Süddeutsche Zeitung

Berlin:Autofahrer stößt an Tor des Kanzleramts

Lesezeit: 2 min

Der polizeibekannte Fahrer wird in Gewahrsam genommen. Am Wagen stehen Beschimpfungen, die mit der Corona-Pandemie zu tun haben könnten. Einen ähnlichen Vorfall gab es bereits vor einigen Jahren.

Von Jan Heidtmann, Berlin, und Philipp Saul, Berlin

In Berlin ist ein Autofahrer gegen ein Tor an der Einfahrt zum Kanzleramt gefahren. Er beschädigte mit der Front des Wagens mindestens zwei Metallstreben des Gittertores, wie ein dpa-Fotograf am Mittwochvormittag berichtete. Auf Fotos ist zu sehen, wie ein Kombi am Eisengitter vor der Einfahrt steht. An der Fahrerseite des augenscheinlich unbeschädigten Wagens steht in weißer Schrift eine Beschimpfung geschrieben: "Ihr verdammten Kinder und alte Menschen-Mörder". Auf der Beifahrerseite steht "Stop der Globalisierungs-Politik".

Der 54-jährige Fahrer habe sich am Mittwoch kurz nach 10 Uhr "mit sehr geringer Geschwindigkeit" gegen das Tor bewegt, sagte der Sprecher der Berliner Polizei Thilo Cablitz. Ohne besondere Genehmigung ist die Zufahrt in diesen Bereich des Bundeskanzleramts lediglich Fahrradfahrern gestattet. Darauf weist ein Schild hin. Allerdings handelt es sich um einen öffentlichen Straßenbereich. Die Einfahrt zum Kanzleramt ist durch ein Tor versperrt, das in den Boden versenkt werden kann.

Beamte der Bundespolizei, die für die Sicherheit des Kanzleramtes zuständig ist, nahmen den Fahrer in Gewahrsam. Er ist polizeibekannt und gilt als psychisch krank. Sein Auto ist im Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen zugelassen. Im Kofferraum seines Wagens wurde zudem ein Rollstuhl gefunden.

Ähnlicher Vorfall im Jahr 2014

Nach Auskunft aus Polizeikreisen handelt es sich um denselben Mann, der schon 2014 im Schritttempo an derselben Stelle auf das Kanzleramt zufuhr und dann dort stehenblieb. Wie bei dem aktuellen Vorfall war damals ein VW Golf IV Variant das Tatfahrzeug. Der Wagen war ebenfalls mit Parolen handbeschrieben: "Schluß mit dem Menschentötenden Klimawandel", stand auf der Beifahrerseite, "Nicole, ich liebe dich" auf der Fahrerseite.

Das Motiv des Täters ist unklar. Die Polizei ging zunächst nicht von einem Anschlag mit extremistischem Hintergrund aus. "Wir arbeiten im Moment nicht auf Basis dieser Annahme", sagte eine Polizeisprecherin. Geprüft werde aber, ob es eine Verbindung zu Vereinigungen wie "Querdenken" gibt, die seit Wochen teils gewaltsam gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie protestieren. Einige dieser Vereinigungen hatte auf sozialen Medien für Mittwochmorgen zu Protesten vor dem Kanzleramt und dem Bundestag aufgerufen, unter ihnen der verschwörungsgläubige Vegankoch Attila Hildmann.

Der Vorfall ereignete sich während der laufenden Sitzung des Bundeskabinetts. Dieses tagt in der Regel Mittwochmorgens im Kanzleramt. Am Nachmittag beriet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Regierungschefs der Länder über weitere Corona-Beschränkungen. Auch der Deutsche Bundestag, der in der Nähe des Kanzleramts liegt, tagte ab dem Mittag.

Nach Informationen des Tagesspiegel befand sich auf dem Beifahrersitz des Tatfahrzeugs ein kopierter Auszug des Magazins Wochenblick aus Österreich. Die Zeitschrift agitiert gegen die Corona-Beschränkungen. Bei dem Ausdruck handelt es sich mutmaßlich um einen Artikel, in dem der plötzliche Tod einer 13-jährigen Schülerin in Verbindung mit dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gebracht wird. Einige prominente Corona-Gegner behaupten, dass Kinder durch das Tragen von Masken stürben. Einen Beleg dafür gibt es nicht.

Keine Gefahr für Merkel

Ein Regierungssprecher erklärte: "Für die Bundeskanzlerin, die übrigen Mitglieder der Bundesregierung und die im Bundeskanzleramt beschäftigten Menschen bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung." Es sei bei dem Vorfall zu geringem Sachschaden gekommen. Der Staatsschutz des Landeskriminalamtes Berlin hat die weiteren Ermittlungen übernommen.

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