Karenzzeiten für Politiker:Zwangspause für Seitenwechsler

Kanzlerwahl und Vereidigung Bundeskabinett

Im Gespräch mit Angela Merkel war Ronald Pofalla noch Kanzleramtsminister, später überraschte er mit seinem Wechsel zur Deutschen Bahn.

(Foto: dpa)
  • Immer wieder gibt es Ärger, wenn Politiker ohne Karenzzeit einen lukrativen Posten in der Wirtschaft annehmen. Ein Gesetzentwurf sieht nun Zwangspausen vor.
  • Die Karenzzeit soll in der Regel ein Jahr betragen. In Ausnahmefällen kann auch eine Zwangspause von 18 Monaten verhängt werden.
  • Die Verabschiedung des Gesetzes im Kabinett ist für Februar 2015 geplant.

Von Robert Roßmann, Berlin

Gesetzentwurf fertiggestellt

Es hat lange gedauert, sehr lange. Mehr als 15 Jahre wurde im Bundestag über Karenzzeiten für Regierungsmitglieder diskutiert, ohne dass etwas geschehen ist. 1999 verursachte der Wechsel des deutschen EU-Kommissars Martin Bangemann zu einem Telefonkonzern erheblichen Unmut. Spätestens seit damals gibt es die Debatte über Zwangsauszeiten für Amtsträger beim Wechsel in die Wirtschaft.

Ende 2005 befeuerte der Blitzwechsel Gerhard Schröders vom Kanzleramt zu einer Gazprom-Tochter die Debatte erneut, aber der Bundestag konnte sich auch diesmal nicht zur Einführung von Karenzzeiten durchringen. Ein Jahrzehnt später - inzwischen schafften es auch Eckart von Klaeden, Ronald Pofalla, Dirk Niebel, Daniel Bahr und einige mehr mit Seitenwechseln in die Schlagzeilen - hat sich das geändert.

Das Bundesinnenministerium hat jetzt einen Gesetzentwurf fertiggestellt, mit dem Karenzzeiten eingeführt werden sollen. Der Entwurf ist nun in der Ressortabstimmung. Die Verabschiedung im Kabinett ist für Februar 2015 geplant.

Warum ist ein Gesetz nötig?

Wann darf ein Minister in die Wirtschaft wechseln? Wer entscheidet, ob es einen Interessenskonflikt gibt? Nichts davon ist bisher geregelt. Weder im Bundesministergesetz noch im "Gesetz über die Rechtsverhältnisse der parlamentarischen Staatssekretäre" gibt es dazu eine Vorschrift. Schröder & Co. konnten deshalb neue Jobs annehmen, ohne sich an irgendwelche Beschränkungen halten zu müssen. Das wird sich jetzt ändern.

Mit dem neuen Gesetz solle verhindert werden, "dass durch den Anschein einer voreingenommenen Amtsführung im Hinblick auf spätere Karriereaussichten oder durch die private Verwertung von Amtswissen nach Beendigung des Amtsverhältnisses das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Bundesregierung beeinträchtigt wird", heißt es in dem Entwurf.

Wie lange dauert die Karenzzeit?

Sie soll in der Regel ein Jahr betragen. In Ausnahmefällen kann auch eine Zwangspause von 18 Monaten verhängt werden. In einer solchen Karenzzeit haben die Betroffenen Anspruch auf Übergangsgeld.

Für wen gilt die Neuregelung?

Sie betrifft alle Mitglieder der Bundesregierung, die innerhalb von 18 Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Amt einer Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes nachgehen wollen. Mitglieder der Regierung sind die Kanzlerin und ihre Minister. Die Regel soll außerdem für die parlamentarischen Staatssekretäre gelten. Sie alle müssen künftig einen möglichen Seitenwechsel "anzeigen", sobald ihnen "eine Beschäftigung in Aussicht gestellt wird" oder sie "mit Vorbereitungen für die Aufnahme einer Beschäftigung" beginnen.

Wer entscheidet über die Zwangspause?

Der Gesetzentwurf sieht keine Pflicht-Karenzzeit vor allen neuen Tätigkeiten vor. Die Zwangspause soll nur verhängt werden, wenn durch die schnelle Aufnahme der neuen Beschäftigung die "öffentlichen Interessen beeinträchtigt werden können". Nach der Anzeige eines potenziellen Seitenwechsels soll deshalb zunächst ein Experten-Gremium, eine Art Ethik-Kommission, über den Fall beraten und der Bundesregierung eine Empfehlung präsentieren. Die eigentliche Entscheidung darüber, ob eine Karenzzeit notwendig ist, trifft dann aber die Bundesregierung. Sie ist an die Empfehlung der Kommission nicht gebunden.

Wer sitzt in der Ethik-Kommission?

Wer Mitglied der dreiköpfigen Kommission wird, ist noch unklar. In dem Gesetzentwurf heißt es, "die Mitglieder des beratenden Gremiums sollen Funktionen an der Spitze staatlicher oder gesellschaftlicher Institutionen wahrgenommen haben oder über Erfahrungen in einem wichtigen politischen Amt verfügen". Sie sollen auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils zu Beginn einer Wahlperiode vom Bundespräsidenten berufen werden.

Ist die Neuregelung ausreichend?

Vielen Kritikern gehen die Regeln nicht weit genug. Die Experten von Abgeordnetenwatch bemängeln vor allem zwei Punkte. Zum einen sei die Karenzzeit deutlich zu kurz, um das Versilbern von Adressbüchern oder die sogenannte nachgelagerte Korruption zu verhindern. Unter nachgelagerter Korruption versteht man Fälle, in denen ein Minister während seiner Amtszeit für Regelungen zugunsten eines Unternehmens gesorgt hat, von dem er sich nach seiner Amtszeit anstellen oder anderweitig entlohnen lässt.

Außerdem wünscht sich Abgeordnetenwatch eine Möglichkeit, Entscheidungen der Ethik-Kommission und der Bundesregierung über Karenzzeiten auch gerichtlich überprüfen zu lassen. Außerdem wird der Erfolg der neuen Regelung stark von der Besetzung der Ethik-Kommission abhängen. Die Regierung ist an deren Empfehlungen zwar formal nicht gebunden.

Allerdings wird sich das Kabinett in der Praxis nur schwer über die Empfehlungen hinwegsetzen können. Die Regierung ist verpflichtet, die Empfehlungen der Kommission zu veröffentlichen. Sie kann eine abweichende Entscheidung deshalb nicht verheimlichen.

Profitieren auch die Politiker?

In dem Gesetzentwurf heißt es, die neuen Vorschriften würden die "Betroffenen vor Unsicherheiten und ungerechtfertigter Kritik" schützen. Die Regierung hofft, dass sich durch die Neuregelung die Debatte über Seitenwechsler versachlicht. Künftig können ehemalige Minister darauf verweisen, dass eine Ethik-Kommission ihren Wechsel in die Wirtschaft gebilligt hat und dieser zudem von der Bundesregierung genehmigt wurde.

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