Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin:Wie Merkel die Mittelmeerroute schließen will

Zwei Jahre nach "Wir schaffen das" rückt die Kanzlerin die Flüchtlingspolitik ins Zentrum ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz. Und muss sich Fragen nach ihrem Rückzug gefallen lassen.

Von Oliver Das Gupta

Knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl hat Angela Merkel ihre große Sommerpressekonferenz in Berlin abgehalten. Die in- und ausländischen Pressevertreter fragten die CDU-Vorsitzende zu verschiedenen Themen, von der Stahlindustrie über die Russland-Sanktionen, das TV-Duell gegen Martin Schulz bis zu ihrem Parteifreund Jens Spahn, der wegen einer Unternehmensbeteiligung in der Kritik steht.

Merkel zeigt sich auskunftsfreudig und wirkt gut vorbereitet. In der inzwischen traditionellen Veranstaltung rückt die Bundeskanzlerin in einer Vorbemerkung zwei Themen in den Mittelpunkt: die Debatte um Abgase und Fahrverbote. Sie kündigt für November einen zweiten Dieselgipfel mit der Autoindustrie zur Reduzierung von Schadstoffemissionen an. Schritt für Schritt solle erreicht werden, dass keine Fahrverbote in Städten notwendig seien und zugleich Umweltvorschriften eingehalten würden, sagt sie.

Das zweite große Thema ist die Flüchtlingspolitik. Die Kanzlerin nennt Fluchtbewegungen ein globales Problem, das "ein Land alleine nicht lösen" könne.

Merkel hat erst am Vortag in Paris mit dem französischen Präsidenten Macron und anderen europäischen und afrikanischen Partnern verhandelt; nun spricht die Regierungschefin von einem "Maßnahmenbündel", mit dem die sogenannte Mittelmeerroute der Flüchtlinge geschlossen werden soll.

Demnach soll an verschiedenen Punkten gleichzeitig angesetzt werden: Die europäischen Partner um Merkel und Macron wollen sowohl in den Herkunftsländern Fluchtursachen bekämpfen als auch die Partnerschaften mit den Transitländern vertiefen.

Eine nachhaltige Lösung der Flüchtlingsproblematik sei "nur im Dialog" möglich. Selbst mit "fragilen Gebilden" wie Libyen müsse man versuchen zu sprechen. Merkel spricht von europäischer Hilfe für afrikanische Länder in Sicherheitsfragen, bei der Grenzsicherung und dem Ausbau der Küstenwache. "Entwicklungshilfe, um jungen Menschen Hoffnung zu geben" in Herkunftsländern. Außerdem wolle man "im begrenzten Umfang" legale Migration ermöglichen.

Ein österreichischer Berichterstatter stellt fest, dass das Flüchtlingsthema vor der Bundestagswahl nicht im Mittelpunkt steht. Ganz anders sei es in seinem Heimatland, wo am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt wird. Dort hat der christsoziale Außenminister und Kanzlerkandidat Sebastian Kurz weitgehend die Positionen der rechtspopulistischen FPÖ übernommen. Merkel geht nur indirekt darauf ein, indem sie mahnt, keine unrealistischen Erwartungen zu wecken: "Es muss ja alles umgesetzt werden, was wir wollen", sagt Merkel. Es gebe keine einfache Lösung, man müsse "viele kleine Schritte gehen".

Merkel wird gefragt, inwiefern sie ihre Flüchtlingspolitik verändert habe, nachdem sie in der Sommerpressekonferenz 2015 die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen mit dem Satz kommentiert hatte: "Wir schaffen das". Nun antwortet die Kanzlerin, dass ihre Motivation sich nicht verändert habe. Ihre heutige Suche nach Lösungen sei dem "gleichen Geist entsprungen" wie die "Hilfe in einer humanitären Ausnahmesituation", der Öffnung der Grenzen im Spätsommer und Herbst vor zwei Jahren.

Ihre Gedanken seien davon geleitet, "dass wir uns nicht abschotten können", so Merkel. Europa werde seine Freiheit und seinen Wohlstand nur dann sichern, "wenn wir über den Tellerrand schauen".

Die Kanzlerin stellt das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei in eine Linie mit ihrer bisherigen und zukünftigen Flüchtlingspolitik. Auf das angespannte Verhältnis zu Ankara geht die Regierungschefin mehrmals während der Pressekonferenz ein.

Bei den etwa drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland wirbt Merkel um Verständnis für das harte Vorgehen der Bundesregierung gegenüber der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. "Ich würde sehr gerne bessere Beziehungen zur Türkei haben, aber wir müssen die Realität betrachten", sagt Merkel. Wegen der Inhaftierung deutscher Staatsbürger in der Türkei sei die Neuorientierung in den Beziehungen "leider notwendig" gewesen.

Eine Verbesserung hänge mit der "Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien" zusammen, erklärt die Kanzlerin. "Die sehen wir im Augenblick in der Türkei nicht gewährleistet." Außerdem gebe es die "ganz eindeutige Forderung" der Bundesregierung, die aus politischen Gründen inhaftierten Deutschen freizulassen.

Derzeit sitzen zehn deutsche oder deutsch-türkische Staatsbürger aus politischen Gründen in der Türkei im Gefängnis, darunter die Journalisten Deniz Yücel und Mesale Tolu sowie der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner. Die Kanzlerin spricht von einer "sehr komplizierten Phase" in den deutsch-türkischen Beziehungen.

Als Merkel gefragt wird, ob ihrer Meinung nach eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen möglich sei, solange Erdoğan an der Macht ist, zeigt sie, dass sie wenig Hoffnung hat. Aber: "Wir werden es immer wieder versuchen."

Merkel muss sich auch Fragen gefallen lassen, warum ihr Wahlkampf langweilig sei ("Für mich ist er nicht langweilig") und wann sie abtrete. Die Gerüchte hatten vor der letzten Bundestagswahl schon gebrodelt. Merkel dementierte damals wie heute und bekräftigt ihre Wortwahl von 2013: Sie wolle "selbstbestimmt handeln", wenn es um ihren Weggang aus der Politik geht, nun bewerbe sie sich erneut für vier Jahre. Und an die Hauptstadtpresse richtet sie noch den Rat, künftiges Rücktrittsgeraune nicht ernst zu nehmen. "Glauben Sie lieber mir als anderen, wenn es um mein Leben geht."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3644842
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/fued
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.