Waffenrecht:Kanada zeigt den USA, wie es geht

Premierminister Justin Trudeau will ein altes Wahlkampfversprechen einlösen: ein faktisches Verbot von Faustfeuerwaffen.

Premierminister Justin Trudeau will ein altes Wahlkampfversprechen einlösen: ein faktisches Verbot von Faustfeuerwaffen.

(Foto: Patrick Doyle/Imago)

Nach den Massakern in den USA verschärft die kanadische Regierung das Waffenrecht. Ein Problem aber bleibt ungelöst: die illegal eingeführten Waffen.

Von Fabian Fellmann, Washington

Selbst im tollsten Land der Welt kommen den Menschen bisweilen Zweifel. Dann tippen sie "nach Kanada ziehen" in ihr Google-Suchfenster.

Die Zweifel verbreiten sich immer dann besonders stark, wenn es in den USA drunter und drüber geht. Das scheint in den Augen vieler Amerikanerinnen und Amerikaner derzeit der Fall zu sein: In den Tagen nach dem Massaker in der Grundschule von Uvalde in Texas sind die Suchanfragen zum Umzug in den Norden sprunghaft gestiegen.

Absolute Werte weist Google nicht aus, doch hat sich die Zahl der Suchen innerhalb von Tagen vervierfacht; so hoch wie jetzt waren sie letztmals kurz nach dem 6. Januar 2021, als die Bilder des gehörnten Trump-Schamanen um die Welt gingen. "Suchen Sie den amerikanischen Traum? Gehen Sie nach Kanada", schrieb unlängst der amerikanisch-indische Autor Parag Khanna. Er richtete seine Empfehlung nicht nur an Einwanderer, und er meinte nicht nur die niedrigeren Lebenskosten im Norden Amerikas.

Die Kanadier kokettieren nicht nur mit der Rolle der vernünftigen Nachbarn im Norden, denen die US-amerikanische Überdrehtheit abgeht. Als Premierminister Justin Trudeau am Montag eine deutliche Verschärfung der Waffengesetze vorschlug, musste er die Vereinigten Staaten nicht einmal beim Namen nennen, damit klar war, wovor er warnte. "Wir können die Waffendebatte nicht so polarisiert werden lassen, dass wir gar nichts mehr tun können", sagte Trudeau. "Das können wir in unserem Land nicht zulassen."

Faktisches Verbot von Pistolen

Nun will der liberale Premier ein altes Wahlkampfversprechen einlösen, indem er ein faktisches Verbot von Faustfeuerwaffen vorschlägt. Bereits von Herbst 2022 an soll es in Kanada illegal sein, solche Schusswaffen zu importieren, zu verkaufen oder das Eigentum daran zu übertragen. Gewalttäter sollen in Zukunft automatisch ihre Waffenlizenz verlieren, zum Beispiel bei häuslicher Gewalt oder Stalking. Künftig könnten kanadische Gerichte auch Waffen einziehen lassen von Personen, die eine Gefahr für andere oder sich selbst darstellen. Außerdem sollen Gewehre nur noch maximal fünf Schüsse halten dürfen, größere Magazine werden verboten. Die entsprechenden Gesetzesvorschläge will die Regierung demnächst im Parlament einbringen, die Chancen stehen gut, dass sie eine Mehrheit finden.

Schon vor zwei Jahren hat die Regierung Trudeau 1500 Waffenarten verboten, darunter Sturmgewehre des Typs AR-15. Nun schlägt die Regierung ein obligatorisches Rückkaufprogramm dafür vor: Die Eigentümer müssen die Waffen abgeben, werden aber dafür entschädigt. Die AR-15 waren in den USA soeben wieder in den Schlagzeilen. Der Amokläufer, der an der Grundschule in der texanischen Kleinstadt Uvalde 19 Kinder und zwei Lehrerinnen tötete, nutzte die Schnellfeuerwaffe.

Waffenrecht: Trauer an der Grundschule in Uvalde in Texas, wo ein junger Mann 19 Kinder und zwei Lehrerinnen erschossen hat.

Trauer an der Grundschule in Uvalde in Texas, wo ein junger Mann 19 Kinder und zwei Lehrerinnen erschossen hat.

(Foto: Eric Gay/AP)

Und ein anderer Amokläufer in einem Supermarkt in Buffalo im Bundesstaat New York zwei Wochen zuvor ebenfalls. Beide hatten solche Gewehre kurz nach ihrem 18. Geburtstag gekauft. Auch der Schütze in der Sandy-Hook-Grundschule hatte vor zehn Jahren bereits eine Waffe vom Typ AR-15 benutzt; er hatte in weniger als fünf Minuten 154 Schüsse abgefeuert.

In Kanada sind Massaker mit Schusswaffen weniger häufig als in den USA, doch frei von dem Problem ist das Land bei Weitem nicht. Das Verbot von Sturmgewehren etwa war eine Reaktion auf eine Schießerei in Nova Scotia im Jahr 2020, die 22 Personen das Leben kostete. In den USA gibt es pro Kopf viermal mehr Waffen, doch Kanada weist gemäß dem "Small Arms Survey" die zweithöchste Waffendichte unter den Industrieländern auf. Gewalttaten mit Pistolen und Gewehren sind in den vergangenen zehn Jahren häufiger, nachdem ihre Zahl vorher lange rückläufig war: Seit 2013 ist die Zahl um 50 Prozent gestiegen.

Illegale Waffen kommen per Drohne

Während viele Kommentatoren die jüngsten Pläne der Regierung in Ottawa begrüßten, wiesen sie auch darauf hin, dass diese nicht genügen. Ein Großteil der Verbrechen in Kanada wird nicht mit legalen Waffen begangen, sondern mit illegal aus den Vereinigten Staaten importierten Faustfeuerwaffen. Vor einigen Tagen machte eine Anekdote die Runde, in der ein Hundehalter im kanadischen Grenzgebiet zum US-Bundesstaat Michigan am St. Clair River mitten in der Nacht sein Tier Gassi führen musste und dabei einen Eindringling von seinem Grundstück verscheuchte. Die herbeigerufene Polizei fand eine Drohne mit einem Paket von elf aus den USA geschmuggelten Pistolen.

In den Vereinigten Staaten wären solch strenge Waffengesetze wie in Kanada wohl nicht mehrheitsfähig. Doch etwa zwei Drittel der Amerikaner unterstützen Einschränkungen des freien Waffenbesitzes. Im US-Kongress schlägt sich dies allerdings kaum nieder. Am Dienstag wollte ein Grüppchen von Senatoren der Republikaner und der Demokraten mögliche Kompromisse suchen. Zur Debatte steht etwa eine Wartefrist beim Kauf von Waffen, während der die Behörden den Hintergrund der Käuferschaft überprüfen können. Auch Präsident Joe Biden versprach am Sonntag Angehörigen in Uvalde, dass er "etwas tun" werde.

Nach dem Bekanntwerden der Pläne Kanadas schränkte Bidens Sprecherin Karine Jean-Pierre umgehend ein, er wolle in den USA keineswegs alle Faustfeuerwaffen verbieten. Das wäre rechtlich auch nur schwer möglich: Der zweite Zusatzartikel (Second Amendment) der US-Verfassung garantiert das Recht auf freien Waffenbesitz, das Oberste Gericht könnte demnächst selbst geringfügige Einschränkungen für verfassungswidrig erklären.

Doch wie schon nach früheren Amokläufen zeichnet sich auch diesmal ab, dass die Republikaner bereits im Senat alle Reformen blockieren werden. Vor den Zwischenwahlen verspricht diese Taktik am meisten Erfolg; die USA haben sich an Massaker gewöhnt. Zwei Tage nach der Schießerei in Uvalde beschäftigte das Thema die Amerikaner gemäß einer Auswertung von Interaktionen auf sozialen Medien stark. Doch schon eine Woche später ist das Interesse wieder komplett eingebrochen.

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