Kampf um Konstantinopel:Wie die Araber am Bosporus scheiterten

Türkei - Theodosianische Mauer

Die stärkste Festung der Spätantike: Landmauern von Konstantinopel, heute Istanbul.

(Foto: H. Wilhelmy/dpa)

Vor 1300 Jahren kam der Siegeszug des Islam an den Mauern Konstantinopels zu stehen, dem heutigen Istanbul. Das Oströmische Reich gewann mit Finesse und einer geheimen Waffe - ein weltpolitischer Einschnitt.

Von Joachim Käppner

Der Anblick muss so furchterregend wie großartig gewesen sein. Hunderte Schiffe näherten sich der Stadt, ihre Segel blähten sich im Südwind. Die Bewohner Konstantinopels standen auf den Seemauern und blickten auf die Armada des Kalifen, die gekommen war, das Oströmische Reich zu zerschmettern.

Angeblich 1800 Schiffe liefen in den Bosporus ein. Weit auseinandergezogen formierten sie sich zur Attacke auf die Hauptstadt des Oströmischen Reiches, viele der Ruderschiffe trugen schwere Enterbrücken, auf denen die Krieger die Zinnen der Seemauern stürmen wollten.

Etliche Großschiffe der Nachhut, beladen mit Waffen und Soldaten, verloren den Anschluss. Was dann an diesem 3. September 717 geschah, vor 1300 Jahren, schildert der griechische Geschichtsschreiber Theophanes:

"Weil aber Windstille eintrat, als sie eben gegen die Strömung fuhren, wurden sie wieder nach außen getrieben. Der gottesfürchtige Kaiser ließ sogleich seine Feuerschiffe ausfahren und steckte sie unter Gottes Beistand in Brand. Die Feinde aber wurden angesichts der verheerenden Wirkung des flüssigen Feuers von gewaltigem Schrecken ergriffen."

So begann die lange, fast ein Jahr dauernde Belagerung Konstantinopels 717/18 durch die Heere des Islam.

Die Metropole mit Hunderttausenden von Einwohnern, 330 neu gegründet und zur Hauptstadt erhoben vom römischen Kaiser Konstantin, hatte in der Spätantike Rom längst den Rang abgelaufen. Sie lag an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien günstiger, war reicher und vor allem sicherer als die alte Hauptstadt des Imperiums.

Die stärkste Festung ihrer Zeit, damals uneinnehmbar

Als zu Beginn des 5. Jahrhunderts die germanische Völkerwanderung so richtig losbrach, ließ Kaiser Theodosios Konstantinopel neu befestigen. In den Dreißigerjahren erforschte das Deutsche Archäologische Institut die nach dem Kaiser benannten Mauern und veröffentlichte ein zweibändiges Werk darüber, in dem es heißt: "Hier finden wir ein gründlich durchdachtes System, das sich alle Künste der damaligen Architekten und Ingenieure zu eigen macht."

Die langen Seemauern, vor allem aber die Landmauern, bildeten die stärkste Festung ihrer Zeit, "für damalige Verhältnisse uneinnehmbar".

Ein tiefer Graben lag vor den drei noch oben gestaffelten Mauerzügen, die hohen Türme waren mit Wurfgeschützen bewehrt. Jeder Bürger hatte zur Instandhaltung und Verteidigung der Festung beizutragen.

Schon beim ersten arabischen Großangriff 674 bis 678 hatten die Mauern der "gottbehüteten Stadt" standgehalten. Nun kamen die Heere des Kalifen zurück. Kurz vor der Flotte war das arabische Landheer unter dem Kriegsherrn Maslama vor den Toren erschienen.

Wie Theophanes berichtet, gruben die Araber "um die Landmauer einen gewaltigen Graben und errichteten darüber einen brusthohen Wall aus Steinen". So schnitten sie die Riesenstadt zugleich von ihren landseitigen Versorgungswegen ab. Doch alle Angriffe auf die Mauern scheiterten unter hohen Verlusten.

Der neue Kaiser Leon III., ein erfahrener General, hatte alles zur Verteidigung vorbereiten lassen, Zehntausende Soldaten standen bereit.

Am Ende seines Lebens saß der Kaiser verstört am Ufer und weinte bei der kleinsten Welle

Die Eroberung der Kaiserstadt sollte den Triumphzug des Islam krönen, der um 630 begonnen hatte, und seinen zähesten und härtesten Gegner niederwerfen: das oströmische, byzantinische Reich.

Das griechisch geprägte Ostrom hatte das Ende des Westreiches 476 überstanden, es beherrschte den Balkan, Kleinasien, Palästina, Ägypten.

In der langen Regierungszeit des Kaisers Justinian (527 bis 565) eroberten seine Söldnerheere die westliche Mittelmeerwelt von den germanischen Herrschern der Völkerwanderungszeit, Vandalen und Goten, zurück.

Griechisches Feuer

Das „flüssige Feuer“ vernichtete 717/18 die arabische Flotte (Chronik des Skylitzes, 11. Jahrhundert).

(Foto: Gemeinfrei)

Mit seinen teuren, endlosen Kriegen hatte Justinian jedoch die Kräfte heillos überspannt. Nach seinem Tod brachen alle Dämme, eine slawische Völkerwanderung überrannte den Balkan, bis auf Nordafrika gingen die Eroberungen weitgehend verloren.

Der große Kaiser Herakleios wehrte in einem mörderischen siebenjährigen Krieg 622 bis 629 zwar einen Vernichtungsfeldzug der Perser ab, nie zuvor hatten Roms alte Widersacher eine solche Niederlage erlitten - in diesem Moment des Triumphes aber brach aus den Wüsten Arabiens der Sturm des Islam los.

Kampf um Konstantinopel: Rekonstruktion der beiden inneren Mauerringe durch deutsche Archäologen.

Rekonstruktion der beiden inneren Mauerringe durch deutsche Archäologen.

(Foto: Fritz Krischen)

Die arabischen Reiterheere, befeuert durch die neue Religion, stießen auf die erschöpfte, verheerte Welt der Spätantike. Sie fegten das Reich der persischen Sassaniden fort, schlugen 636 am Yarmuk den alten Kaiser Herakleios; im folgenden Jahr zog der Kalif Omar in Jerusalem ein.

Effektives System von Militärbezirken mit einer Art Wehrpflicht

Sie entrissen den Byzantinern die durch Krieg, Religionszwiste und Steuerdruck entfremdeten Provinzen Palästina, Syrien, Ägypten und gegen Ende des 7. Jahrhunderts noch das westliche Nordafrika. Die hellenistisch geprägte Welt des Nahen Ostens versank binnen weniger Jahre.

Für viele Unterworfene war der Islam durchaus attraktiv, wer sich ergab oder gar konvertierte, lebte oft unter weniger drückenden Verhältnissen als zuvor. Die Araber vernichteten bis 711 wie im Vorübergehen das Westgotenreich in Spanien.

"Im Westen wie im Osten stehen wir am Grab der alten Kulturen", schrieb der Historiker Ernst Kornemann über das Ende einer Welt. Nichts und niemand schien die Mohammedaner aufhalten zu können.

Außer dem Reich der Rum, wie die Araber sagten, dem schwer angeschlagenen, aber nicht besiegten Ostrom. Herakleios, von dem es heißt, er habe die letzten Monate vor seinem Tod 641 verstört am Ufer des Bosporus gesessen und sei bei den kleinsten Wellen in Tränen ausgebrochen, hatte die Araber nicht schlagen können, aber sein Restreich abwehrbereit gemacht.

Ein effektives System von Militärbezirken mit einer Art Wehrpflicht ersetzte die unzuverlässigen Söldnertruppen Justinians. Die Männer, die nun der neuen Weltmacht entgegentraten, kämpften um ihr Land und ihre Religion, das griechische Christentum.

Aber ihr Feind war von beängstigender Stärke. Aus den arabischen Stammeskriegern hatte der Religionsgründer Mohammed erstmals eine politisch und religiös einheitliche Bewegung geformt; aus ihr entstand das zunächst von Damaskus aus regierte Riesenreich des Kalifats der Umayyaden, vom Hindukusch bis an die Grenzen Südfrankreichs.

Und nun griff der Kalif Sulayman nach Konstantinopel. Maslama befahl immer neue Stürme auf die Landmauern, ließ sie durch riesige Katapulte beschießen, er verbrannte die Paläste der reichen Byzantiner entlang des Meeres.

Von den Seemauern aus sah es aus, als brenne das Meer bis zum Horizont

Doch byzantinische Reitertruppen attackierten seine Verbände von Westen her, er verlor viele, zu viele Männer in den Kämpfen und durch Naturgewalten, so Theophanes: "Da in Thrakien ein sehr kalter Winter war, so dass etwa hundert Tage Schnee lag, büßten die Feinde eine Menge Pferde, Kamele und andere Tiere ein. Einige behaupten, dass sie auch Leichen verzehrten. Es befiel sie daher eine pestartige Krankheit, und es gingen unzählige zugrunde."

Im Frühjahr 718 schickte der Kalif eine Flotte zur Verstärkung; christliche Überläufer "verkündeten dem Kaiser, dass das Meer von Masten bedeckt zu sein scheine". Leon III. entschloss sich trotz der Übermacht zu einem Präventivschlag. Die byzantinischen Dromonen, große Kampfschiffe mit je zwei Ruderreihen, machten sich in den Häfen kampfbereit.

An Deck wurden "mit flüssigem Feuer gefüllte Röhren" montiert, so Theophanes. Diese Erfindung nannte sich griechisches Feuer, es hatte den Arabern schon während der ersten Belagerung Konstantinopels hohe Verluste bereitet.

Die Rohre verschossen eine bis heute nicht bekannte Mischung, die nicht zu löschen war und noch auf den Wellen brannte - gegen hölzerne Schiffe mit Segeln eine furchtbare Waffe. Die Formel für das um 670 von dem Griechen Kallinikos erfundene griechische Feuer war Staatsgeheimnis, sie lag in einem Tresor des kaiserlichen Palastes.

Leons Geschwader griffen die arabische Flotte überraschend an: "Auf die Fürbitte der unbefleckten Gottesmutter behalf ihnen Gott, und so wurden die Feinde ins Meer versenkt. Die Unsrigen erbeuteten ihre Waffen und ihre Lebensmittel und kehrten mit großer Siegesfreude heim", schreibt Theophanes. Von den Seemauern aus sah es aus, als brenne das Meer bis zum Horizont.

Bald danach verlor Maslamas Landheer bei einem Angriff der von byzantinischem Gold motivierten wilden Bulgaren Tausende Männer. Am 15. August 718 hob er die Belagerung auf, nur um zu erleben, so Theophanes zufrieden, wie "ein schreckliches Gericht Gottes hereinbrach" über das heimsegelnde Heer. Ein Sturm versenkte die Flotte, so dass nur wenige Schiffe die syrischen Heimathäfen erreichten.

Byzanz und das Kalifat blieben für Jahrhunderte wie "zwei Sterne in der Nacht"

Der Byzantinist Ekkehard Eickhoff hat das historische Gewicht dieses Ereignisses treffend beschrieben:

"Hätte ein siegreicher Kalif zu Beginn des Mittelalters bereits Konstantinopel zur Hauptstadt des Islam gemacht, wie es beim Ausgang des Mittelalters durch die Osmanen geschah - die Folgen für das christliche Europa wären kaum zu ermessen. Selbst wenn die Franken, wie es Karl Martell 732 bei Tours und Poitiers gelang, den Angriff des Kalifats hätten abwehren können - es wäre dies eine ganz andere, von ihren mittelmeerischen Quellen abgeschnittene Kultur geworden und das Mittelmeer binnen Kurzem ein arabisches Binnenmeer."

So bewahrten Byzanz und die arabischen Reiche ein Gleichgewicht des Schreckens, das zugleich vom Austausch der beiden Hochkulturen geprägt war. "Zwei Sterne in der Nacht" seien das Reich des Kalifen und jenes der Rum, schrieb ein arabischer Gelehrter.

Erst der Einbruch der Türken im 11. Jahrhundert veränderte diese Welt vollkommen. 1204 überwanden die Kreuzritter von See her erstmals die Mauern der Stadt.

1453 eroberten die Türken Konstantinopel, nachdem eine neue Waffe, die Kanonen, Breschen in die Landmauern geschossen hatten. Und die Mauern, die über die Jahrhunderte Hunnen, Avaren, Persern, Arabern, Bulgaren standhielten, sind immer noch da, am westlichen Rand der Altstadt von Istanbul, jenseits der Touristenrouten; an einigen Stellen vorbildlich restauriert, an anderen verkommen und eingestürzt.

Über gut sieben Kilometer laufen die Dreifachmauern, dazwischen Ziegenherden, Salatgärten, Hütten von Armen; im Schutz mancher eingefallener Türme verkaufen finstere Gestalten Drogen, an den Toren bieten Straßenhändler dubiose Heilmittel an oder junge Katzen.

Vor gut 80 Jahren wird das wohl wenig anders ausgesehen haben, doch schrieben die deutschen Archäologen in Istanbul, unberührt von den Niederungen der Gegenwart:

"Das gigantische Bollwerk legt jetzt noch, in all seiner, von der gütigen Natur mitleidig mit Grün und Sträuchern verhüllten Ohnmacht, beredtes Zeugnis ab von der glanzvollen Herrlichkeit eines Imperiums, das ein Jahrtausend lang Kultur, Kunst und Schönheit beschirmt hat."

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