Kanzlerin im Netz:Islamhasser, Kiffer und Waffenfans

Cannabis legalisieren und die Halal-Schlachtung verbieten: Krude Vorschläge dominieren Merkels Bürgerdialog im Internet. Damit muss die Kanzlerin möglicherweise zehn Gäste empfangen, die sie sonst lieber vor dem Zaun sähe. Die Opposition wittert bereits Wahlkampf hinter dem Onlineangebot.

Robert Roßmann, Berlin

Ein bisschen erinnern die Sätze an die berühmten "I want you"-Plakate der US-Army. Doch während Uncle Sam noch den ganzen Mann rekrutieren wollte, begnügt sich Angela Merkel auf ihrer neuen Internetseite mit den Ideen der Untertanen. "Ihre Erfahrungen, Ihre Vorschläge sind mir wichtig. Ich freue mich auf Ihre Ideen!", schreibt die Kanzlerin und fordert alle Bürger auf, sich am "Dialog über Deutschlands Zukunft" zu beteiligen. "Wie wollen wir zusammen leben, wovon wollen wir leben, wie wollen wir lernen?", das seien die Fragen, um die es ihr dabei gehe.

Bundeskanzlerin Merkel

Wie wollen wir leben? Die Nutzer des "Zukunftsdialogs" offenbar anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: dapd)

Zwanzig Jahre nach der Erfindung des World Wide Web und 20 Wochen nach dem Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus beginnt auch die Kanzlerin, das Netz offensiv für den Dialog mit den Bürgern zu nutzen. Am 1. Februar hat Merkel ihren "Zukunftsdialog" gestartet. Unter www.dialog-ueber-deutschland.de können Bürger Vorschläge machen und bewerten. Die Verfasser der zehn am besten bewerteten Ideen werden von Merkel ins Kanzleramt eingeladen.

Noch bis Mitte April ist das Portal freigeschaltet. In dieser Zeit will sich Merkel bei Veranstaltungen in Erfurt, Heidelberg und Bielefeld auch offline den Bürgern stellen. Im Juni sollen die Ergebnisse dann als Buch erscheinen.

Mehr als 400.000 Bürger haben den Internetauftritt bereits besucht, bis Donnerstagabend sind 5938 Vorschläge eingegangen. "Der Andrang übertrifft unsere Erwartungen bei weitem", sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Vor allem die Ernsthaftigkeit der Beiträge sei beeindruckend. Im Netz sei das ja nicht immer so. Seibert ist wegen eines Twitter-Beitrags zugunsten des Urheberrechtsabkommens Acta gerade Opfer eines "Shitstorms": Er wird massenhaft "Lobbyhure" und Ähnliches geziehen. Solche Probleme mit der Netiquette gebe es beim Zukunftsdialog bisher nicht, findet Seibert.

Das mag sein, dafür hat das Kanzleramt ein ganz anderes Problem: Die bisher am häufigsten gemachten Vorschläge passen so gar nicht zur Agenda Merkels. Sollte sich bis April nichts daran ändern, muss Merkel zehn Gäste empfangen, die sie normalerweise lieber vor dem Zaun des Kanzleramtes sähe.

Antrag gegen die "schariakonforme Halal-Schlachtung"

Auf Platz eins liegt der Vorschlag "Offene Diskussion über den Islam", in dem sich Islamkritiker darüber beschweren, dass sie von Politik und Medien "pathologisiert und kriminalisiert" würden. Knapp dahinter rangiert "Cannabis legalisieren", gefolgt von der Initiative "Waffenrecht - Fakten statt Lügen". Die Sportschützen beklagen sich über "von linken Ideologen gesteuerte Diffamierungskampagnen".

Unter den Top Ten finden sich außerdem Anträge gegen die "schariakonforme Halal-Schlachtung", gegen "die Leugnung des Völkermords an den Aramäern" und gegen die angebliche "Überwachung aller Internet-Nutzer" durch das Acta-Abkommen. Auf den Plätzen elf bis 13 und damit nur knapp von einer Einladung ins Kanzleramt entfernt, rangieren die GEZ-Gegner ("Abschaffen!"), die Initiative "Unsinn Zuwanderung" und die Freunde des bedingungslosen Grundeinkommens.

Richtige Debatten über diese Anträge gibt es auf der Internetseite eher weniger, in der Regel bleibt es beim banalen Drücken eines "Unterstütze-ich"-Buttons. Experten werfen der Bundeskanzlerin deshalb vor, keinen echten Dialog, sondern nur eine plakative Modernitätssimulation zu betreiben. Merkel habe lediglich ein Eingabeformular für das digitale Volk geschaffen, findet Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Offenbar gehe es bei dem primär von einer Werbeagentur erdachten Versuch um einen nicht ganz zeitgemäßen Konter gegen die Digitaldemokratie, den die Piratenpartei derzeit ausprobiere.

Auch SPD und Grüne sehen Merkels Zukunftsdialog mit Unbehagen. "Bürgerbeteiligung funktioniert nicht, wenn man sie auf eine einzelne Homepage bannt und nur für einen eingegrenzten Zeitraum freischaltet", findet Grünen-Chefin Claudia Roth. Statt aus "der Zitadelle der Macht heraus" Politik zu betreiben, sollte Merkel besser eine "offene Beteiligungs- und Debattenkultur" pflegen. Dazu gehöre auch die Abstimmung über Sachfragen. "Solange sich Merkel und ihre Bundesregierung im Konkreten gegen wirkliche Beteiligung entscheiden, wirkt jede Dialogwebsite wie eine bloße Showveranstaltung", sagt Roth und verweist dabei auf Merkels Weigerung, auch auf Bundesebene mehr direkte Demokratie einzuführen.

Die SPD werde prüfen, ob beim Bürgerdialog "die notwendige Trennung von Partei- und Regierungsarbeit eingehalten wird", sagt Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Auf ihn wirke es, als ob "die Vorbereitungen für den Wahlkampf 2013 im Mittelpunkt der Initiative stehen". Es sei politisch grenzwertig, dass die Kanzlerin dazu mit viel Geld und vielen Mitarbeitern einen Stab im Kanzleramt aufbaue. Grünen-Chefin Roth ärgert es besonders, dass der Bürgerdialog auch auf der Homepage der CDU beworben wird. Dies zeige, dass "es sich hier um Wahlkampf außerhalb des Wahlkampfes für die CDU-Vorsitzende handelt".

Den Regierungssprecher ficht das nicht an. Für die Webseite würden nur ein halbes Dutzend Personen arbeiten, sagt Seibert. Außerdem verwiesen auch andere Organisationen wie der Volkshochschulverband auf den Zukunftsdialog. Die Kanzlerin findet die Kritik sowieso "ein bisschen kleinteilig". Die Aktion koste mehrere 100.000 Euro, das Geld sei "gut eingesetzt", sagt Merkel. Anzeigenkampagnen in Zeitungen wären deutlich teurer.

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