Anfang Januar 1967 wurde der deutsche Schriftsteller Uwe Johnson, der seit einem halben Jahr in New York lebte, vom American Jewish Congress eingeladen, sich zu den jüngsten Ereignissen in Deutschland zu äußern. Damals zog die neonazistische NPD in die Landtage ein, und keine sieben Wochen zuvor hatte der Bundestag einen Mann zum Kanzler gewählt, der im „Dritten Reich“ im Außenministerium mitgemacht hatte, als Verbindungsmann zum Propagandaministerium von Joseph Goebbels. Johnson distanzierte sich von diesem „Kanzler Westdeutschlands, Mitglied der Nazipartei, Handlanger der Judenmörder“, doch für die jüdischen Zuhörer in New York, die Angehörige in Treblinka und Auschwitz verloren hatten, hörte er sich an wie jemand, der Kurt Georg Kiesinger entschuldigte. Johnson schützte eine Verabredung vor, zog „seinen Mantel so hastig über, als dächten sie, ihm den wegzunehmen“, und machte sich davon.
Buch über „Das Kanzleramt“ in der frühen BRDDiese lästige Demokratie
Lesezeit: 6 Min.

NS-Vergangenheit verharmlosen, alte Kameraden fördern, Pressefreiheit und Forschung behindern – das war der Dreiklang aus dem Bonner Kanzleramt bis zum Ende der 1960er. Eine umfassende Studie bringt bislang unbekannte Details aus der Schaltzentrale der Macht ans Licht.
Rezension von Willi Winkler

Geschichte der Bundesrepublik:Das deutsche Watergate
Fast zehn Jahre lang ließ Konrad Adenauer die ganze Spitze der SPD ausspionieren. Einer seiner Agenten arbeitete im Vorstand der Partei. Die Geschichte eines historischen Verrats.
Lesen Sie mehr zum Thema