Süddeutsche Zeitung

Kanzlerin im EU-Parlament:Merkel plädiert für "echte europäische Armee"

  • Kanzlerin Merkel spricht sich im Europaparlament in Straßburg für die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Armee aus.
  • Ihr zufolge kann eine solche Truppe innerhalb der Nato agieren.
  • Zudem mahnt Merkel, dass es immer wichtiger sei, dass die Europäer zusammenstünden. Solidarität sei "ein Teil der europäischen DNA".
  • Merkels Rede ist ein deutliches Entgegenkommen an den Verbündeten Frankreich, der sich im Vorfeld unzufrieden mit Deutschland gezeigt hatte.

Bei ihrer Rede im EU-Parlament in Straßburg hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Schaffung einer "echten europäischen Armee" ausgesprochen. An dieser "Vision" solle Europa arbeiten, sagte sie unter sowohl lautem Klatschen als auch deutlichen Buhrufen aus dem Plenum. "Eine gemeinsame europäische Armee würde der Welt zeigen, dass es zwischen den europäischen Ländern nie wieder Krieg gibt."

Die Kanzlerin betonte, dass eine solche europäische Armee "keine Armee gegen die Nato" sein solle. Es gehe um mehr Effizienz. Sie sehe keinen Grund, warum es nicht möglich sein solle, "in der Nato mit einer gemeinsamen europäischen Armee aufzutreten". Merkel antwortet damit auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der zum Weltkriegsgedenken bereits vor einer Woche eine "wahre europäische Armee" gefordert hatte.

Neben der Außen- und Sicherheitspolitik griff Merkel zwei weitere Bereiche heraus, in denen es für die Europäer wichtig sei, gut zusammenzuarbeiten: Wirtschaft sowie Flucht und Migration. "Wenn wir wirtschaftlich nicht stark sind, werden wir auch politisch nicht einflussreich sein", sagte sie und stellte heraus, dass sie gemeinsam mit Frankreich im Europäischen Rat bis Dezember "sichtbare Erfolge" vorlegen wolle, was die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion angehe.

Auch bei der digitalen Besteuerung werde man "Fortschritte erzielen", versicherte die Kanzlerin in Richtung Frankreich. Hier sei "nicht die Frage, ob, sondern wie wir das machen". Deutschland wolle das nach Möglichkeit im internationalen Zusammenhang umsetzen. Der enge Verbündete hatte sich im Vorfeld der Merkel-Rede unzufrieden mit der deutschen Regierung gezeigt und mangelnden Reformeifer gerade bei der Einführung der EU-Digitalsteuer beklagt.

Im Bereich der Migration forderte Merkel, dass die EU ein "gemeinsames europäisches Asylverfahren entwickeln" müsse. Sonst werde es nicht gelingen, mit den hier gestellten Aufgaben klarzukommen.

Ingesamt betonte Merkel den Wert der Solidarität für Europa. "Es wird immer wichtiger, dass wir Europäer zusammenstehen." Bei ihrem ersten Auftritt vor dem EU-Parlament im Jahr 2007 habe sie "Toleranz die Seele Europas genannt". Diese Seele sei seitdem "strapaziert" worden. Doch es sei wichtig, in schwierigen zeiten nicht alleine dazustehen. Die EU-Staaten hätten Rettungsschirme aufgespannt und sich bei Terroranschlägen beigestanden. "Die Solidarität ist ein Teil der europäischen DNA", sagte die Kanzlerin.

Doch sei es wichtig zu bedenken, "dass individuelle nationale Entscheidungen immer Auswirkungen auf die internationale Gemeinschaft haben", mahnte Merkel. Wer rechtsstaatliche Prinzipien in seinem Land aushöle, "gefährdet die Rechtsstaatlichkeit von uns allen, in ganz Europa", sagte sie mit Blick auf mehrere EU-Länder, in denen die Justiz unter Druck geraten ist. So laufen gegen Ungarn und Polen in der EU bereits Sanktionsverfahren wegen der mutmaßlichen Bedrohung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Auch Rumänien wurden von der EU-Kommission am Dienstag erhebliche Defizite in Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung bescheinigt.

Wohl in Richtung Italien, das mehr Schulden machen möchte, als die EU für tragbar hält, betonte Merkel, dass auch die gemeinsame Währung nur funktionieren könne, wenn jedes Mitglied zu Hause die Kriterien erfülle. Und wer die Geschlossenheit Europas infrage stelle, "untergräbt die Glaubwürdigkeit der gesamten EU", sagte Merkel.

Viel Applaus erhielt die Kanzlerin, als sie einräumte, dass auch Deutschland sich nicht immer tadellos verhalten habe. Vor 2015 habe das Land viel zu lange gebraucht, um die Flüchtlingsfrage als eine gemeinschaftliche Frage zu begreifen.

Weiter sagte sie, dass gemeinschaftliches Denken und Handeln nicht im Widerspruch zum Eigeninteresse der Staaten stehe - im Gegenteil: "Solidarität für alle bedeutet auch, im eigenen Interesse zu handeln."

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