Missbrauch in der katholischen Kirche:Woelki will sich an die Spitze der Aufklärer stellen

Kardinal Rainer Maria Woelki, Köln

"So ein Rücktritt wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält": Kardinal Rainer Maria Woelki räumt auch eigene Fehler ein, will aber im Amt bleiben.

(Foto: Getty)

Nach der Vorstellung des Gercke-Gutachtens hat der Erzbischof von Köln neue Kraft getankt. Einen Rücktritt lehnt er ab - das sei ihm "zu einfach". Dafür spart er nicht mit Kritik an Rom.

Von Annette Zoch, München

Es ist ein ganz anderer Kardinal Rainer Maria Woelki, der an diesem Dienstag die Bühne des Maternushauses in Köln betritt. Wirkte er vor fünf Tagen noch angespannt und fast erdrückt von der Last der Vorwürfe, so schreitet er jetzt entschlossen und wie befreit zum Rednerpult. Das Gutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke zum Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt im Erzbistum, das vergangenen Donnerstag vorgestellt wurde, hatte ihn persönlich von allen Vorwürfen entlastet.

Den Hamburger Erzbischof und ehemaligen Kölner Generalvikar Stefan Heße indes hatte das Gutachten vom Bischofsstuhl gefegt; Heße wartet seither auf Post von Papst Franziskus, der seinen Rücktritt annehmen soll. Auch zwei Kölner Weihbischöfe, Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff, sowie der Chef des Kölner Kirchengerichtes, Günther Assenmacher, sind suspendiert.

Rainer Maria Woelki allerdings, das wird auf der Pressekonferenz schon nach wenigen Sätzen klar, denkt gar nicht an Rücktritt. Er will sich an die Spitze der Aufklärer stellen. "Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche - das ist mir zu einfach. Und in meinen Augen ist es auch falsch", sagt er. "So ein Rücktritt wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält." Er könne es nur aus seinem Amt heraus besser machen. "Ich werde in Zukunft alles dafür tun, dass möglichst keine Fehler mehr passieren können."

Um die Aufklärung voranzutreiben, kündigt das Erzbistum die Einrichtung einer Unabhängigen Aufarbeitungskommission an - diese ist ohnehin Bestandteil der Gemeinsamen Erklärung mit dem Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung (UBSKM), Johannes-Wilhelm Rörig, vom Juni 2020. Darüber hinaus habe man eine engmaschige Kontrolle Beschuldigter beschlossen, teilt das Erzbistum mit.

"Ich habe nicht gesagt, dass ich vollständig keine Ahnung hatte."

Es habe im Erzbistum Köln systematische Vertuschung gegeben, sagt Woelki, ein "Chaos in der Verwaltung", ein "System aus Schweigen, Geheimhaltung und mangelnder Kontrolle. Generell fehlte es an Mitgefühl, generell fehlte es an Empathie". Woelki geht auch auf den Fall von Pfarrer O. ein, dessen Taten er mit Blick auf dessen fortgeschrittene Demenz nicht wie vorgeschrieben nach Rom weitergeleitet hatte. Das Gutachten habe ihm zwar bescheinigt, pflichtgemäß und rechtssicher gehandelt zu haben. "Aber es geht nicht nur darum, das Richtige zu tun, sondern alles Menschenmögliche zu tun. Und das habe ich nicht getan." Es wäre besser gewesen, wenn er den Fall nach Rom gemeldet hätte.

Wie sehr Woelki wieder Kraft geschöpft hat, zeigt sich auch an seinen kritischen Worten Richtung Rom: "Es gibt halt Probleme, die ich nicht lösen kann, weil die Werkzeuge nicht funktionieren", sagt er und unterbricht dafür sogar seinen Pressesprecher, der eigentlich längst in die Fragerunde überleiten wollte. Gemeint sind die Instrumente des Kirchenrechts, die nicht ausreichend seien, so Woelki: Verjährungsfristen müssten ausgeweitet, Widersprüche zu den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz ausgeräumt werden.

Der Erzbischof kritisiert auch, dass Missbrauchstaten von Priestern im kirchlichen Recht immer noch nur als Verstoß gegen das Zölibatsversprechen gesehen würden: "Das ist eine ewige Fortsetzung der falschen Perspektive. Das so anzusehen, ist reine Täterperspektive." Bewusst werde er sich über geltendes Kirchenrecht hinwegsetzen, indem er für das Erzbistum Köln jegliche Aktenvernichtung ab sofort verbiete.

Indirekt übt Woelki auch Kritik an seinen Mitbrüdern, die ihm - nachdem er das erste Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei WSW wegen angeblicher methodischer Mängel und äußerungsrechtlicher Probleme zurückgehalten hatte - vorgeworfen hatten, "du schadest uns allen". "Aber ist das nicht genau der Grund allen Übels? Das Ansehen der Kirche über die Aufklärung zu stellen?" Ihm sei es um eine gründliche Aufklärung gegangen, und die habe das Gercke-Gutachten nun geleistet.

Später aber gerät der selbstbewusste Erzbischof doch noch ins Stocken: Wie es denn sein könne, dass er als Geheimsekretär von Kardinal Joachim Meisner nichts mitbekommen habe von den Missbrauchsfällen? Als Sekretär habe er sich um die Post gekümmert, sagt Woelki. Mit Personalangelegenheiten sei er da nicht befasst gewesen. Später, als Weihbischof, saß er allerdings mit in der Personalkonferenz. Habe er auch da nichts mitgekriegt? "Ich habe nicht gesagt, dass ich vollständig keine Ahnung hatte, dass es sexuellen Missbrauch gab", sagt Woelki. Die Fälle seien dort "irgendwie thematisiert" und "so explizit nicht behandelt worden". "Eher verklausuliert" habe die Runde erfahren, wenn ein beschuldigter Priester zu suspendieren sei.

Der Katholikenausschuss der Stadt Köln nannte das Gercke-Gutachten "einen wichtigen Schritt", aber nicht den erhofften Befreiungsschlag. Das Gremium fordert, den Umgang Woelkis mit Missbrauchsfällen in seinen früheren Ämtern zu klären. Matthias Katsch von der Betroffenen-Initiative "Eckiger Tisch" zieht ein bitteres Fazit: "Die Erschütterung der eigenen Gewissheiten dauerte wirklich nur kurz."

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Cardinal Woelki Receives Investigative Report Over Sexual Abuse In Cologne Archdiocese

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