Kandidatenfrage:Männerfreundschaft

SPD-Regionalkonferenz in Berlin

Einvernehmliches Bauchpinseln: Frank-Walter Steinmeier, Martin Schulz und Sigmar Gabriel (von links) haben nur Lob füreinander übrig.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Auf der Europa-Konferenz der SPD treffen mit Martin Schulz und Sigmar Gabriel zwei mögliche Kanzlerkandidaten aufeinander. Beim gemeinsamen Auftritt vor der Basis haben beide auffallend wohlwollende Worte für den anderen übrig.

Von Nico Fried

Berlin - Man steht noch am Anfang, aber auch von hier aus blickt die SPD natürlich auf die Bundestagswahl. Wozu sonst soll so eine Konferenz dienen? Martin Schulz kommt alsbald darauf zu sprechen: Wenn es gelinge, die Wahlbeteiligung zu steigern und die Prozente auch, so sagt es Schulz, "dann bekommen wir einen sozialdemokratischen Bundeskanzler". Deshalb gehe es hier an diesem Tag auch um die Frage - na, um welche Frage wohl? - nun, es gehe auch um die Frage, welche Rolle die SPD und Deutschland in Europa spielen.

Ach so.

Es wäre einem als Beobachter noch eine andere interessante Frage eingefallen, aber die meidet Martin Schulz. Besser gesagt, er geht in seiner Rede darüber hinweg. Immer wieder. So wie ein Bauarbeiter mit einer Dampfwalze auf heißem Teer hin- und herfährt, damit nur ja keine Unebenheit mehr bleibt, so macht Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, die Frage nach der Kanzlerkandidatur platt. Zumindest auf dieser Programmkonferenz der Sozialdemokraten.

Es ist der erste gemeinsame Auftritt von Sigmar Gabriel und Martin Schulz in Berlin und vor der Basis, seitdem vermehrt davon zu lesen ist, dass der Europapolitiker womöglich höhere bundespolitische Ambitionen haben könnte. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die beiden Männer, die sich als Freunde verstehen, einander doch auch ein wenig belauern, dann wird er an diesem Tag in Form unaufhörlicher und nicht endender Gunstbezeugungen eindrucksvoll erbracht.

Sigmar Gabriel macht den Anfang. Es ist eine von vier Programmkonferenzen der SPD in diesem Sommer. Sie sollen der verunsicherten Partei zur Selbstvergewisserung dienen und Debatten anstoßen, mit welchem politischen Angebot man 2017 den Wählern begegnen möchte. Diesmal geht es im Berliner Gasometer - dem geneigten Fernsehpublikum als Austragungsort bedeutender Sonntagabend-Talkshows bekannt - um Europa. Und Sigmar Gabriel ist gerade dabei, den Unterschied zwischen der sozialdemokratischen und der konservativen Europapolitik zu erklären. Darauf gebe es "eine ganz kurze Antwort: Der größte Unterschied heißt Martin Schulz."

Da guckt der Angesprochene fast ein wenig versteinert, zupft sich in einer Mischung aus Überraschung und Rührung am Bart. Hinter ihm klatschen mehrere Hundert Genossen, neben ihm sitzt Frank-Walter Steinmeier und macht ein freundliches Gesicht, vor ihm steht Gabriel und sagt: "Na ja, ich mein' das schon ganz ernst" - gerade so, als hätte irgendjemand auf die Idee kommen können, ausgerechnet dieser SPD-Vorsitzende könne so was einfach nur dahinsagen.

Charakterliche Unterschiede unter Europäern nehmen viel Platz ein in Gabriels Rede. Viktor Orbán darf bei den Schurken nicht fehlen, der ungarische Ministerpräsident. Auch Nicolas Sarkozy nicht, der frühere französische Präsident. Aber besonders inbrünstig würdigt Gabriel David Cameron und Boris Johnson. "Diese Snobs der britischen Eliten" nennt er den Premierminister und den Brexit-Befürworter, der nicht Premierminister wird, oder auch "dieses Duo Infernale".

Das Ergebnis des Referendums müsse nun umgesetzt werden. "Erst feilschen, dann versagen und dann klammern, das geht nicht", mosert der Parteichef. Im Übrigen müssten sich auch die deutschen Konservativen klar verhalten. Dabei könnten sie von Helmut Kohl lernen: Der habe es in der Europa-Politik mit Margaret Thatcher zu tun gehabt. "Gegen Maggie Thatcher sind Boris Johnson und David Cameron eher Bonsai-Konservative", sagt Gabriel. Überzeugte Europäer, soll das alles heißen, gibt es nicht mehr viele. Je länger man zuhört, desto mehr kann man auf die Idee kommen, dass der SPD-Chef seinen Freund Martin Schulz in der Europa-Politik für gänzlich unverzichtbar hält.

Martin Schulz kann mitreißend über Europa reden, doch diesmal spricht er fast nur über Gabriel

Dann spricht Schulz. Er sagt: "Lieber Sigmar . . ." und ringt im Kopf und mit den Armen um Worte. "Es fällt einem immer schwer auf Lob zu reagieren, also mir fällt das jedenfalls immer schwer . . ." Die Zuhörer, einschließlich Gabriel und Steinmeier, lachen, weil sie das schon für die erste witzige Pointe seiner Rede halten. Mangelndes Selbstbewusstsein hat noch niemand mit dem Namen Martin Schulz verbunden. Der rettet sich denn auch in ein Bonmot des früheren österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky: "Sie wissen ja gar nicht, wie viel Lob man ertragen kann."

Martin Schulz kann mitreißend über Europa reden. Wie kaum einem anderen gelingt es ihm an guten Tagen, Philosophie und Geschichte Europas zu verweben mit konkreten Beispielen und persönlichen Anekdoten. Um die Bedeutung des Friedensprojektes Europa gerade für Deutschland zu unterstreichen, berichtet er auf der Programmkonferenz zum Beispiel von Jean-Claude Juncker, dem angeschlagenen und immer häufiger angefeindeten EU-Kommissionspräsidenten. Dessen Vater musste nach der Eroberung Luxemburgs durch die Wehrmacht als deutscher Soldat in den Krieg ziehen und kam in Russland in Gefangenschaft. Trotzdem habe er sich nach 1945 für die Aussöhnung mit Deutschland eingesetzt. In solchen Moment vermag Schulz einen ganzen Saal zu bannen.

Doch an diesem Tag scheint er seinen Fähigkeiten nicht zu trauen. Stattdessen wendet er sich immer wieder an den Parteichef. Er dankt Gabriel für "unsere gemeinsame Arbeit". Er sagt später: "Ich bin meinem Parteichef dankbar für das klare Bekenntnis zu Europa." Er sagt an einer Stelle: "Der Sigmar hat darauf hingewiesen . . .". Er sagt an einer anderen Stelle: "Sigmar hat das eben gesagt . . .". Er sagt: "Sigmar hat recht." Dann sagt er: "Der Sigmar hat recht." Und kurz darauf noch mal: "Der Sigmar hat ja recht." Siebenmal in etwas mehr als einer halben Stunde bezieht sich Schulz auf Gabriel. Im Schnitt alle viereinhalb Minuten. So viel recht hatte Sigmar Gabriel lange nicht mehr.

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