Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin in Ungarn:Merkel und Orbán streiten über Demokratie

Lesezeit: 3 min

Kanzlerin Merkel besucht Ungarn

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu mehr Offenheit gegenüber seinen Kritikern aufgefordert. Merkel sagte nach einem Treffen mit dem rechtskonservativen Politiker in Budapest: "Ich habe darauf hingewiesen, dass, auch wenn man eine sehr breite Mehrheit hat wie der ungarische Ministerpräsident, es sehr wichtig ist, in einer Demokratie die Rolle der Opposition, die Rolle der Zivilgesellschaft, die Rolle der Medien zu schätzen." Gesellschaften lebten davon, dass sie im Wettstreit miteinander um den besten Weg ringen. "Ich glaube, dass dies auch für Ungarn ein wichtiges Modell ist." Orbán wird ein autoritärer Regierungsstil und Druck auf Medien vorgeworfen.

Zwar sind beide Politiker Vorsitzende von Parteien, die der gemeinsamen europäischen Parteienfamilie (EVP) angehören. Doch gehen ihre Vorstellungen von Demokratie stark auseinander. Ungarns Ministerpräsident verteidigte seine Haltung in der gemeinsamen Pressekonferenz ausdrücklich. "Wir glauben nicht, dass jede Demokratie zwangsläufig liberal ist", sagte er. Merkel dagegen betonte: "Mit dem Wort 'illiberal' kann ich persönlich in Zusammenhang mit Demokratie nichts anfangen."

Merkel ist zu einem Kurzbesuch in Ungarn. Neben dem Treffen mit Orbástehen Begegnungen mit Studenten, Vertretern des Verbandes der jüdischen Glaubensgemeinschaften und eine Rede der Kanzlerin an der deutschsprachigen Andrassy-Universität auf dem Programm. Es ist Merkels erster Besuch in Ungarn seit fünf Jahren.

Demonstranten und Organisationen appellieren an Kanzlerin Merkel

Mehrere tausend Orbán-Gegner demonstrierten bereits am Sonntag in Budapest - nicht, wie sie betonten, gegen den Besuch Merkels, sondern gegen die "uneuropäische" Politik Orbáns. Für Montag wurden weitere Proteste angekündigt.

"Frau Merkel, retten Sie Ungarn!", stand auf einem der Plakate bei der Demonstration in Budapest. "Angela, rette uns vor dem Bösen, wir wollen EU-Bürger bleiben", hieß es auf einem anderen. Manche der Transparente waren in deutscher Sprache verfasst. Merkel müsse eine klare Linie ziehen und Orbán warnen, Russland nicht zu nah zu kommen, sagte eine 54-jährige Demonstrantin mit einer EU-Flagge in der Hand. Auch in elf anderen ungarischen Städten fanden ähnliche, kleinere Kundgebungen statt.

Amnesty International rief die Kanzlerin dazu auf, bei ihrem Gespräch mit Orbán Schikanen gegen die Zivilgesellschaft anzusprechen. Es gebe "Anzeichen einer Hexenjagd" auf Nichtregierungsorganisationen, sagte die Generalsekretärin der Menschenrechtsorganisation in Deutschland, Selmin Caliskan. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" forderte Merkel auf, sich bei Orbán für mehr Meinungsfreiheit einzusetzen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) erwartet von Merkel Einsatz für die Menschenrechte. "Wir möchten, dass die Kanzlerin das Problem der rassistischen Hetze gegen Roma offen anspricht und zugleich Hilfe zur Verbesserung ihrer Lage anbietet", sagte die Südosteuropa-Referentin der Menschenrechtsorganisation, Jasna Causevic, der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Kundgebung vor Andrassy-Uni von Polizei verlegt

Die ungarische Anti-Terror-Polizei TEK hat kurzfristig eine geplante Kundgebung von Bürgerrechtlern vor der Andrassy-Universität untersagt. Dies gab die Initiative "Most mi!" (Jetzt wir) auf ihrer Facebook-Seite bekannt. Bundeskanzlerin Angela Merkel will am Montagnachmittag im Rahmen ihres Kurzbesuchs in der deutschsprachigen Universität mit Studenten diskutieren. Der Protest unter dem Motto "Wir gehören zu Europa!" wollte die deutsche Regierungschefin an die aus Sicht der Initiative undemokratischen Zustände in Ungarn erinnern. Die Kundgebung soll nun einen Häuserblock weiter von der Andrassy-Universität entfernt - und außer Sichtweite der besuchenden Kanzlerin - stattfinden.

Der Politikstil von Viktor Orbán

Orbán versucht immer wieder, die Bürgerrechte einzuschränken. Der Ministerpräsident hat dank der breiten Mehrheit seiner Fidesz-Partei tiefgreifende Reformen durchgesetzt, durch die insbesondere die Kontrolle über Justiz und Medien verstärkt wurde.

Der rechtskonservative Ministerpräsident ist in der EU auch wegen seiner Anlehnung an Russland umstritten. In gut zwei Wochen empfängt er den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest - ein Ereignis, das wegen des Kriegs in der Ukraine von den westlichen Bündnispartnern genau beobachtet wird. Auch beim Treffen von Orbán und Merkel soll die Ukraine-Krise Thema sein, hieß es im Auswärtigen Amt in Berlin. Orbán hat im Ukraine-Konflikt zwar die EU-Sanktionen gegen Moskau unterstützt, zugleich kritisierte er aber, die EU habe sich "selbst ins Knie geschossen" und ihre Handelsbeziehungen zu Russland beschädigt.

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