Kanzlerkandidatur:Die Orakel der SPD

Kurt Beck kommt nicht aus der Schusslinie: Führende Sozialdemokraten halten den Parteichef nur noch prinzipiell für den besten Kanzlerkandidaten.

Nico Fried

Ludwig Stiegler hat in seiner SPD schon viel erlebt. Deshalb weiß der bayerische Landeschef und stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag auch sehr genau, wann die Situation mal wieder derart undurchsichtig ist, dass jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wird. Zur Zeit ist es wieder mal so weit. "Wenn einer ,Guten Morgen' sagt, fragt bestimmt ein anderer, warum er nicht auch ,Guten Abend' gesagt hat", klagt Stiegler.

Kurt Beck

Kurt Beck kommt aus der Kritik nicht heraus.

(Foto: Foto: Reuters)

Das ist eine brauchbare Folie, auf der sich auch die Diskussion beschreiben lässt, die sein Fraktionschef nun losgetreten haben dürfte. Peter Struck, der gewöhnlich vor Urlaubstagen seiner Kanzlerin Angela Merkel ein paar Unfreundlichkeiten mit auf den Weg gibt, beschäftigte sich an diesem vorösterlichen Wochenende zur Abwechslung mit der eigenen Partei und ihren personellen Perspektiven für die Bundestagswahl 2009.

Zwar sei der Parteivorsitzende Kurt Beck "der natürliche Kanzlerkandidat", sagte Struck der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Zugleich wies er aber darauf hin, dass Beck seinen Vorschlag irgendwann um die Jahreswende "davon abhängig machen wird, mit wem die SPD zu diesem Zeitpunkt die größten Chancen hat". Auf die Goldwaage gelegt, heißt das nichts anderes, als dass der natürliche Kandidat nicht unbedingt der aussichtsreichste sein muss.

Statt dessen brachte der Fraktionschef ausdrücklich auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück als potentielle Frontleute der SPD ins Spiel. Meint Struck nun also Guten Morgen? Oder Guten Abend? Beides?

"Der Fehler ist gemacht"

Fest steht, dass Struck vor einem halben Jahr noch sehr viel eindeutiger auf Beck festgelegt war. Im August 2007 antwortete er auf die Frage, ob er eine Alternative zu Beck sehe: "Nein. Ich halte Kurt Beck für unseren besten Kandidaten." Und Struck fügte hinzu, dass niemand in der SPD eine Kanzlerkandidatur Becks in Frage stelle. Spekulationen über einen Kandidaten Steinmeier wies Struck damals noch klar zurück, und über Steinbrück verlor er kein Wort.

Struck ist viel zu erfahren im politischen Geschäft, als dass er nicht wüsste, welche Wirkung seine Überlegungen nun haben könnten. Und bemerkenswert sind die Einlassungen auch, weil der Fraktionschef sich bisher in Konflikten zumindest öffentlich stets loyal auf die Seite Becks stellte. Auch wenn er im Streit um die Verlängerung des Arbeitslosengeldes und die Neuausrichtung gegenüber der Linkspartei vom Parteichef genauso überrumpelt wurde wie andere SPD-Spitzenleute, folgte Struck immer seinem ausgeprägten Sinn für parteipolitische Hierarchien und stützte den Vorsitzenden. Mit seinen jüngsten Äußerungen aber gibt er zumindest Rätsel auf.

Die Orakel der SPD

Das bedeutet auch, dass Franz Müntefering nun nicht mehr das einzige Orakel der SPD ist. Der frühere Parteichef und Vizekanzler hatte schon in den vergangenen Tagen aufhorchen lassen, zuletzt als er anbot, der SPD 2009 dabei zu helfen, nicht in die Opposition abzurutschen. Wie genau das zu verstehen sei, darüber grübeln viele Sozialdemokraten. Schon wird gemunkelt, Müntefering wolle eine alte Rechnung mit Beck begleichen, der ihn im Streit um das Arbeitslosengeld besiegt hatte. Müntefering war später aus privaten Gründen aus der Bundesregierung ausgeschieden.

Sein Abgang war jedoch ganz offenbar nicht gleichbedeutend mit einem endgültigen Abschied aus der Politik. In einem Papier, über das der Spiegel nun berichtet, mischte sich Müntefering am Tag der Hamburg-Wahl vor drei Wochen wieder ein. "Der Fehler ist gemacht", schrieb Müntefering in Anspielung auf Becks Wackelkurs gegenüber der Linkspartei. Der SPD-Chef hatte zunächst gegen den Rat Münteferings jede Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Westen ausgeschlossen, diese Strategie aber geändert, nachdem die Linke in Hessen und Niedersachsen in den Landtag eingezogen war. Nun müsse der Schaden begrenzt werden, so Müntefering.

Ähnlich kryptisch wie Struck äußert sich Müntefering auch in der Frage der Kanzlerkandidatur. Die SPD sollte 2009 eine Regierungszusammenarbeit mit der Linken ausschließen, schreibt er: "Das muss sich auch in den Personalentscheidungen der SPD klar abzeichnen." Man könnte das durchaus als Votum gegen Beck verstehen: Der Parteichef schließt zwar eine Koalition mit der Linken im Bund aus. Gleichwohl muss er sich vorhalten lassen, die gleichlautende Ankündigung mit Blick auf eine Kooperation der hessischen SPD mit den dortigen Linken kassiert zu haben.

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