Kandidaten für Bundestagswahl 2017:Göring-Eckardt und Özdemir sollen die Grünen retten

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Da sind sich zwei einig: Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir fotografieren ein Selfi nach der Bekanntgabe des Urwahl-Ergebnisses bei den Grünen. (Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/)
  • Nach der Urwahl der Spitzenkandidaten der Grünen, die Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir gewonnen haben, hofft die Partei auf bessere Umfragewerte.
  • Seit Monaten suchen die Grünen nach dem richtigen Kurs und ringt um Geschlossenheit - dazu will auch der in der Wahl unterlegene Robert Habeck beitragen.
  • Hätte statt dem Realo Habeck der Linke Anton Hofreiter knapp gegen Özdemir verloren, hätte das als Patt zwischen den beiden Parteiflügeln interpretiert werden können.

Von Stefan Braun

Am Anfang ist kein Lächeln. Als Cem Özdemir zu sprechen beginnt, scheinen ihm Vergangenes und Kommendes viel von seiner Freude zu nehmen. Eben noch, als ihm Blumen in die Hand gedrückt wurden, hat er für die Kameras ein fröhliches Gesicht gemacht, natürlich. Aber jetzt, da er zu sich und seinem Erfolg etwas sagen soll, schaut er drein, als müsse er eine Niederlage einräumen. An der ist er knapp vorbeigeschrammt; am Ende liegen nur 75 Stimmen zwischen ihm und dem Zweitplatzierten. Gewonnen ist aber gewonnen, und deshalb wird der 51-jährige Parteichef die Grünen an der Seite von Katrin Göring-Eckardt in den Wahlkampf führen.

Schon oft hat Özdemir über seine Herkunft gesprochen. So oft sogar, dass selbst seine eigenen Leute es manchmal nicht mehr hören können. Aber auf der Bühne der Berliner Ufer-Studios, eigens für diesen Auftritt errichtet, will er noch einmal daran erinnern. Er will sagen, wie besonders das ist - und was es ihm bedeutet. Spitzenkandidat einer Partei? Frontmann der Grünen? Nein, dass sei ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Einmal sagt er das, dann noch mal. Man mag es für bekannt halten. Für den Sohn türkischer Gastarbeiter ist es ein Riesenereignis.

Wie sehr das so ist, fällt auch im Kontrast auf. Vor ihm hat Katrin Göring-Eckardt gesprochen, die Fraktionsvorsitzende. Und sie hat es so lächelnd und kühl, so vorbereitet und medien-kompatibel gemacht, dass jeder sehen kann, wie anders die beiden in den Tag gestartet sind. Göring-Eckardt musste zwar befürchten, kein allzu gutes Ergebnis einzufahren. Aber sie wusste von Anfang an, dass sie dabei sein würde. Also konnte sie sich wochenlang auf diesen Moment vorbereiten. Und genau so wirkt ihr Auftritt auch. Sie schwärmt von der eigenen Fraktion, der "größten grünen Denkfabrik" weltweit; sie lobt die Partei als "größte grüne Bewegung" auf dem Erdball. Eine "tolle Wahl" sei das, "ein tolles Ergebnis" und ein großartiges Spitzenduo. Ja, mit ihr und Özdemir seien genau die richtigen Leute für diese Zeit gewählt werden.

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Ob das wirklich so ist, wird die Partei erst am Abend der Wahl wissen. Klar ist nur, dass die zwei es nun richten müssen. Die Frau aus dem Osten und der Schwabe mit türkischen Wurzeln - sie sollen retten, was die Grünen in den vergangenen Monaten an politischem Terrain, an Geschlossenheit und Linie verloren haben. Die Umfragen sind immer schlechter geworden. Derzeit liegen die Grünen bei acht bis zehn Prozent. Viel zu wenig ist das, gemessen am eigenen Anspruch. Und miserabel ist es, wenn man bedenkt, wie schlecht sich die anderen Parteien präsentieren. Zuletzt konnte man viele Grünen treffen, die die Lage als "beschissen" beschreiben.

Dabei könnte sie so viel besser sein. Die SPD sucht noch immer nach ihrer Spitze; die Union kann ihren Streit über die Flüchtlingspolitik nicht beenden. Dazu die Briten, die aus der EU aussteigen. Und ein neuer amerikanischer Präsident, der so ziemlich alles infrage stellt, was die Grünen ausmacht. Ökologie, Gleichberechtigung, Weltoffenheit, Einsatz für Minderheiten - plötzlich steht zur Disposition, was längst als erkämpft galt. Was für eine Welt - und was für eine Chance im Jahr 2017.

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Doch die Grünen haben sie bislang nicht ergriffen; sie sind bei der Suche nach dem richtigen Kurs beinahe verloren gegangen. Seit Monaten wirken sie wie ein Häuflein Unentschlossener, die nicht wissen, ob sie wirklich zusammengehören. Erst die schnelle Position von Parteichefin Simone Peter nach der zweiten Silvesternacht von Köln, die prompt und harsch korrigiert wurde; dann die missratene Absprache der Länder-Grünen zu Abschiebungen nach Afghanistan, Äußerungen zu Sexdiensten für Pflegebedürftige. Schließlich ein Ex-Spitzenkandidat Jürgen Trittin, der im Spiegel einen Auftritt hinlegte, der es in sich hatte. Seine Botschaft: Die, die nach ihm kamen, können nichts, sind zu blöd, sind unfähig. Deshalb könne nur er die Grünen wieder ins Licht führen. Auch wenn ihn das vor allem isoliert hat - das öffentliche Bild ist dadurch noch schlechter geworden. "Die Partei ist nicht mutig, nicht entschlossen, nicht geschlossen", sagt ein früherer Parteichef. "Derart offen ist das Machtvakuum selten zutage getreten."

So gesehen kann man verstehen, dass Michael Kellner bei der Verkündung des Ergebnisses alles unternimmt, um diesen Eindruck vom Tisch zu fegen. Ein "wunderbarer Morgen" sei das, nach einer "spannenden Nacht" mit einem "furiosen Ende", das beweise, wie spannend die Grünen seien. Kellner ist der Bundesgeschäftsführer der Partei; er hat vielleicht am meisten unter den Schwächen seiner Partei gelitten. Immer war er dabei; wenig durfte er selbst prägen. Deshalb war die Urwahl seine Hoffnung, sie wieder interessant zu machen. Würde es den Grünen helfen - Kellner würde durch einen brennenden Reifen springen, um das Bild aufzupeppen. Kein Wunder, dass er an diesem Morgen so sprudelt.

Zumal ihm die Mitglieder wenigstens ein bisschen in die Hände gespielt haben. Sie haben das Rennen spannender gemacht, als die meisten es erwartet hatten. Und sie haben aus seiner Sicht dafür gesorgt, dass anders als vor vier Jahren niemand mit einem katastrophalen Ergebnis heimgeht. "Alle sind heile rausgekommen", ist Kellners Satz des Tages.

Der erste Verlierer Robert Habeck könnte das freilich anders sehen. Er hat wirklich nur hauchdünn verloren. 12 204 gegen 12 129 Stimmen - Sprinter hätten nach dem Zielfoto gerufen. Doch wenn stimmt, was an diesem Tag von ihm zu vernehmen ist, dann ist er nicht erschüttert und nicht beleidigt, sondern bei allem Frust ziemlich stolz auf sein Ergebnis. Natürlich hätte er gerne gewonnen. Auf keinen Fall aber will er dazu beitragen, dass die Partei jetzt "nicht aus dem Quark kommt", wie der Norddeutsche Habeck es gerne ausdrückt.

Hätte Hofreiter mehr Stimmen bekommen - alles könnte anders sein

Was auch damit zu tun hat, dass Özdemir und er so weit nicht auseinander liegen, nicht in inhaltlichen Fragen und nicht persönlich. Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass der Kieler sich nicht aus der Politik verabschiedet, sondern gut überlegen wird, wo für ihn künftig der beste Platz sein könnte. Anders, vielleicht ganz anders wäre die Lage, wenn statt Habeck Anton Hofreiter derart knapp unterlegen wäre. Dann wäre die Gefahr groß gewesen, dass Realos und Linke das Ergebnis als Kopf-an-Kopf-Rennen und als Patt zwischen den Flügeln interpretiert hätten. Hofreiter jedoch hat deutlich weniger Stimmen erhalten. Mit gut 26 Prozent ist er freilich auch nicht abgestraft worden.

Dass mit 70 Prozent für Göring-Eckardt und knapp 36 für Özdemir nicht alle Gefahren gebannt sind, wissen die beiden. Beide betonen mehrmals, dass sie schon "bescheuert" und "dumm" sein müssten, wenn sie im Wahlkampf auf die Hilfe Habecks und Hofreiters verzichten würden. "Wir wollen deutlich zweistellig werden - da brauchen wir jeden." Nur der Name Trittin, der fällt nicht ein einziges Mal.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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