Kampf gegen die Schuldenkrise:Wo sich die Zukunft des Euro entscheidet

Das griechische Chaos strebt seinem Höhepunkt zu. Doch so schmerzlich er für die EU wäre - ein vorläufiger Abschied Griechenlands ist zu verkraften. Weder Europa noch der Euro werden allein wegen Griechenland untergehen. Eine Pleite Italiens als drittgrößte Volkswirtschaft könnte die Gemeinschaft jedoch nicht schultern. Schuld an der dramatischen Lage ist Ministerpräsident Berlusconi - und nur der neue Chef der Europäischen Zentralbank könnte ihn zum Sparen bringen.

Cerstin Gammelin

Verwirrung in Athen und Verzweiflung in Cannes: Europas schwere Krise bestimmt weltweit die Tagesordnung. Und niemand kann - trotz der Rücknahme der Referendumspläne - zuverlässig abschätzen, ob gerade die letzten Atemzüge Griechenlands als Mitglied des Euro-Klubs zu hören sind, oder ob das Schnaufen der Hellenen der Anstrengung geschuldet ist, eine handlungsfähige Notregierung auf die Beine zu stellen.

PK nach erster EZB-Ratssitzung unter dem neuen Praesidenten Mario Draghi

Könnte seinem Landsmann Silvio Berlusconi drohen, keine italienischen Staatsanleihen mehr aufzukaufen - der neue EZB-Chef Mario Draghi.

(Foto: dapd)

Derweil können die Chefs der 20 mächtigsten Volkswirtschaften am schönen Strand von Cannes spazieren gehen. Sie haben auf ihrem Gipfeltreffen vorerst nichts zu entscheiden, solange unklar bleibt, ob sich das griechische Chaos zu einem europäischen Drama auswächst und ob es gelingt, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen.

Das Vorhaben erscheint so unwägbar wie noch nie. Denn ausgerechnet in dem Moment, in dem das Epizentrum der Krise nach einem nächtlichen Gipfel-Großeinsatz zur Ruhe zu kommen schien, wird vielstimmig und heftig über die Zukunft Griechenlands gestritten. Premier Giorgos Papandreou will eine nationale Übergangsregierung bilden, doch ob das klappt und wie diese aussehen könnte, ist offen.

Unklar ist auch, ob die Kreditgeber die nächste Rate aus dem laufenden Hilfsprogramm auszahlen und die Griechen die versprochenen Reformen umzusetzen bereit sind, ob Hellas in der Währungsgemeinschaft und in der Europäischen Union bleibt - und welche Schockwellen das alles in Europa auslösen wird. Das griechische Chaos strebt seinem Höhepunkt zu. Und es entwickelt eine bedrohlich europäische Dimension.

Griechische Opposition zeigte sich egoistisch

Egal, wie der Schlussakt in Athen aussehen wird: Es wäre falsch, das ganze Chaos nun Papandreous Ankündigung anzulasten, das Volk zu befragen. Es sei vielmehr erinnert an die verzweifelten Bitten konservativer Staats- und Regierungschefs, die griechische Opposition unter Antonis Samaras möge doch die nötigen Reformen im Land auch unterstützen. Man bat, flehte und argumentierte: vergeblich. Samaras zeigte sich trotz höchster Not egoistisch und parteipolitischen Interessen verpflichtet - und nicht denen des gesamten griechischen Volkes. So trugen viele griechische Politiker mit dazu bei, ihr eigenes Land politisch und wirtschaftlich zu ruinieren und in der EU sukzessive den letzten Rest an Verständnis und Bereitschaft zu verspielen, sich solidarisch zu zeigen.

Die Krise in Italien ist akut und dramatisch

Zur Wahrheit gehört auch: Weder Europa noch der Euro werden allein wegen Griechenland untergehen. Tatsächlich wird das Schicksal der Gemeinschaft in einem ihrer Gründerländer entschieden. Während nämlich alle Zuschauer gebannt nach Athen blicken und sich die Augen reiben, hat ein paar hundert Kilometer entfernt das wahre Finale der europäischen Schuldenkrise begonnen: Unabhängig von den Hellenen wird sich an Italien entscheiden, ob der Euro und die Gemeinschaft überleben können oder nicht. So schmerzlich es für Europa wäre: Ein (vorläufiger) Abschied von Griechenland ist zu verkraften. Das schöne, stolze Italien allerdings hat eine viel entscheidendere Dimension: 60 Millionen Einwohner, drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Klubs und 1200 Milliarden Euro Schulden. Eine Pleite dieses Landes kann der Klub politisch und wirtschaftlich nicht schultern.

Die Krise in Italien ist akut und dramatisch. Schuld daran ist die desaströse Regierung Berlusconi. In den griechischen Wirren ist beinahe untergegangen, dass Premier Silvio Berlusconi nur bedingt anerkennen will, dass er sparen und reformieren muss. Notgedrungen räumte er zwar kürzlich ein, dass die Italiener ein bisschen über ihre Verhältnisse lebten. Doch das ist für den umtriebigen Politiker kein Grund zu handeln. Er hatte zwar im Sommer einen Sparplan vorgelegt und auch in der vergangenen Woche auf ein paar Seiten einige Vorschläge zum Gipfeltreffen der Euro-Länder mitgebracht. Was davon zu halten ist, haben ihm die Finanzmanager umgehend bescheinigt: nichts. Als dann Rom Ende vergangener Woche eine Anleihe ausgab, um seine Schulden zu finanzieren, stiegen die Zinsen auf neue Rekordhöhe.

Draghi schrieb Berlusconis Sparplan für Brüssel

Das ist fatal. Das ohnehin hochverschuldete Italien muss immer höhere Schulden aufnehmen, um die alten zu bezahlen. Die Spirale dreht sich, und sie wird sich immer schneller drehen, solange Berlusconi nicht spart und reformiert - oder dazu gezwungen wird. Hier tut sich ein neues Dilemma auf: Die Euro-Chefs können Berlusconi nicht öffentlich schelten, da sie damit Öl ins Feuer der Spekulanten gießen würden, ganz abgesehen davon, dass sie den Nationalstolz der Italiener empfindlich und wohl unverzeihlich verletzten. Es gibt nur eine Person, die Berlusconi zwingen kann, zu handeln oder aufzugeben. Es ist der Italiener Mario Draghi, der neue Präsident der Europäischen Zentralbank. Draghi hatte bereits Berlusconis Sparplan für Brüssel geschrieben. Verweigert Berlusconi die Umsetzung, wird Draghi seinem Landsmann drohen, anders als bisher auch im Notfall keine italienischen Staatsanleihen mehr aufzukaufen. Dann muss der Schwächere aufgeben.

Und so bleibt letztlich die wenig erfreuliche Einsicht: Bei den Hellenen herrscht Chaos, aber das europäische Drama wird auf Italienisch gespielt.

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