Nach den Sondierungsgesprächen:Merkels politisches Schicksal liegt in Steinmeiers Hand

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Die Kanzlerin und den Bundespräsidenten verbindet eine lange Geschichte. Streit hatten sie immer wieder, am Ende hatte stets Merkel das Sagen. Nun haben sich die Rollen der beiden verändert.

Von Nico Fried

Frank-Walter Steinmeier war schon einmal gegen vorgezogene Neuwahlen. Das war im Mai 2005. Steinmeier leitete damals das Kanzleramt von Gerhard Schröder, seine Bedenken waren machtpolitische: Steinmeier glaubte, in den eineinhalb Jahren bis zur regulären Wahl im Herbst 2006 werde sich die wirtschaftliche Lage so verbessern, dass die angeschlagene rot-grüne Koalition noch einmal gewinnen könnte. Es kam anders.

Nach der SPD-Niederlage in Nordrhein-Westfalen stellte Schröder die Vertrauensfrage. Bei den Wahlen, die folgten, kam eine Frau an die Macht, mit der Steinmeier am vergangenen Montag, mittlerweile als Bundespräsident, über eine äußerst schwierige politische Lage beriet. Fasst man Ursache und Wirkung unwesentlich verkürzt zusammen, kann man es so sagen: Hätte Steinmeier sich 2005 mit seinen Bedenken gegen vorgezogene Neuwahlen durchgesetzt, dann hätte Angela Merkel nicht zwei Tage vor ihrem zwölften Dienstjubiläum als Kanzlerin mit ihm über vorgezogene Neuwahlen reden müssen.

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Es sind schöne Bilder entstanden von diesem Zwiegespräch im Schloss Bellevue. Das Staatsoberhaupt, seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen in der wohl wichtigsten Rolle, die das Grundgesetz für ihn vorsieht, empfängt eine geschäftsführende Kanzlerin, die ohne Mehrheit dasteht. Ein wenig sieht das aus wie ein Schulmädchen, das beim gestrengen Direktor zum Rapport muss: "Was war das denn für eine Keilerei bei den Sondierungen?" So ist es natürlich nicht - und doch haben sich nach zwölf Jahren, von denen Steinmeier siebeneinhalb als Merkels Außenminister und vier Jahre als Merkels Oppositionsführer wirkte, die Verhältnisse verändert.

Steinmeier gilt alles in allem als anständiger Kerl

Im Fernsehen hat Merkel am Montag gesagt, der Bundespräsident habe das Verfahren nun in der Hand. "Ich habe da volles Vertrauen." Das war unzweifelhaft höflich gemeint, aber es schimmerte noch ein bisschen die Haltung einer Kanzlerin zu einem ihrer Ressortchefs durch. So hat Merkel in der Vergangenheit immer mal wieder Steinmeiers Arbeit als Minister gewürdigt. Dabei stellt sich spätestens dann, wenn der Bundespräsident entscheidet, ob er Merkel dem Bundestag ohne eine sichere Mehrheit als Kanzlerin vorschlägt, eher die entgegengesetzte Frage: Wie viel Vertrauen hat er noch in sie?

Wenn Steinmeier einfach ein fieser Charakter wäre, könnte er sein Glück kaum fassen: Die Frau, die seinen Freund Gerd aus dem Kanzleramt vertrieb, gegen die er selbst 2009 als Kanzlerkandidat der SPD demütigende 23 Prozent einfuhr, die in seinen acht Jahren als Außenminister stets qua Amt das letzte Wort hatte - diese Angela Merkel, an der für ihn fast zwölf Jahre lang kein Vorbeikommen war, sitzt nun vor ihm. Und ihr politisches Schicksal liegt in seiner Hand.

Steinmeier ist durchaus nachtragend. Er nimmt übel und sagt das auch. Andererseits ist er bekennender Christ, ein angesehener Staatsmann, und er gilt alles in allem als anständiger Kerl. Außerdem hat Steinmeier nicht nur Gründe, sich an Merkel zu rächen. Man kann sich sogar vorstellen, dass die Kanzlerin und er am Montag hinter verschlossenen Türen im Bellevue, nur wenige Stunden nach den auch an persönlichen Unverträglichkeiten gescheiterten Sondierungsgesprächen, für einige Sekunden einem gemeinsamen Gedanken nachhingen: So schlecht haben wir beide es eigentlich nicht gemacht.

Am 22. November 2005 saßen Merkel und Steinmeier erstmals als Kanzlerin und Außenminister zusammen im Kabinett. Man kannte sich flüchtig. Steinmeier hatte das Protokoll geführt, als Gerhard Schröder und Joschka Fischer im März 2005 Edmund Stoiber und Angela Merkel im Kanzleramt empfangen hatten.

Die Zahl der Arbeitslosen lag bei mehr als fünf Millionen, Regierung und Opposition brüteten über gemeinsamen Reformen. Aber so richtig kannte außerhalb der rot-grünen Kernregierung ja kaum jemand diesen weißhaarigen Steinmeier, den wichtigsten Mann des Kanzlers, auch Schröders "Mach mal" genannt. Aber der war nun plötzlich Bundesaußenminister.

Die erste Legislaturperiode erlebte einige Differenzen. In der Russland-Politik begegnete Merkel Präsident Wladimir Putin deutlich distanzierter als ihr Vorgänger. Steinmeier aber wollte die Öffnung gegenüber Moskau fortsetzen, und das nicht als Verwalter von Schröders Erbe, sondern aus Überzeugung. In der Finanzkrise gehörte Steinmeier zusammen mit Finanzminister Peer Steinbrück unstrittig zu den Stützen der Regierung Merkel, ein Verdienst, das ihm als Kanzlerkandidat vom Wähler 2009 nicht vergolten wurde.

Die Kanzlerin schätzte Steinmeiers Verlässlichkeit

Als SPD-Fraktionschef in der Opposition war es in den nächsten vier Jahren Steinmeier, der einer zerstrittenen schwarz-gelben Regierung in der Euro-Krise die Mehrheiten im Bundestag verschaffte, wenn es notwendig war. Merkel sprach oft mit Steinmeier, meistens vertraulich, vorbei am Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Die Kanzlerin schätzte Steinmeiers Verlässlichkeit. In dieser Zeit bauten beide gegenseitiges Misstrauen ab, er noch mehr als sie - er hatte aber auch mehr abzubauen.

Als Steinmeier in der zweiten großen Koalition unter Merkel wieder Außenminister wurde, stand die Regierung schnell inmitten internationaler Krisen: Ukraine, Syrien, IS, Libyen, eine Ebola-Epidemie in Afrika, Griechenland sowieso, und so weiter. Die Deutschen fühlten sich in unsicheren Zeiten bei beiden gut aufgehoben. Merkel und Steinmeier führten lange Zeit die Popularitätslisten an. Sie wussten, was sie aneinander hatten. Und was nicht. Sie konnten sich schätzen, weil sie sich mittlerweile einschätzen konnten.

Ende 2016 schlug SPD-Chef Sigmar Gabriel Steinmeier als Bundespräsidenten vor. Merkel leistete Widerstand, weniger gegen die Person, als gegen die Peinlichkeit, dass die Union als stärkste Fraktion der Bundesversammlung keinen eigenen Kandidaten durchbrächte. Mit der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler wollte sie zudem ein schwarz-grünes Zeichen setzen. Doch die einstige Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde sagte ab.

Als Steinmeier nicht mehr zu verhindern war, setzte sich Merkel ruckzuck an die Spitze der Bewegung. Sie freue sich, dass das CDU-Präsidium "meinem Vorschlag" gefolgt sei, sagte sie bei der Präsentation Steinmeiers am 16. November 2016. Er sei "der richtige Kandidat in dieser Zeit", so Merkel damals. Für sie hängt nun viel davon ab, ob er ein Jahr später auch der richtige Präsident ist. Merkel selbst hat ja den Bürgerinnen und Bürgern versprochen: "Er ist ein Mann, dem sie vertrauen können."

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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