Kampf gegen den Terror:Comics statt Bomben

Im Kampf um die Herzen junger Muslime kehrt ein altes Propaganda-Mittel zurück: Die USA werfen über Syrien Flugblätter ab. Mit drastischen Darstellungen warnen sie davor, der Islamisten-Miliz IS beizutreten.

Von Nicolas Richter

Ein Monster mit langen Krallen lockt einen jungen Mann. Sollte der nähertreten, wird ihn das Monster kopfüber in einen Fleischwolf stecken, aus dem eine blutige Masse dringt. Diese Szene ist auf 60 000 Flugblättern zu sehen, die das US-Militär kürzlich nahe der syrischen Stadt Raqqa abgeworfen hat. Raqqa gilt als zentraler Stützpunkt der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), und die Flugblätter sollen die Bewohner davor warnen, sich den Extremisten anzuschließen. Über dem Gruselbild im Stil von Manga-Comics steht, was die Szene darstellt: Das "Arbeitsamt" des IS. Wer sich den Extremisten andient, wird durch den Fleischwolf gedreht.

Die Vereinigten Staaten und der IS liefern sich eine intensive Propaganda-Schlacht. Während ihre militärische Auseinandersetzung nur in Syrien und im Irak stattfindet, kämpfen sie weltweit um die Herzen junger Muslime. Der IS braucht für sein Ziel, ganze Landstriche zu besetzen, einen stetigen Zustrom frischer Rekruten; die USA möchten dies verhindern.

Beide Seiten setzen massiv auf Sozialmedien im Internet: Der IS buhlt auf Twitter und mit Enthauptungs-Videos um die Gunst junger Fanatiker, das US-Außenministerium hält mit einer Abteilung für "countermessaging" dagegen, das an Warnungen vor Zigaretten erinnert: Emotionale "Gegenbotschaften" sollen junge Männer fernhalten von der schiefen Bahn. Fotos von Toten, Särgen und Trauernden sowie knappe Texte appellieren an das Gewissen: "Kann es richtig sein, Unschuldige abzuschlachten?"

Mitten im Twitter-Kampf nun erlebt das gute alte Flugblatt einen Wiederabwurf. Als Mittel der psychologischen Kriegsführung wird es verwendet, seit der Mensch fliegen kann, es kann drohen und einschüchtern oder ermutigen und aufklären. Als die preußische Armee 1870 Paris belagerte, warfen die Franzosen von Ballons aus deutsche Schriftstücke über deren Stellungen ab.

Im Zweiten Weltkrieg entwickelte die US-Luftwaffe einen Pappzylinder, der Tausende Blatt Papier fassen und sich - meist über Deutschland oder Japan - auf jeder Höhe öffnen konnte. Im Nahen Osten fielen US-Flugblätter zuletzt etwa 2003 bei der Invasion des Irak. Eine Karikatur zeigte Diktator Saddam Hussein mit dem Text: "Die Koalition ist hier, um die Unterdrückung durch Saddam zu beenden."

Die Wirkung ist schwer zu messen. Raqqa in Syrien dürfte prinzipiell ein geeignetes Ziel sein: Über das Internet ist die "Hauptstadt" des IS wohl kaum zu erreichen. Sollte es einen Netzzugang überhaupt geben, dürfte ihn der IS kontrollieren. Dies aber legt auch nahe, warum der Abwurf seine Wirkung verfehlen könnte, mahnt Faysal Itani, ein Nahost-Experte beim Atlantic Council in Washington: Wer sich in Raqqa dem IS anschließe, sei demnach entweder ideologisch motiviert und deswegen gegen ausländische Propaganda immun.

Oder aber er brauche Geld, Schutz und fühle sich gezwungen. "Die Leute werden einerseits bedrängt vom IS-Regime, andererseits von den Luftangriffen einer Koalition, die sie nun davor warnt, ihren Feinden zu folgen." In dieser Lage sei es absurd, die Menschen vor einem gewaltsamen Tod zu warnen. Der droht ihnen sowieso.

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