Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin im Wahlkampf:Marketing-Agentur Merkel

Die Kanzlerin hat sich voll ins Rennen um die Wähler gestürzt. Doch der Wahlkampf der CDU-Chefin hat sich gewandelt: 2005 erklärte sie langatmig ihre Ziele - heute übt sie sich in PR.

Stefan Braun

Angela Merkel glänzt also in diesem Wahlkampf. Jedenfalls macht sie einen glänzenden Eindruck an diesem Sommernachmittag im sächsischen Borna. Die Organisatoren dieses Wahlkampfauftritts südlich von Leipzig haben es geschafft, dass die Kanzlerin bei ihrer gut 30-minütigen Rede direkt hineinschaut in die satt strahlende Sonne. Kein Wunder, dass die CDU-Vorsitzende ins Schwitzen kommt beim Reden. Ein Make-up, das so etwas verhindern könnte, hat bis heute niemand erfunden.

Das Bild freilich passt gut zum Einstieg in den Bundestagswahlkampf. Nicht, dass die Kanzlerin wirklich herausragende Auftritte hinlegen würde. Damit sie die Leute fesseln, ja mitreißen könnte, müsste sie einfach mehr sein als eine nüchterne, freundliche, ruhig erklärende Kanzlerin.

Wohl aber hat sie sich inzwischen voll in das Rennen um die Wähler gestürzt, fast kein Tag vergeht mehr ohne ein, meistens zwei, manchmal drei Wahlkampfauftritte. Dass das schweißtreibend ist, steht außer Frage. Dabei aber lernt man, dass dieser Angela Merkel, inzwischen 55, das Auftreten vor großem Publikum deutlich leichter fällt als vor vier Jahren.

Während sie den ganzen Sommer 2005 zur Begrüßung fast scheu guten Tag sagte, plaudert sie inzwischen locker drauf los, freut sich über die "tollen" Besucher, die "tolle" Umgebung, die "tolle" Stimmung. Und dabei hilft ihr ein von der CDU bestellter Moderator, der genau die Fragen stellt, die sie beantworten möchte. "Ist es nicht schön auf diesem renovierten Markt von Borna?" Merkels Antwort: "Es ist eine tolle Kulisse." In diesem Jahr ist das also Merkels erste "Botschaft".

Man spürt schnell, was sich geändert hat in den vier Jahren. In diesem CDU-Wahlkampf mit dem Motto "Wir haben die Kraft" dominiert das Marketing in eigener Sache, fast alle Informationen sind nur noch Beiwerk. Merkel als Mensch, Merkel zum Anfassen. Die Leute sollen nicht mehr überfrachtet werden mit Detailfragen.

Viel sei sie jetzt unterwegs, berichtet sie zu Beginn in Borna, nur schlafen und essen müsse sie zwischendurch trotzdem. Im übrigen versuche sie, nur so viele Termine zu machen, dass man den Leuten noch freundlich entgegentreten könne. Denn: "Beim Publikum sein, mit den Menschen sprechen, das ist schön, das macht Spaß."

Wer Merkel 2005 erlebt hat, reibt sich die Augen. Damals hätte sie sich eher die Zunge abgebissen, als so daher zu reden. Heute macht sie PR in eigener Sache. Nur wenige TV-Moderatoren könnten das besser machen.

Ihre nachfolgenden Reden, ob in Borna, ob einen Tag später in Bonn, sind schlicht, klar und einfach. Merkel erinnert an die Jubiläen des Jahres, sechzig Jahre Grundgesetz, zwanzig Jahre Mauerfall, um die Geschichte, den Stolz und die west-ostdeutschen Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Sie erzählt von jenem ungarischen Grenzbeamten, der im Sommer 1989, als der Stacheldraht vor seiner Nase erstmals aufging, entschied, sich nicht gegen die Menschen zu stellen. "Auf jeden Einzelnen kommt es an, wenn wir Besonderes leisten möchten" - auch das eine von Merkels Grundbotschaften.

Danach kommt sie auf die Weltwirtschaftskrise zu sprechen - "die größte Herausforderung in unserer 60-jährigen Geschichte", um dem Publikum klar zu machen, welche Entscheidung es bei der Wahl treffen müsse. Dabei gehe es um eine einzige zentrale Frage: "Wie und mit wem kommen Sie am schnellstens wieder raus aus der Krise." Da gebe es eine mögliche "Regierung aus Splittergruppen" (gemeint ist Rot-Rot-Grün) oder es gebe "klare Verhältnisse" (Schwarz-Gelb). So einfach ist es also in der aktuellen Welt der Angela Merkel.

Vor vier Jahren noch hatte sie unendlich viel vorgerechnet und erklärt und erläutert. Sprichwörtlich stundenlang versuchte sie sich damals an der Volksschulung. Diesmal sind Zahlen Mangelware, Attacken auf den Gegner gibt es fast keine. Stattdessen die Botschaft: Bildung ist wichtig, deshalb kümmert sich die CDU drum; die Leistungsträger sind wichtig, deshalb kämpft die CDU gegen die kalte Progression bei der Steuer; außerdem sind Unternehmer und Handwerker wichtig, deshalb geht die Union gegen die Bürokratie vor. Die Botschaften - nicht mehr als Überschriften.

In der Partei gibt es gegen diese Strategie nur noch leise Zweifel, zum Beispiel beim 60-Jahr-Jubiläum der Unionsfraktion, das die Fraktion am Dienstagabend in Bonn feierte. Hier und da kann man hören, dass es "gefährlich" sei, "wenn wir dem eigenen Wahlkampf keine inhaltliche Richtung geben". Dabei wird sehr leise auf die Turbulenzen um das Abendessen für Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann verwiesen.

Und an anderer Stelle kann man erfahren, dass mancher die Konzentration auf eine schwarz-gelbe Koalition für falsch hält. "Der Zeitgeist", murmelt vor allem mancher FDP-genervte CSU-Mann aus Bayern, sei "Schwarz-Grün heute". Gegenwehr freilich muss Merkel derzeit nicht befürchten. Eher schon fürchten sich die eigenen Leute vor ihr.

Bei ihrer Ansprache vor der Fraktion hielt sich Merkel nur kurz auf bei emotionalen Erinnerungen. Wichtiger war ihr zu sagen, dass die Welt künftig noch europäischer, noch globaler werde. Die Folge: "Wir werden unseren Blickwinkel nochmal rapide ausweiten müssen." Für die Abgeordneten klingt das nach viel Arbeit - und bei Merkel nach dem festen Glauben, zu siegen.

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SZ vom 27.08.2009/bica
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