Süddeutsche Zeitung

Kanzlerschaft:Das Ende der Ära Merkel

Nach dem Überraschungserfolg des neuen Fraktionschefs wissen die Nach-Merkel-Kandidaten, dass die Zeit des Abwartens vorbei ist. Der Kampf um die Nachfolge beginnt. Kommt noch einmal eine Chance für Schäuble?

Kommentar von Heribert Prantl

Die Frage steht jetzt nicht mehr verschämt am Schluss der Tagesordnung; sie steht nicht mehr versteckt unter dem Punkt "Verschiedenes/Wünsche und Anträge". Die Nach-Merkel-Frage steht jetzt ganz vorne in großen Lettern: Wer kommt und wann? Es ist die Schicksalsfrage der CDU, es ist eine deutsche Schicksalsfrage, weil diese Frau nun so lange das Schicksal dieses Landes bestimmt hat. Die CDU steht am Ende einer Ära. Das Ende ist mit einem Donnerschlag in der Fraktion eingeleitet worden. Es war, alles in allem, eine gute Ära; und aller guten Dinge sind drei. Die erste CDU-Ära war die mit Adenauer, die zweite die mit Kohl, die dritte die mit Merkel.

Volker Kauder sei für sie als Fraktionsvorsitzender "unverzichtbar", hatte Merkel vor der Wahl des Fraktionschefs gesagt. Kauders Abwahl lehrte schneller als postwendend, dass das Unverzichtbare verzichtbar ist. Das könnte auch für Merkel selbst gelten. Der neue Fraktionschef, Ralph Brinkhaus, beeilte sich zu versichern, dass zwischen Fraktion und Kanzlerin kein Blatt passe. Das ist ein bekannt-papierener Satz der Beschwichtigung. Mit diesem Satz ist schon öfter ein Countdown eingeleitet worden. Diesmal führt er zum CDU-Parteitag; es ist ein Nikolaus-Parteitag. Es sind noch 70 Tage bis zu diesem 6. Dezember in Hamburg; es wird dort die CDU-Spitze neu gewählt. Die bevorstehenden Landtagswahlen von Bayern und Hessen sind dabei X-Faktoren.

Die älteste Attraktion auf dem Oktoberfest ist der "Schichtl": "Wir zelebrieren die Enthauptung einer lebenden Person auf offener, hell erleuchteter Bühne", sagt die Werbung für dieses "Original-Zauber-Spezialitäten-Theater". 25 Aufführungen gibt es auf der Wiesn jeden Tag. So eine Vorführung gab es nun auch in Berlin. Beim Kauder-Spezialitäten-Theater, das die Unions-fraktion vorführte, reichte aber eine Vorstellung - und die war keine Illusion. Anders als beim Oktoberfest, wo alle das Zelt in beschwingter Laune verlassen, war die Reaktion nach der politischen Hinrichtung des Volker Kauder gespalten: Die einen Abgeordneten feixten wie nach einem gelungenen Streich; die anderen hatten versteinerte Gesichter, als kämen sie von einer Beerdigung. Wer die gute Laune von CSU-Abgeordneten nach dem Sturz Kauders sah, der konnte sich nicht vorstellen, dass sie der Werbung ihres Parteichefs Seehofer für die Wahl von Kauder gefolgt waren. Aber diese war ja vielleicht nicht so ganz ernst gemeint. Die CSU mag ja vieles verlernt haben; was Sprichwörter besagen, weiß sie immer noch gut: Man schlägt den Sack und meint den Esel. Kauder war der Sack. Der Rest ist unhöflich.

Aber die Zeiten der Höflichkeit zwischen der Merkel-CDU und der Seehofer-CSU sind lange vorbei. Seehofers Zeit ist auch vorbei; und die von Merkel läuft ab. Vor bald 19 Jahren hat sie Helmut Kohl abgeschrieben; jetzt wird sie abgeschrieben. Nach dem Überraschungserfolg des neuen Fraktionschefs wissen die Nach-Merkel-Kandidaten, dass die Zeit des Abwartens vorbei ist. Es wird nach der Abwahl Kauders etliche gegeben haben, die sich grün und blau ärgerten, dass sie nicht den Mut von Brinkhaus hatten. Es braucht Mut, die Kaiserin vom Pferd zu ziehen, auch dann, wenn sie nicht mehr so fest im Sattel sitzt. Wer diesen Mut nicht hat, muss darauf warten, dass der Mächtige die Macht freiwillig weitergibt. Wolfgang Schäuble hat mit dieser Form der Machtübergabe am Ende der Ära Kohl schlechteste Erfahrungen gemacht. Kohl hat ihn nach Strich und Faden betrogen.

Kommt die Chance für Schäuble jetzt noch einmal? Schäuble ist zwölf Jahre älter als Merkel, er ist gerade 76 geworden; er ist elf Jahre jünger, als Adenauer es beim Rücktritt war, und zwei Jahre älter als dieser beim Amtsantritt. Schäuble ist seit 45 Jahren Abgeordneter, er war 20 Jahre Minister, er ist der erfahrenste Parlamentarier, den Deutschland je hatte - eine Autorität. Braucht das Land diese Autorität? Die CDU braucht eher Frische - Frische, wie sie Daniel Günther ausstrahlt, der CDU-Ministerpräsident in Kiel. Dem ist das Kunststück gelungen, mit zwei begnadeten Selbstdarstellern wie Kubicki (FDP) und Habeck (Grüne) zu regieren.

Die Nach-Merkel Kandidaten sind bekannt: Jens Spahn, 38; Daniel Günther, 45. Annegret Kramp-Karrenbauer, 56. Armin Laschet, 57. Peter Altmaier, 60. Im Hintergrund gibt es noch Thomas de Maizière, 64; Ursula von der Leyen, 59. Als CDU-Chef oder -Chefin kann man sich einen der Jüngeren gut vorstellen. Aber als Kanzler? Mag man sich vorstellen, dass ein Spahn mit Trump verhandelt? Schöner ist diese Vorstellung: Die CDU hat ein neues junges Gesicht; und das Land hat einen klugen alten Kopf. CDU-Chef war Schäuble schon einmal, die Zeit dafür ist vorbei. Aber das Land als Kanzler in einer Zeit des Übergangs zu stabilisieren, das könnte sein letzter Dienst sein. Die CDU bekommt derweil einen Chef oder eine Chefin, der oder die zeigt, was er oder sie kann. Ob Merkel das mit sich machen lässt? Vielleicht steuert sie es selbst so. Sie ist eine ungewöhnliche Frau.

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SZ vom 27.09.2018/lalse
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