten, wenn Charlie Hebdo ihn lächerlich macht. Und bringt damit den seit Langem schwelenden Streit zwischen Paris und Ankara auf die nächste Eskalationsstufe. Am Mittwoch teilte die Staatsanwaltschaft in Ankara mit, sie nehme Ermittlungen gegen die Charlie Hebdo-Redaktion auf. Grund ist die am Dienstag erschienene Titelseite des Blattes. Dort ist Erdoğan mit Bierdose in der Hand und in Unterhose zu sehen, er hebt das Kleid einer Frau an und legt so ihren blanken Hintern frei. "Ouuuh, der Prophet", steht in einer Sprechblase neben Erdoğan, dazu die Bildüberschrift: "Erdoğan - privat ist er sehr lustig." Der türkische Präsident verurteilte am Mittwoch die Karikatur und sagte, sie spiegele die "Feindseligkeit gegenüber Türken und dem Islam" wieder.

Bereits am Montag hatte Erdoğan Türken und Muslime dazu aufgerufen, keine französischen Produkte mehr zu kaufen, nachdem Macron am Freitag gesagt hatte, Frankreich werde "nicht auf Karikaturen und Zeichnungen" verzichten. Macron bekräftigte damit, dass in Frankreich nach wie vor über jede Religion Witze gemacht werden dürfen - und dass dieses Recht auch für die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen gilt. "Die Muslime erleben heute eine ähnliche Lynchkampagne, wie sie gegen Juden in Europa zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg geführt wurde", sagte Erdoğan in einer Fernsehansprache. Er ging dabei nicht weiter darauf ein, in welchem Kontext Macron die Karikaturen verteidigt hatte.

Macron stand vor dem Sarg des Lehrers Samuel Paty, als er über Frankreichs Verhältnis zu Karikaturen sprach. Dem Geschichtslehrer Paty war von einem Islamisten der Kopf abgeschnitten worden. Der Täter twitterte nach dem Mord, er habe "einen der Hunde exekutiert, der es wagte, Mohammed herabzusetzen". Das Attentat erschütterte Frankreich, fand jedoch in der türkischen Presse kaum Beachtung. In einem Schreiben bedauerte das Élysée "die völlige Abwesenheit einer Verurteilung des terroristischen Attentats durch die türkischen Behörden". Das türkische Außenministerium teilte mit, der türkische Botschafter in Paris habe sein Beileid ausgesprochen.

Der Karikaturen-Streit ist nur die neueste Episode des Konflikts

In Frankreich ging die Empörung über die Angriffe aus der Türkei weit über die Regierung hinaus. Von den konservativen Republikanern über das rechtsextreme Rassemblement National, über die Sozialisten bis zur Kommunistischen Partei: Partei übergreifend verurteilten französische Politiker Erdoğans Äußerung, Macron solle "seinen geistigen Gesundheitszustand überprüfen" lassen. Der populäre französische Publizist Raphaël Glucksmann, der für eine sozialdemokratische Liste im Europaparlament sitzt, verurteilte zudem die von ihm empfundene türkische Scheinheiligkeit. Er "warte auf einen Boykottaufruf zu chinesischen Produkten", twitterte Glucksmann, der sich seit Jahren für die Rechte der in China verfolgten muslimischen Uiguren einsetzt. "Vielleicht braucht es weniger Mut, Frankreich anzuschreien, als China für einen Genozid zur Rechenschaft zu ziehen", so Glucksmann.

Der Karikaturen-Streit ist nur die neueste Episode des französisch-türkischen Konflikts. Macron wirft Erdoğan Aggressionen gegenüber Griechenland bei der Suche nach Bodenschätzen im Mittelmeer vor. Weiter kritisiert Paris die türkische Rolle im Libyenkonflikt, im Syrienkrieg und nun auch bei den Kämpfen im Kaukasus zwischen Armenien und Aserbaidschan. Macrons demonstrativ harte Kante gegenüber Erdoğan hat ihre Wurzel auch in der geopolitischen Strategie des französischen Präsidenten. Dieser pocht auf eine stärkere militärische und politische Autonomie der EU, inklusive einer herausgehobenen Rolle Frankreichs.

Zudem ist die aktuelle Debatte um Frankreichs Umgang mit dem Islam auch eine Auseinandersetzung um nationale Einflusssphären. Frankreich vergibt jährlich 120 Visa an Imame aus der Türkei, aus Algerien und Marokko, da es im Land selbst nicht genügend Imame gibt. Macron will diese Praxis beenden und die Ausbildung von Imamen in Frankreich deutlich ausbauen.

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