Kampf gegen HIV:Gefährliche Lässigkeit

Kampf gegen HIV: In Schwellenländern wie Indonesien – hier Studenten in Surabaya bei einer Mahnwache – fehlt es an Geld für den Kampf gegen Aids.

In Schwellenländern wie Indonesien – hier Studenten in Surabaya bei einer Mahnwache – fehlt es an Geld für den Kampf gegen Aids.

(Foto: Juni Kriswanto/AFP)

In Industrienationen wie Deutschland hat Aids seinen Schrecken verloren. Das bremst den Kampf gegen die Seuche - und begünstigt ihre Verbreitung. Die Zahl der HIV-Infektionen ist weltweit zu hoch.

Von Christoph von Eichhorn

Der medizinische Fortschritt ist bei der Bekämpfung von HIV eine zweischneidige Sache. Einerseits ist ihm zu verdanken, dass die Diagnose HIV-positiv heute kein Todesurteil mehr sein muss. Dank neuer Medikamente können Menschen vielerorts ein völlig normales Leben führen, obwohl sie das HI-Virus in sich tragen, aus dem sich die tödliche Immunschwächekrankheit Aids entwickeln kann. Aids hat seinen Schrecken in den Industrienationen verloren. Andererseits ist genau das ein Problem: Wenn es die reichen Staaten nicht mehr kümmert, fließt weniger Geld in die Forschung, weniger Geld in die Bekämpfung der Epidemie. In 50 Ländern der Welt steigt die Zahl der Neuinfektionen. Selbst in einigen EU-Staaten wie Tschechien, Ungarn oder der Slowakei infizieren sich heute deutlich mehr Menschen als noch vor einigen Jahren mit HIV.

Von diesem Montag an werden Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten auf der Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam fordern, dass die Welt den Kampf gegen die Seuche wieder ernst nimmt. Führende Forscher warnen im Fachjournal The Lancet: Die Weltgemeinschaft werde ihr Ziel verfehlen, HIV bis 2020 unter Kontrolle zu bringen und bis 2030 ganz zu besiegen. Schlimmer noch: Sollte die "gefährliche Nachlässigkeit" im Kampf gegen HIV nicht aufhören, sei ein Wiedererstarken der Epidemie "unvermeidlich".

Heute leben etwa 39 Millionen Menschen weltweit mit dem HI-Virus, jedes Jahr stirbt knapp eine Million Menschen an den Folgen der Infektion. In Deutschland zählt die Aidshilfe für das Jahr 2016 knapp 90 000 Infizierte und 460 Todesfälle. Vor allem die vielen Neuinfektionen geben Anlass zur Sorge. Jährlich infizieren sich 1,8 Millionen Menschen weltweit. Das Ziel, bis 2020 jährlich weniger als 500 000 neue Infektionen zu zählen, ist weit entfernt. Die Hauptursache ist ungeschützter Geschlechtsverkehr. Vor allem in Osteuropa, Russland und Zentralasien infizieren sich auch viele beim Spritzen von Drogen.

Modellrechnungen sagen eine Ausbreitung der Epidemie voraus

Hinzu kommt der demografische Wandel: Derzeit stehen so viele junge Menschen wie nie an der Schwelle zur Jugend und zum Erwachsenenalter. Sobald diese Generation sexuell aktiv wird, wächst für sie die Gefahr, sich zu infizieren. Modellrechnungen zufolge könnte eine Mischung aus hohem Bevölkerungswachstum, vernachlässigter Vorbeugung und wenig Geld für Medikamente die Epidemie in naher Zukunft wieder verschlimmern.

Dabei kann die Welt auf beachtliche Erfolge zurückblicken: Insgesamt sterben heute nur noch halb so viele Menschen an Aids wie vor 15 Jahren, als die Epidemie in manchen afrikanischen Staaten außer Kontrolle zu geraten schien. Dank neuer Medikamente leben viele HIV-Infizierte heute länger. Solche antiretrovirale Therapien heilen die Krankheit zwar nicht, unterdrücken aber die Ausbreitung des Virus im Körper. 21 Millionen Menschen nehmen solche Arzneien, 30 Mal mehr als zu Anfang des Jahrtausends. Doch noch immer haben Millionen Menschen vor allem in Entwicklungsländern keinen Zugang zu den Medikamenten. Viele ahnen nichts davon, dass sie HIV-positiv sind, und können daher auch nicht behandelt werden.

Es fehlt am Ausgleich, die reichen Länder überweisen weniger Geld an die armen. Den Vereinten Nationen zufolge schrumpfte die internationale Unterstützung zur Bekämpfung von HIV und Aids zwischen 2013 und 2016 um ein Fünftel, auf etwa sieben Milliarden Euro jährlich. Zuweilen kann das positive Ursachen haben: So stecken manche Entwicklungsländer heute mehr Geld aus eigener Tasche in die Bekämpfung des Virus. Doch insgesamt fehlen Investitionen. Nach Schätzungen wären mehr als sechs Milliarden Euro jährlich zusätzlich nötig, um HIV weltweit einzudämmen. Ein weiteres Problem: Solange HIV nicht geheilt werden kann, müssen Infizierte die Medikamente ihr Leben lang nehmen, damit sie nicht krank werden. Das ist eine enorme Belastung für die Gesundheitsbudgets mancher Länder.

In anderen Staaten blockiert die Politik wirksame Maßnahmen. So ist in Russland der Zugang zu Opioid-Ersatztherapien, sauberen Spritzen und antiretroviralen Medikamenten für Süchtige stark eingeschränkt. Fachleute machen die Politik dort dafür verantwortlich, dass sich die Epidemie in Teilen Russlands massiv ausgeweitet hat. In Osteuropa und Zentralasien hat sich die Zahl der Neuinfektionen seit 2010 verdoppelt.

So werden die sogenannten 90-90-90-Ziele der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2020 deutlich verfehlt. Damit ist gemeint, dass 90 Prozent aller HIV-Infektionen erkannt, 90 Prozent der bekannten Infektionen behandelt werden und die Krankheit bei 90 Prozent der Behandelten unter Kontrolle ist. Mit dieser Quote wäre es nach Einschätzung von Epidemiologen möglich, HIV zu besiegen. Aber selbst reiche Länder wie die USA tun sich schwer. Nur bei der Hälfte der HIV-Infizierten in den USA wird das Virus mithilfe von Medikamenten in Schach gehalten. Dass es grundsätzlich machbar ist, hat Schweden bewiesen: 2016 erreichten die Skandinavier als Erste die 90-90-90-Ziele. Deutschland ist nah dran: Im Jahr 2016 stand es 86-86-93.

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