Kanzlerin und Vizekanzler:Merkel und Gabriel: Doppeltes Drama

German Chancellor Angela Merkel and German Economy Minister Sigmar Gabriel attend a meeting at the lower house of parliament Bundestag on 2017 budget in Berlin

Sigmar Gabriel und Angela Merkel nebeneinander auf der Regierungsbank

(Foto: REUTERS)
  • In Berlin droht die CDU noch schlechter abzuschneiden als in Mecklenburg-Vorpommern - das wird die Debatte um Merkel verschärfen.
  • Vizekanzler Gabriel bliebe bei einer Niederlage auf dem SPD-Parteikonvent zu Ceta eigentlich nur der Rücktritt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Deutschland steht vor den spannendsten politischen Tagen seit Langem. Am Sonntag wird in Berlin gewählt. Der CDU droht ein Desaster, den Umfragen zufolge wird sie noch schlechter abschneiden als in Mecklenburg-Vorpommern. Bereits am Wahlabend dürfte in der Union die Debatte über Angela Merkel wieder in aller Schärfe ausbrechen. Nicht nur die CSU, auch viele in der CDU machen ihre Flüchtlingspolitik für den Niedergang der Union verantwortlich.

Und am Montag steht bei einem SPD-Konvent die Karriere von Sigmar Gabriel auf dem Spiel. Die Delegierten sollen über das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta beraten. Der SPD-Chef unterstützt das Abkommen, wenn ihm seine Delegierten nicht folgen, wird er aller Voraussicht nach sofort zurücktreten. Es geht also in den kommenden Tagen um nicht weniger als um die Zukunft von Kanzlerin und Vizekanzler.

Die Lage bei den Sozialdemokraten ist dabei einfacher zu beschreiben, denn man kann sie an Zahlen festmachen. In der SPD wird folgende Rechnung aufgemacht: Wenn Gabriel bei dem Konvent keine Mehrheit für Ceta bekomme, trete er zurück. Wenn beim Prozentergebnis eine Fünf vorne stehe, bleibe Gabriel - es werde aber in der SPD eine heftige Personaldebatte über den Vorsitzenden beginnen. Stehe mindestens eine Sechs vorne, sei die Sache für Gabriel noch einmal gut ausgegangen.

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Beim SPD-Konvent zur Vorratsdatenspeicherung im vergangenen Jahr hatte sich der Parteivorsitzende nur mit knapp 60 Prozent der Stimmen durchgesetzt - trotz einiger Debatten aber politisch überlebt.

In der SPD-Spitze geht man bisher davon aus, dass sich der Konvent für Ceta aussprechen wird. Allerdings gibt es Befürchtungen, dass die für diesen Samstag geplanten Demonstrationen gegen das Abkommen und sein EU-US-Pendant TTIP einige Konvent-Mitglieder doch noch einmal beeindrucken könnten. Vor einem Jahr marschierten in Berlin mehr als 150 000 Menschen auf, um gegen die beiden Abkommen zu protestieren.

Schnell noch zu Trudeau

Wie groß der Druck ist, zeigt unter anderem das Verhalten der Berliner SPD. Auch aus Sorge darüber, dass ihr ein Eintreten für Ceta das Wahlergebnis am Sonntag verhageln könnte, unterstützt sie die Demonstrationen gegen das Abkommen.

DGB, BUND, Greenpeace, Attac und all die anderen Veranstalter hoffen deshalb, mit einem beeindruckenden Aufmarsch auch die gesamte SPD auf Anti-Ceta-Kurs bringen zu können. Hätten sie Erfolg, wäre es das politische Ende Gabriels. Der SPD-Chef ist als Wirtschaftsminister in der Regierung für das Abkommen zuständig.

Auch um den Konvent zu beeindrucken, war Gabriel am Donnerstag noch schnell nach Kanada geflogen. Bei seinem Gespräch mit Premierminister Justin Trudeau konnte er einige Zugeständnisse erreichen. Ob diese den Ceta-Gegnern im SPD-Konvent ausreichen, ist aber unklar.

Merkel nicht mehr sakrosankt

Auch in der CDU geht es inzwischen um die Nummer eins. Vor einem Jahr war die Parteichefin angesichts überragender Umfragewerte noch sakrosant, mittlerweile wird sie für fast alles verantwortlich gemacht. Mit jeder weiteren Wahlniederlage in den Ländern wächst die Zahl derer in der CDU, die einen Rückzug Merkels nicht mehr als Katastrophe, sondern als letzte Chance begreifen. Die Umfragen bedeuten deshalb für die Kanzlerin nichts Gutes.

In der Bundes-CDU wäre man inzwischen bereits froh, wenn die Berliner Christdemokraten auf Platz zwei hinter der SPD landen - oder wenigstens auf Platz drei, wenn die Grünen und nicht die AfD vor ihr liegen. Denn die Umfragewerte der Hauptstadt-CDU sind gewaltig ins Rutschen geraten, sie liegen jetzt nur noch bei 17 bis 18 Prozent. Wenn die Berliner so wählen, wie es die Auguren vorhersagen, fällt die CDU aus dem Senat, und statt der großen Koalition regiert künftig ein rot-rot-grünes Bündnis.

Union sucht nach dem Kompromiss

Bereits am Wahlabend wird der Kampf über die Deutung beginnen. Die Bundespartei wird versuchen, die Schuld beim tatsächlich zweitklassigen Spitzenkandidaten Frank Henkel abzuladen. Die Berliner CDU wird die Niederlage dagegen mit Merkels Flüchtlingspolitik begründen - und viele in der CDU werden es ähnlich sehen. In der vergangenen Woche hat etwa die baden-württembergische CDU-Landtagsfraktion Merkel bei einem Besuch inständig darum gebeten, einen Kompromiss im Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer zu finden.

Das Zeitfenster dafür schließt sich mit Beginn des CSU-Parteitages Anfang November. Falls Merkel und Seehofer bis dahin nicht zusammengefunden haben, wird die CSU ihren Parteitag zu einem Tribunal über Merkel machen, von dem sich das Verhältnis der Schwesterparteien nicht mehr so schnell erholt. Merkel und Seehofer wollen das vermeiden, heißt es sowohl in der CDU wie in der CSU. Es werde in den nächsten Wochen viele Telefonate zwischen beiden geben.

Am Ende könne unter anderem folgender Kompromiss stehen: CDU und CSU schreiben in ihr gemeinsames Wahlprogramm, dass sie die Flüchtlingszahl deutlich begrenzen wollen, ohne das Wort "Obergrenze" zu erwähnen. Das wird dafür im "Bayernplan", dem Extraprogramm der CSU, auftauchen.

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