Süddeutsche Zeitung

Kanada nach dem Flugzeugabsturz:"Wir haben alle ein gebrochenes Herz"

Lesezeit: 2 min

Während Kanadas Premier Iran den Abschuss der Boeing vorwirft, trauert das Land um die Opfer. An Bord waren viele Studierende.

Von Max Muth, Portland, und Thomas Balbierer

Die Flagge auf dem Peace Tower des Parlamentsgebäudes in der kanadischen Hauptstadt Ottawa weht seit dem Absturz des Flugs PS752 der Fluggesellschaft Ukraine International Airlines auf Halbmast. "Seid gewiss, dass alle Kanadier mit euch trauern", sagte der kanadische Premierminister Justin Trudeau an die Familien der ums Leben gekommenen Menschen gerichtet. Bei dem Absturz der Boeing 737 nahe Teheran waren mindestens 63 kanadische Staatsbürger ums Leben gekommen. Sie befanden sich auf dem Weg in die Heimat. Mindestens 75 weitere Fluggäste wollten ebenfalls über die ukrainische Hauptstadt Kiew nach Kanada fliegen, viele von ihnen internationale Studenten an kanadischen Universitäten, die nach dem Heimaturlaub an ihren Studienort zurückkehren wollten.

Kanadas Regierungschef erklärte am Donnerstag, dass es nachrichtendienstliche Hinweise gebe, dass das Flugzeug von einer iranischen Flugabwehrrakete abgeschossen worden sein könnte. Möglicherweise sei der Abschuss ein Versehen gewesen. Diese Nachricht sei "ein Schock" für die Familien, die angesichts der Tragödie ohnehin schon trauerten.

Der Grund, dass sich so viele Kanadier an Bord der ukrainischen Fluglinie befanden, sei das durch die US-Sanktionen gegen Iran eingeschränkte Flugangebot, erklärte Younes Zangiabadi, Forschungsdirektor des Iranisch-Kanadischen Kongresses ( ICC), einer Interessenvertretung der etwa 300 000 iranischstämmigen Kanadier, zu Global News Radio. Seit den Wirtschaftssanktionen habe es nur noch wenige Reisemöglichkeiten aus Kanada nach Iran und zurück gegeben. "Große Fluglinien wie Air France, British Airways, KLM und andere fliegen nicht mehr nach Iran", sagte Zangiabadi. Der Weg über die ukrainische Hauptstadt Kiew sei dabei noch eine der günstigsten Varianten gewesen. Dass andere Optionen wie Turkish Airlines deutlich teurer seien, erkläre laut Zangiabadi auch, warum so viele Passagiere des Unglücksflugs Studierende waren.

Unter den Opfern sind Studenten, Professoren und junge Ehepaare

Die University of Toronto bestätigte in einer Pressemitteilung den Tod von sechs Studenten. Der Präsident der Universität, Meric Gertler, reagierte mit "tiefem Kummer" auf den Verlust und betonte, "wie tief betrübt wir sind und wie besorgt wir um die Familien und Freunde derer sind, die ihr Leben verloren haben". Er sagte: "Wir haben alle ein gebrochenes Herz."

Der Toronto Star sammelte Informationen über nahezu alle Opfer auf einer Internetseite. Demnach habe der Flugzeugcrash auch das Leben von jungen Ehepaaren, Professoren und Familien ausgelöscht. Viele Opfer waren nach Iran gereist, um Freunde und Familie zu besuchen. Ein Professorenpaar, das an der University of Alberta tätig war, befand sich mit den beiden Töchtern an Bord der Boeing. "Sie waren eines der glücklichsten Paare, das ich jemals in meinem Leben gekannt habe", zitiert der Toronto Star Nooran Ostadeian, eine enge Freundin des Paares. "Ich möchte, dass sie als Symbol der Liebe in Erinnerung bleiben", so Ostadeian. Die beiden seien "großartige Lehrer für ihre Studenten" gewesen.

Iran weist die Vorwürfe eines Raketenabschusses zurück

Angesichts der Hinweise, dass die Maschine von einer iranischen Rakete abgeschossen worden sein könnte, sagte Kanadas Regierungschef Trudeau am Donnerstag in einer Pressekonferenz: "Die Familien der Opfer und alle Kanadier wollen Antworten. Ich will Antworten." Deshalb setze sich sein Land für eine "glaubwürdige Untersuchung" des Absturzes ein. Er forderte "Transparenz, Verantwortlichkeit und Gerechtigkeit" und drängte darauf, dass Iran kanadischen Offiziellen Zugang zum Land gewähre, um sich an der Aufklärung zu beteiligen.

Am Freitag meldete die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna, dass sich Vertreter aus Kanada, Frankreich und den USA an den von Iran organisierten Ermittlungen zum Flugzeugabsturz beteiligen würden. Die Experten würden nach Teheran reisen und an den Beratungen teilnehmen.

Iranische Regierungsvertreter bekräftigen nach wie vor, dass eine technische Ursache zu der Katastrophe geführt habe. "Wegen eines technischen Defekts hat die Maschine Feuer gefangen, und dies führte zum Absturz", sagte Verkehrs- und Transportminister Mohammed Eslami der Nachrichtenagentur Irna. Spekulationen über einen "verdächtigen" Absturz und Gerüchte über einen Abschuss der Boeing 737 oder eine Terroroperation seien alle falsch. Wie er zu diesen Erkenntnissen kam, sagte Eslami nicht.

Mit Material der Nachrichtenagentur dpa

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