Mittelamerika:Armut und Gewalt halten den Exodus in Gang

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Nur weiter, irgendwie: Migranten in Acayucan, Bundesstaat Veracruz, Mexiko. (Foto: Marco Ugarte/AP)
  • Mehr als 5000 Migranten aus Mittelamerika sind in Mexiko-Stadt angekommen, sie kampieren dort auf einer Sportanlage.
  • Viele hundert wollen zu Fuß weiter nach Norden ziehen. Andere wollen auch in Mexiko bleiben.
  • Armut und Gewalt in Guatemala, Honduras und El Salvador sind die Hauptgründe für den derzeitigen Exodus aus Mittelamerika.

Von Sebastian Schoepp, München

Sie haben Schlimmes hinter sich, aber das Schlimmste womöglich noch vor sich. Mehr als 5000 Mittelamerikaner haben es bis Mexiko-Stadt geschafft in jener caravana , die sich Mitte Oktober in Honduras formierte mit der festen Absicht, gemeinsam bis in die USA zu ziehen. Die Migranten haben den Rio Suchiate durchschwommen, sind Helikoptern der Grenztruppen entkommen, sie haben die berüchtigte ruta de la muerte, die Todesroute von Veracruz, überlebt, wo jedes Jahr Hunderte Migranten verschwinden, ermordet, verschleppt, in Bordelle verkauft oder als coyote angeworben werden, als Drogenkuriere der Kartelle. Seit einigen Tagen kampiert der größte Teil in der Sportanlage Magdalena Mixhuca im Zentrum der mexikanischen Hauptstadt, wo sie von der Stadtverwaltung und Menschenrechtsgruppen versorgt werden.

Am Freitag demonstrierten Vertreter der Migranten vor dem Büro des örtlichen UN-Vertreters und baten darum, man möge ihnen Busse zur Verfügung stellen, ohne Erfolg. Bis zur US-Grenze sind es noch gut 2000 Kilometer, viele davon durch Wüste und Territorium der Drogenkartelle. Am Abend entschieden einige hundert, dann eben so weiterzuziehen, ohne Bus. Andere haben genug und wollen in Mexiko bleiben, das ihnen - wohl auf Druck der USA - ein Bleiberecht angeboten hat. Nidia Pérez Cruz hat sich dafür entschieden, sie ist im siebten Monat schwanger. "Unser Sohn soll hier auf die Welt kommen und sich als Mexikaner registrieren können", sagte sie der dpa.

Tausende Mittelamerikaner sind noch in verschiedenen caravanas auf dem Weg, junge Männer, aber auch viele Familien, Paare mit Kinderwagen, sogar Rollstuhlfahrer und Minderjährige. Etwa 2000 Kinder wollen die Behörden in Guatemala aufgegriffen und zurückgeschickt haben. Auch ein paar Afrikaner und Asiaten ziehen mit, die auf abenteuerliche Weise nach Mittelamerika gelangt sind.

Doch eigentlich sind sie nur ein kleiner Teil der Menschenmassen, die sich jährlich auf den Weg machen, um Armut und Gewalt in Mittelamerika zu entkommen. Marta Sánchez Soler von der Hilfsorganisation Movimiento Migrante Mesoamericano spricht von einem Exodus. Im Jahr 2017 haben laut UN-Flüchtlingswerk 294 000 Menschen aus Guatemala, Honduras und El Salvador eine Anerkennung als Flüchtlinge beantragt - 16 Mal so viele wie 2011. Jene aber, die in keiner Statistik auftauchen, weil sie in der Illegalität verharren, dürften klar in der Mehrzahl sein.

Marta Sánchez arbeitet zusammen mit der deutschen Hilfsorganisation Medico International, deren Vertreter Moritz Krawinkel die caravana begleitet hat. Der Soziologe war in Juchitán und Sayula, wichtige Zwischenstationen in Südmexiko. Er berichtet, alle wichtigen Entscheidungen der caravana würden auf "abendlichen basisdemokratischen Versammlungen getroffen". Die Migranten können auf Unterstützung der lokalen Bevölkerung zählen. Dorfbewohner geben ihnen zu essen, mexikanische Gemeinden stellen Zelte und Wasser, mal nimmt sie ein Pritschenwagen mit, mal ein Bus, aber das meiste müssen sie zu Fuß laufen, in Flipflops, Sandalen, Turnschuhen, mit Blasen und blutigen Füßen. Ärzte berichten, die meisten Kinder in der caravana seien krank.

Als Verantwortliche für die Strategie der caravana wird laut Krawinkel häufig die Organisation Pueblos Sin Fronteras genannt. Es gibt aber die unterschiedlichsten Gerüchte und Theorien, wer die Menschen in Marsch gesetzt hat, darunter die üblichen Verdächtigen wie George Soros, die CIA oder die Evangelikalen; aber auch Donald Trump kursiert als Hintermann, weil er sich durch die Warnung vor der vermeintlichen Latino-Invasion einen Schub für die Kongresswahl erwartet habe.

Die honduranischen Behörden beschuldigen sehr konkret den früheren Abgeordneten und Aktivisten Bartolo Fuentes, der auf seiner Facebook-Seite einen Aufruf teilte: "Wir gehen nicht, weil wir wollen, sondern weil Gewalt und Armut uns dazu zwingen." Wer am Marsch teilnehmen wolle, solle am Mittag des 12. Oktober am Busbahnhof von San Pedro Sula in Honduras sein. Hunderte kamen. Honduras wirft ihm deshalb "Menschenhandel" vor, Fuentes hält sich in Mexiko auf, er fühle sich verfolgt, sagt er in einem Interview. Dabei sei es ja wohl kein Delikt, den Menschen zu helfen, aus ihrer schrecklichen Situation zu entkommen: "Migrieren ist kein Verbrechen." Es werde mehr caravanas geben - und zwar so lange, wie sich an der Situation in Honduras nichts ändere, was sich nach einer klaren Forderung an die Regierung in Tegucigalpa anhört.

Fragt man die Migranten, sagen sie meist, sie wüssten nicht, wer den Aufruf abgesetzt habe. Es ist eine Eigendynamik über soziale Netzwerke und Fernsehnachrichten entstanden. "Wenn ich alleine mit meiner Tochter unterwegs gewesen wäre, hätte ich es wahrscheinlich gar nicht geschafft, weil es so gefährlich ist", sagte die 26-jährige Honduranerin Johana Hernández der Nachrichtenagentur AP. "Egal wer sie instrumentalisiert, die Aufmerksamkeit nutzt den Menschen", sagt Moritz Krawinkel, "die Größe der Karawane schützt sie und ihre Fluchtgründe sind real."

Krawinkel gibt der internationalen Gemeinschaft eine Mitverantwortung: Kaum jemand habe sich je um die Lage in Honduras gekümmert. Dort regiert seit 2017 der rechtsnationale Präsident Juan Orlando Hernández, ein Vertreter der Oberschicht, dessen knappen Wahlsieg die Opposition nie anerkannt hat. Hernández herrscht mithilfe von Militär und Polizei, die laut Menschenrechtlern gegen alles Mögliche rabiat vorgehen - außer gegen die brutalen Mara-Banden, die ganze Landstriche terrorisieren. Manche Polizisten und Regierungsvertreter machten mit der organisierten Kriminalität gemeinsame Sache, kritisieren Oppositionelle. Honduras und El Salvador haben mit die höchsten Mordraten der Welt. Die maras rekrutieren aggressiv Nachwuchs. Junge Männer und Frauen kommen ihnen kaum aus, wer sich weigert, riskiert sein Leben, wer mitmacht, wird zu krassen Mutproben aufgefordert, wie etwa, den nächstbesten Passanten auszurauben oder zu ermorden. Eltern nehmen deshalb ihre Kinder mit auf die Flucht, damit sie nicht irgendwann den maras in die Hände fallen.

Viele Migranten hätten einen fast sturen Optimismus, sagt Moritz Krawinkel. Gottvertrauen und Not treiben sie an. Diejenigen aus der caravana, die jetzt weiterziehen, müssen als nächstes das Hochland von Zentralmexiko überwinden. Schaffen sie es bis Nogales oder Tijuana, wartet dort auf der anderen Seite des Zauns aber ein überwindliches Hindernis: die Truppen, die Donald Trump an die Grenze beordert hat.

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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