Kampf des Westens gegen IS:Neue Feldzüge schaffen neue Probleme

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Mit dem IS hat das Böse im Nahen Osten einen Namen erhalten. Doch jede militärische Intervention des Westens setzt nur neue, zerstörerische Kräfte frei. Die Neuordnung der Region ist die Aufgabe der Iraker, Syrer und Türken.

Kommentar von Tomas Avenarius

Syriens Präsident Baschar al-Assad lässt seine rebellischen Bürger seit dem Sommer 2011 foltern, mit Giftgas töten, mit Benzinfässern bombardieren. Die von den Amerikanern angedrohte Intervention blieb dennoch aus - bis die messerschwingenden Barbaren vom Islamischen Staat (IS) kamen.

Die Dschihadisten griffen die mit Washington befreundeten Kurden im Nordirak an, enthaupteten vier Amerikaner und Briten, versklavten Tausende Jesiden-Frauen. Auch Araber und Europäer wollten eigentlich nicht eingreifen in Syrien, sie lieferten den Rebellen lieber Waffen oder Medikamente. Nun fliegen sie mit den Amerikanern Luftangriffe. In Berlin oder Paris sah man jahrelang keine Großdemonstrationen gegen das von Assad befohlene Morden, seit die IS-Kämpfer Kobanê belagern, werden in Europa Sprechchöre skandiert.

Sterbende Zivilisten lassen sich nicht in Gut und Böse unterteilen

Mit dem Auftauchen des IS hat das Böse im Nahen Osten einen Namen erhalten. Es bedroht unsere Interessen, es kann den Terror nach New York, London oder Paris tragen, es lässt selbst Pazifisten nach Soldaten rufen. Über dem syrischen Kurdenstädtchen Kobanê fliegen amerikanische Piloten Angriffe auf die Islamisten.

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:Jede Einmischung setzt zerstörerische Kräfte frei. Verbietet sich daher eine Intervention von außen?

Angesichts der IS-Barbarei ist die Sehnsucht nach einem Befreiungsschlag verständlich. Doch ist sie ein zwingender Anlass zum militärischen Eingreifen in der Region?

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In Deutschland oder Frankreich warnen Parlamentarier und Intellektuelle vor einem Massaker, sollte der Ort an den IS fallen. Sie setzen so eine Dynamik in Gang, an deren Ende zwangsläufig der Ruf nach einer Intervention aus humanitären Gründen steht - sei es durch eigene Truppen oder - besser noch, weil weniger riskant - durch die der Türkei.

Die Sehnsucht nach einem Befreiungsschlag ist angesichts der IS-Barbarei verständlich. Ein zwingender Anlass zum militärischen Eingreifen ist sie aber nicht. Sterbende Zivilisten lassen sich ohnehin nicht in Gut und Böse unterteilen: Wer für Syriens Kurden eintreten will, hätte sich auch für die syrischen Aufständischen in Aleppo und Hama in die Bresche werfen müssen. Und die in Kobanê bedrohten Kurden sind zumeist keine Zivilisten. Viele sind Milizionäre und stehen der türkischen PKK nahe.

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Wer an ihrer Seite eingreifen will, sollte zweimal nachdenken: Das vergangene Jahrzehnt hat gezeigt, dass Feldzüge im Nahen Osten keine Probleme lösen, sondern neue schaffen. Die USA und ihre wechselnden Verbündeten haben sich in Afghanistan und im Irak ebenso verhoben wie in ihrer Geburtshelferrolle für die Demokratie in einer demokratiefreien Region. Selbst das Eingreifen gegen das Gaddafi-Regime in Libyen hat zum Gegenteil geführt; wo gestern Diktatur war, terrorisieren heute Bärtige die Menschen.

Jede militärische Intervention, ob humanitär begründet oder kühl interessengesteuert, muss realistische Ziele haben. Doch die sind im Nahen Osten derzeit nicht mehr zu definieren, schon gar nicht in Syrien, im Irak oder in Libyen.

Wo keine Form mehr ist, kann auch kein Ziel sein

Die Region wird zu einer Tretmühle der Gewalt. Staatsformen, Staatsgebiete und Staatsvölker werden infrage gestellt, die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs herrschende Architektur der Region verliert ihre Legitimation, die von den westlichen Imperien gezogenen Grenzen werden ignoriert. Längst machen religiöse oder ethnische Milizen den Regierungen die Führerschaft streitig. Wohin dies führt, kann keiner sagen.

Religionszugehörigkeit und ethnische Herkunft dürften Wegweiser werden, an denen sich die Region bei ihrer Selbstfindung orientiert. Das "Kalifat" des IS etwa steht jenseits allen Terrors auch für die Suche der sunnitischen Iraker nach einem Staat, der ihre Interessen wahrt. Die syrischen Kurden wiederum wollen wie die Kurden in der Türkei oder im Irak nicht mehr zwangsweise assimiliert werden. Die Option eines Kurdenstaates ist aktuell wie seit Jahrzehnten nicht mehr, im Irak, in Syrien - möglicherweise bald in der Türkei.

Wo keine Form mehr ist, kann auch kein Ziel sein. Welcher europäische oder amerikanische Staatsmann könnte in diesem Knäuel widerstreitender Kräfte über das Anliegen einer Gruppe wie der syrischen Kurden oder der irakischen Sunniten unparteiisch urteilen und zugleich die Interessen der USA oder Europas bestimmen? Jede Einmischung setzt nur neue, zerstörerische Kräfte frei. Intervention zu Ordnungszwecken von außen verbietet sich daher.

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Wer sich von außen gestaltend einmischen will - ob an Werten oder Interessen orientiert -, muss selbst zu Opfern bereit sein. Da die Amerikaner und erst recht die Europäer das nicht sind, sollten sie sich vor neuen Kriegszügen hüten; wenn man eingreift, dann nur zu nacktem Eigennutz - um den Islamischen Staat zu schwächen, wo er Europa direkt bedroht. Aber der Rest, die politische Neuordnung der Region, das ist die Aufgabe der Iraker, Syrer und Türken.

© SZ vom 14.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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