Wahl in Kanada:Wie Trudeau sich fast verzockt hätte

Canada's Liberal Prime Minister Justin Trudeau kisses his wife Sophie Gregoire during the Liberal election night party in Montreal

Kanadas Premierminister Justin Trudeau feiert in der Wahlnacht zusammen mit seiner Frau Sophie Grégoire. Der Sieg fiel aber nicht so deutlich aus wie erhofft.

(Foto: CARLOS OSORIO/REUTERS)

Mitten in der Pandemie hatte der kanadische Premier Neuwahlen ausgerufen. Die hat er zwar gewonnen - sein eigentliches Ziel hat der Liberale aber verpasst.

Von Christoph Koopmann

Es wirkte ein wenig, als wollte der Amtsinhaber auf Nummer sicher gehen: dass die Menschen sich auch wirklich daran erinnern, was er als Premierminister Kanadas so alles gemacht hat. Also twitterte Justin Trudeau vor Öffnung der Wahllokale noch einmal fleißig seine Bilanz in 280-Zeichen-Splittern: Seine Regierung habe für mehr Geschlechtergerechtigkeit gesorgt, einen Klimaschutz-Plan für Kanada erarbeitet, bessere Kinderbetreuung auf den Weg gebracht. Denn auch Trudeau wusste am Wochenende längst, dass es eng werden würde für ihn und seine Liberale Partei bei der Parlamentswahl, die er selbst vorgezogen hatte.

Doch er hat es geschafft, aber man muss sagen: gar nicht mal so souverän. Der staatliche Sender CBC prognostizierte schon am Montagabend (Ortszeit), dass Trudeau die Unterhauswahl gewonnen hat. Am Dienstagmorgen deutscher Zeit wies die CBC-Prognose 158 Sitze für seine Liberalen aus. Sie hatten auf deutlich mehr gehofft.

Weil aber auch die härteste Konkurrenz von der Conservative Party mit ihrem Spitzenkandidaten Erin O'Toole eher mäßig abschnitt, reicht es für Trudeau. Die Konservativen lagen in den Prognosen am Dienstagmorgen bei 119 Sitzen. Sollte sich dieser Trend nach Auszählung aller Briefwahlstimmen bestätigen, hätte sich an den Kräfteverhältnissen im kanadischen Unterhaus durch die Wahl fast nichts geändert: Vorher hatten die Liberalen 155 Sitze, die Konservativen 119.

Was die Frage aufwirft: Warum hat Trudeau ohne große Not Neuwahlen ausgerufen, mitten in einer vierten Welle der Corona-Pandemie?

Als Trudeau im August einigermaßen überraschend die Neuwahl ausrief, ist er sich ziemlich sicher gewesen, mehr oder weniger souverän die absolute Mehrheit zurückzugewinnen. Die hatte er 2015 geholt, mit 43, als Shootingstar der kanadischen Politik. Doch 2019, vier Jahre und einige Affären über die Verquickung politischer und persönlicher Interessen später, verloren Trudeau und seine Liberalen kräftig Sitze. Seitdem steht er einer Minderheitsregierung vor. Das ist zwar nichts absolut Außergewöhnliches in Kanada, aber es ist mühselig, weil sich Trudeau für jedes Vorhaben neue Bündnispartner suchen muss, denn feste Regierungskoalitionen sind unüblich.

Bei der vorgezogenen Neuwahl sei es ihm darum gegangen, ein starkes Mandat für seine Strategie in der Pandemiebekämpfung zu erringen - sagte Trudeau zumindest. Aber es liegt nicht ganz fern, was politische Beobachter vermuteten: dass es ihm vor allem darum ging, wieder eine stabile Mehrheit zu bekommen für eine etwas entspanntere dritte Amtszeit. Im kanadischen Unterhaus benötigt eine Partei 170 Sitze für die absolute Mehrheit, die hätte Trudeau gern mal wieder gehabt.

Und es sah ja auch gut aus vor etwas mehr als einem Monat. Die Umfragewerte jedenfalls sprachen deutlich für Trudeau, unter anderem wohl wegen seiner relativ erfolgreichen Corona-Eindämmung durch Hygieneregeln, Masken und Impfkampagne. Auch im Wahlkampf ist es dann viel um Corona gegangen, allerdings nicht so, wie sich Trudeau das vorgestellt haben dürfte. Erstens warfen ihm Kritiker vor, für die Sicherung seiner Macht die Gesundheit der Kanadier aufs Spiel zu setzen, indem er wertvolle Zeit für die Pandemiebekämpfung verschwendet und sie in Wahllokale lockt. Sein Konkurrent O'Toole nannte den Schritt gar "unkanadisch".

Zweitens machten es ihm die Gegner seiner Corona-Politik nicht leicht. Es waren vor allem Menschen, die mutmaßlich jede Schutzmaßnahme für überzogen halten und Impfungen ablehnen, die Trudeau bei seinen Wahlkampfauftritten ausbuhten und beschimpften. Einmal, in der Provinz Ontario, warf einer sogar mit Kieselsteinen nach dem Premier. Solche Szenen lagen wie ein Schatten über Trudeaus Kampagne.

Und es stellte sich relativ schnell heraus: So einfach wird es dann doch nicht. Zumal sich sein konservativer Herausforderer Erin O'Toole stärker zeigte, als Trudeau erwartet hätte. Losgelegt hatte der Konkurrent ohne nennenswerte Vorschusslorbeeren, die meisten Kanadier kannten den Wirtschaftsanwalt O'Toole nicht einmal, bis er vergangenes Jahr den Parteivorsitz der Konservativen übernahm. Da gab er sich noch als Hardliner, der CO₂-Steuern wie LGBT-Rechte gleichermaßen als Unfug abtat. Im Wahlkampf trat O'Toole allerdings deutlich gemäßigter auf, man könnte sagen: liberaler - auch, um enttäuschte Wähler von Trudeaus Liberalen abzugreifen.

"Nicht mehr über Politik oder Wahlen reden"

Mit Erfolg: In letzten Umfragen vor dem Wahltag standen sowohl die Liberal Party als auch die Conservative Party praktisch gleichauf bei etwa 30 Prozent. Nicht nur die von Trudeau gewünschte absolute Mehrheit war also schon vor der Wahl binnen weniger Wochen zu einem kühnen Traum verkommen. Der Premier musste sich sogar eingestehen, dass er sein Amt gleich ganz verlieren könnte. Nach absoluten Wählerstimmen lagen die Konservativen am Dienstagmorgen tatsächlich mit 34 zu 32 Prozent vor den Liberalen.

Doch weil die Mehrheiten der Konservativen sich auf recht wenige Regionen konzentrieren, vor allem in der Provinz Alberta, hätte O'Toole den Stimmanteil noch weiter ausbauen müssen. Den Liberalen kommt das kanadische Mehrheitswahlrecht zugute, weil sich ihre Anhänger über mehr Wahlbezirke verteilen und sie dementsprechend mehr Wahlbezirke gewinnen.

Mit dem ziemlich unbefriedigenden Ergebnis, dass sich praktisch nichts verändert hat, endet für Trudeau nun ein knapper Monat Spontanwahlkampf mitten in der Pandemie. Bei seiner Siegesrede in der Wahlnacht sagte der neue alte Premier: "Ihr wollt uns nicht mehr über Politik oder Wahlen reden hören. Ihr wollt, dass wir uns auf die Arbeit konzentrieren, die wir für euch erledigen müssen." Er dürfte recht haben.

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