Kampf um Wirtschaftsmetropole Aleppo:Assads Bastion im Norden bröckelt

Mit deutscher Hilfe und viel Geld wurde die Altstadt Aleppos modernisiert, doch jetzt droht der Krieg in Syrien das Weltkulturerbe zu zerstören. Die Rebellen haben die wichtige Wirtschaftsmetropole erreicht und zeigen dem Regime: Es gibt in Syrien keinen sicheren Ort mehr für Assad-Anhänger.

Sebastian Gierke

"Stille Stadt", so nannten die Gegner des Regimes Aleppo. Das war verächtlich gemeint. Still zu sein, das setzten die Rebellen gleich mit Verrat am syrischen Volk. Tatsächlich war in der Stadt im Norden Syriens, an der Grenze zur Türkei, lange kaum etwas zu spüren von den blutigen Kämpfen, die weite Teile des Landes ergriffen hatten.

Aleppo Syrien Raketenangriff

Ein Rettungsteam untersucht den Ort eines Raketeneinschlages in Aleppo. Dieses Bild hat die staatliche Nachrichtenagentur SANA zur Verfügung gestellt.

(Foto: AFP)

Die Armee hatte die großen Einfallstraßen um die Metropole herum gesichert, die Menschen gingen im Inneren weiter ihren Geschäften nach. Die meisten Bewohner, vor allem aus der Mittel- und Oberschicht, hielten sich weitgehend aus dem Konflikt heraus, viele waren auf der Seite Assads, sahen ihn als Garant für Stabilität, als Garant dafür, dass in der Wirtschaftsmetropole weiterhin Geld verdient werden konnte.

Jetzt ist Lärm über Aleppo gekommen. Er ist bis in die sonst so belebten Straßen der zum UN-Weltkulturerbe zählenden Altstadt eingedrungen, hat sich durch die dicken Mauern gefressen, ist im Herzen angelangt, in dem prächtigen Bazar, berühmt für den Pfeffer und die Seife, die man dort erstehen kann.

Die Menschen hier flüchteten am vergangenen Wochenende in ihre Häuser, nur noch wenige wagten sich auf die Straßen, Polizei ist seither kaum mehr zu sehen. Von weit her war das Maschinengewehrfeuer zu hören, immer näher kam es. Und über der Stadt kreisten die Hubschrauber Assads. Das blutige Finale in Syrien hat begonnen, auch in Aleppo. Der Stadt steht das Schlimmste wohl erst noch bevor.

Die Altstadt von Aleppo ist ein über Jahrhunderte gewachsenes Labyrinth, wurde trotz der Abwanderung vieler Menschen, trotz Verarmung und zunehmender Vernachlässigung bereits im Jahr 1986 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt. In osmanischer Zeit war die Stadt eine bedeutende Handelsmetropole, Knotenpunkt der Karawanenstraßen, die Europa mit Asien verband. Zwischen der Zitadelle und der großen Moschee erstreckt sich auf 350 Hektar der Souk: ein Marktlabyrint. Überdachte Gassen, Hunderte kleine Geschäfte, die jetzt dem Bürgerkrieg zum Opfer fallen könnten.

Das befürchtet auch Anette Gangler. Sie ist Vorsitzende des Vereins der Freunde der Altstadt von Aleppo und war kurz vor Ausbruch der Unruhen zum letzten Mal in dort. Ihr Verein war es, der das Zentrum für Internationale Zusammenarbeit (GIZ/ehemals GTZ) für das Projekt "Sanierung und Entwicklung der Altstadt von Aleppo" gewonnen hat.

"Aleppo ist eine der ältesten, durchgehend bewohnten Städte der Welt: Seit 5000 Jahren siedeln hier Menschen". Wenn die Stadtplanerin erzählt, spürt man die Faszination und die Sorge um die Stadt. "Man findet dort altorientalische, frühchristliche, islamische Spuren. Das ist die Wiege unserer europäischen Kultur! Die wollten wir erhalten. "

Zwischen 1993 bis 2007 erhielt das GIZ zehn Millionen Euro aus Mitteln des deutsch-syrischen Schuldenerlassabkommens. Damit wurde die Infrastruktur modernisiert, Häuser renoviert. Viele Bewohner, die die Altstadt eigentlich verlassen wollten, konnten dadurch zum Bleiben bewegt werden. "Wir haben viel erreicht", sagt Gangler. Doch die sichtbaren Erfolge, sie könnten bald zunichte gemacht werden - von Raketen und Panzern.

"Nonstop hören wir Bomben"

Ein Geschäftsmann aus Aleppo berichtet bereits von Kämpfen an Bab al-Hadid und Bab al-Nasr, zwei der Tore zur Altstadt. Ein Oppositioneller sagte der Nachrichtenagentur Reuters am Telefon, die Aufständischen versuchten die Kontrolle über das Bazar-Viertel zu gewinnen. Sechs Stadtteile hätten sie bereits erobert. Solche Aussagen lassen sich allerdings kaum bestätigen.

SYRIA-RELIGION-ISLAM-CULTURE-ALEPPO

Ein Bild der Altstadt Aleppos aus dem Jahr 2006. Das Weltkulturerbe ist von dem Bürgerkrieg in Syrien bedroht.

(Foto: AFP)

Auch in Arkub nahe dem Zentrum wird offenbar gekämpft. "Es ist wie in einem Kriegsgebiet. In großen Teilen der Stadt gibt es Straßenkämpfe", zitiert Reuters einen Aktivisten. "Aleppo hat sich Homs, Hama und anderen revolutionären Städten angeschlossen."

Rebellen-Kommandeur Mustapha Abdullah erklärte, aus dem Umland strömten immer mehr Kämpfer in die Stadt. Die Regierungstruppen versuchten dies mit dem Beschuss von Zielen im Norden der Stadt zu unterbinden. Sana, die amtliche Nachrichtenagentur, meldet, Soldaten hätten den Rebellen bei Kämpfen in den Vierteln Salaheddine und Sukkari schwere Verluste zugefügt.

In den Vororten der Stadt war die Krise bereits lange vorher gegenwärtig, wie ein Brief dokumentiert, den der amerikanische Syrien-Experte Joshua Landis im März auf seinem Blog veröffentlichte: "Immer mehr Syrer realisieren, dass der Staat die Kontrolle verliert und nehmen die Dinge in ihre eigenen Hände", schreibt darin ein Bewohner Aleppos. Auch die wohlhabenden Geschäftsleute hätten die Realität erkannt.

Immer mehr wurde Aleppo seither zu einem wichtigen Austragungsort des Konflikts, immer mehr Einfluss erlangten die Rebellen. Laut der Organisation Adopt-a-Revolution, die die Aufständischen unterstützt, lautete bereits am 8. Juli das Motto des Freitagsgebets in der Stadt: "Händler und Revolutionäre Hand in Hand bis zum Sieg".

Homs, Deraa, Rastan oder Hama sind bereits teilweise stark zerstört. Das gleiche Schicksal droht nun Aleppo - mit weitreichenden Folgen. Die größte Stadt Syriens mit mehr als zwei Millionen Einwohnern ist auch eine Wirtschaftsmetropole. Sie ist das industrielle Zentrum des Landes. Gut ein Drittel der syrischen Exportgüter - mit Ausnahme von Erdöl - werden hier produziert.

"Nonstop hören wir Bomben"

Mit allen Mitteln, mit Hubschraubern und Kampfflugzeugen, versuchen die Streitkräfte des Regimes deshalb im Moment, Aleppo wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. (Zwei offenbar am vergangenen Dienstag aufgenommene Videos zeigen Jets über Aleppo). "Nonstop hören wir Bomben auf die Stadt fallen", sagte eine Hausfrau der Zeitung Financial Times am Telefon. "Zum ersten Mal haben wir das Gefühl, dass Aleppo sich in einen Kriegsschauplatz verwandelt hat." Assad hat offenbar 2000 Soldaten mit Panzern und Artillerie aus Idlib abgezogen und nach Aleppo beordert.

Wer Aleppo und Damaskus kontrolliert, der kontrolliert Syrien. Das wissen alle Konfliktparteien. Damaskus scheint seit Dienstag wieder unter der Kontrolle von Assads Truppen zu stehen, die Großoffensive der Rebellen wurde offenbar zurückgeschlagen. Und auch in Aleppo sind die Aufständischen noch weit davon entfernt, die Kontrolle über die Stadt zu übernehmen. Doch dass es ihnen gelungen ist, die Gefechte direkt vor die Tore der Altstadt zu tragen, zeigt: Mit der Stille ist es im ganzen Land endgültig vorbei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: