Süddeutsche Zeitung

Drohungen gegen Bürgermeister:Sich wehren - aber wie?

Christoph Landscheidt ist seit 21 Jahren Bürgermeister von Kamp-Lintfort. Nun will er sich eine Waffe zulegen - wegen rechter Drohungen. Bürgerinnen und Bürger demonstrieren für seinen Schutz.

Von Christian Wernicke, Kamp-Lintfort

Es ist dann zufällig der bullige Mann von der Gewerkschaft, der zehn Minuten vor 14 Uhr den Sieg verkündet. Da nämlich kommt ein Helfer auf die Bühne und flüstert dem aktuellen Redner Marvin Kuenen zu, dass die Rechtsextremisten drüben vorm Rathaus soeben ihre Demo frühzeitig beendet haben. Der lokale DGB-Chef grinst, greift zum Mikrofon: "Leute, die Nationalsozialisten sind auf dem Weg nach Hause", ruft er der Menge zu, "alle Zwölfe!"

Es ist der Moment, da die Menschen an diesem Samstagnachmittag auf dem Prinzenplatz von Kamp-Lintfort zum ersten Mal auflachen, laut und wie befreit. Die mehr als tausend Bürger klatschen Beifall, auch sich selbst. Die Wintersonne wärmt die Wangen, zum Abschluss segnet ein Pastor die Demonstranten. "Gewonnen!" johlt ein junger Mann mit SPD-Fahne, der sich auf den Heimweg trollt. Das war's.

War's das?

Das Aufstehen der Anständigen in Kamp-Lintfort, der unscheinbaren Provinzstadt am Niederrhein, feierten viele als Erfolg. Von der CDU bis zur Linken hatten sämtliche Parteien zur Teilnahme aufgerufen, ebenso Kirchen, Gewerkschaften, Öko-Gruppen. Sie alle teilten die Erschütterung darüber, was sie am Donnerstag erfahren hatten: dass ihr Bürgermeister, der Sozialdemokrat Christoph Landscheidt, sich dermaßen von Rechtsextremisten bedroht fühlt, dass er einen "großen Waffenschein" beantragte und damit das Recht, eine scharfe Schusswaffe zu führen - und nach Ablehnung seines Antrags durch die Kreispolizei Wesel nun sogar vors Verwaltungsgericht gezogen ist, um sich, seine Frau und seine drei Kinder mit einer Pistole zu schützen.

Mehr als tausend Bürger gehen am Samstag auf die Straße

"Ich kenne Christoph Landscheidt als einen besonnen, rationalen Menschen", beteuert René Schneider, der örtliche SPD-Chef und Landtagsabgeordnete. Will sagen: Wenn schon ein Vernunftmensch wie dieser Genosse - 60 Jahre alt, Ex-Richter, Professor für Wirtschaftsrecht, seit 21 Jahren populärer Bürgermeister - in seiner Not zur Knarre greifen wolle, "wer ist dann überhaupt noch bereit, sich zu engagieren und für ein Amt zu kandidieren?"

Also erinnert René Schneider am Samstag von der Holzbühne auf dem Prinzenplatz an Willy Brandt. Der legendäre SPD-Vorsitzende prägte, als er 1969 Bundeskanzler wurde, den Satz, die Republik solle "mehr Demokratie wagen". Nun, ruft Schneider, seien andere Zeiten heraufgezogen, nun gehe es wieder darum, "dass wir unsere Demokratie verteidigen!"

Der Landtagsabgeordnete kennt die Zahlen, die voriges Jahr das nordrhein-westfälische Innenministerium veröffentlichte: Von 2016 bis August 2019 zählten Polizei und Staatsschutz 125 Straftaten gegen kommunale Amts- und Mandatsträger - und in jedem zweiten Fall (66) waren Rechtsextremisten tatverdächtig. 27 Fälle führten in die linke Szene, drei gingen auf das Konto ausländischer Ideologien, 29 seien politisch nicht zuzuordnen gewesen.

"Die Rechte" outete den Bürgermeister als Waffen-Beantrager

150 Meter östlich, vorm Rathaus in der Ladenpassage, schlägt derweil eine Gruppe meist schwarz gekleideter Männer ganz andere Töne an. Zwei Dutzend Neo-Nazis huldigen auf einem Plakat dem alten Reichskanzler Otto von Bismarck und fordern wie anno 1878 ein SPD-Verbot. Michael Brück, der Sprecher der Splitterpartei "Die Rechte", triumphiert über dröhnende Lautsprecher, es sei seine Truppe gewesen, die Kampf-Lintforts Bürgermeister im Internet namentlich als Waffen-Beantrager outete. Brück ist aus Dortmund angereist, grinsend fordert er für die Seinen nun "Schutz gegen einen demnächst vielleicht bewaffneten Bürgermeister". Im Netz zieht "Die Rechte" seit Monaten gegen das Stadtoberhaupt vom Niederrhein zu Felde.

Ob Christoph Landscheidt "Deutschlands kriminellster Bürgermeister?" sei, fragt seit Mai 2019 ein Pamphlet - samt Angabe von dessen dienstlicher Telefonnummer und Email. Zuvor hatte Landscheidt vor der Europawahl Plakate der Neonazis entfernen lassen, darunter Slogans wie "Israel ist unser Unglück" und "Wir hängen nicht nur Plakate". Landscheidt deutete dies als "Volksverhetzung", "Die Rechte" klagte wegen Sachbeschädigung.

Am Samstag ist der Bürgermeister zuhause geblieben. Landscheidt sei von der Polizei "aus Sicherheitsgründen" von einer Teilnahme an der Anti-Rechts-Demo abgeraten worden, heißt es offiziell. Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass des Bürgermeisters Absenz einigen Organisatoren nicht unlieb war. "Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dies sei eine Demo für Landscheidts Waffenschein", sagt ein Genosse. Viele Freunde hatte das überrascht - und verstört.

So geht es auch Ursula Volz-Boers. An einem Skistock hält die Seniorin am Prinzenplatz ihr Plakat in die Höhe: "Schutz unseres Bürgermeister Landscheidt" fordert sie da mit kleinem Herzen über dem "i" - und mit dem Zusatz: "Ohne dessen Bewaffnung." Neben ihr nickt ihre Freundin Uta Schlotter: "Er hat so viel getan für die Stadt." Vor Jahren hat in Kamp-Lintfort das Siemenswerk dichtgemacht, dann die Zeche - "aber er hat uns wieder hochgebracht." Die Fachhochschule kam, im April eröffnet die Landesgartenschau. Jetzt verdiene "dieser ehrenwerte Mann" eben Polizeischutz. Aber keinen Revolver.

Schriftlich stellte der Bürgermeister inzwischen klar, er wolle künftig keineswegs "in Texas-Manier bewaffnet durch die Straßen ziehen". Er habe jedoch jüngst "Gefährdungssituationen" erlebt, "in denen polizeiliche Hilfe nicht rechtzeitig erreichbar gewesen wäre". Vertraute tuscheln von Morddrohungen und per Mail angekündigten Brandanschlägen auf sein Haus. Nachfragen verweigerte sich der Bürgermeister bisher. Auch am Samstag.

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SZ vom 13.01.2020/jana
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