Kambodscha:Tuktuk ins Glück

Zehn Jahre nach dem Tod Pol Pots erholt sich Kambodscha vom Erbe der Schreckensherrschaft . Der boomende Tourismus und gut ausgebildete Heimkehrer eröffnen dem Land Perspektiven.

Wolfgang Jaschensky, Phnom Penh

Keo Phearom gibt Gas, er hat heute noch viel vor. Hinter den Bäumen verschwindet die Silhouette der mächtigen Tempelanlage Angkor Wat im Norden Kambodschas. Vorbei an hupenden Autos schlängelt er sein Tuktuk zum Hotel seiner Kunden.

Kambodscha

Keo Phearom will künftig nicht nur mit seinem Tuktuk an den touristischen Sehenswürdigkeiten seines Landes Geld verdienen.

(Foto: Foto: W. Jaschensky)

Noch eine Stunde, dann beginnt die Hochzeitsfeier einer Freundin. Er wird sich verspäten, dafür aber umso lauter einen Toast auf das Brautpaar ausbringen. Dann wird er mit seinen Freunden weiterziehen, er wird in einer Karaoke-Bar Whiskey trinken und er wird ausgelassen tanzen.

Seine Kunden waren heute sehr zufrieden mit seiner Arbeit und bedankten sich mit einem ordentlichen Trinkgeld. Deshalb kann es sich Phearom an diesem Abend erlauben, etwas über die Stränge zu schlagen - ein Luxus, von dem er lange nicht zu träumen gewagt hat.

Geboren am 1. Januar 1979 kam er gerade da zur Welt, als vietnamesische Truppen das furchtbarste Kapitel in der Geschichte Kambodschas beendeten, die Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Fast vier Jahre lang terrorisierten die Roten Khmer die Kambodschaner mit einem der wahnsinnigsten Experimente der Menschheitsgeschichte: Die Kommunisten wollten eine agrarische Gesellschaft errichten, autark und abgeschottet von der Außenwelt.

Millionen Tote

Dafür vertrieben die Roten Khmer alle Menschen aus den Städten, ermordeten Ärzte, Lehrer, alle Gebildeten und zwangen die Verbliebenen dazu, unter primitivsten Bedingungen auf dem Land zu schuften.

Phearoms Eltern und Geschwister überlebten den Massenmord, sein Großvater, ein Lehrer und der Ernährer der Großfamilie, war 1975 eines der ersten Opfer der Roten Khmer. Mindestens 1,7 Millionen der zuvor sieben Millionen Kambodschaner fielen am Ende dem Steinzeitkommunismus Pol Pots zum Opfer, wurden grausam hingerichtet oder verhungerten.

Als Phearom gut 19 Jahre später seine Karriere im Tourismus als Kellner in einem Thai-Restaurant begann, war Pol Pot gerade gestorben. Bis zum Tod von Bruder Nummer 1 blieben die Roten Khmer ein entscheidender Machtfaktor in Kambodscha, saßen zeitweise in der Regierung und bedrohten Kambodschas Weg in den Frieden.

Heute hat Keo Phearom sein eigenes, prosperierendes Tuktuk-Geschäft. Und er hat große Pläne. Damit ist er nicht mehr allein in Kambodscha. Zehn Jahre nach dem Tod Pol Pots erhohlt sich das Land langsam von dem Erbe des grausamen Diktators.

Kambodscha ist noch immer eines der ärmsten Länder der Welt, doch der Tourismus boomt, die Wirtschaft wächst stetig und stark - allein im vergangenen Jahr um 9,1 Prozent - und vor allem junge Kambodschaner blicken inzwischen mit mehr Zuversicht in die Zukunft.

Geteilte Wellblechhütte

Eine von ihnen ist Pen Sopheap. Sie arbeitet in einer Textilfabrik in Phnom Penh, der Hauptstadt Kambodschas. Sie verpackt für Tack-Fat-Garment jeden Tag Hosen namhafter Marken wie Calvin Klein oder Abercrombie & Fitch. Wenn sich wie jeden Tag um elf Uhr das Tor der Fabrik öffnet, geht Pen mit einer Heerschar weiterer Arbeiterinnen in ihre Mittagspause.

Die Mittagshitze und der Gestank der vorbeirauschenden Lastwagen übertünchen den Duft der Garküchen vor der Fabrik. Pen lässt die Essensstände links liegen, denn sie wohnt nur einige hundert Meter von der Fabrik entfernt in einer Hütte aus Holz und Wellblech.

Ihr Zimmer teilt sie sich mit einer Kollegin. Es ist kaum größer als ein Doppelbett, ein Bett steht allerdings nicht im Zimmer. Zum Schlafen rollt sich Pen eine dünne Matte aus. An einer Wand hängt eine Holzstange und daran ihre Kleidung. Ansonsten ist das Zimmer leer.

Tuktuk ins Glück

Pen sagt, sie sei sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, mit ihrem Leben. Das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Sie schafft es kaum, Geld zu sparen, um ihren Traum zu verwirklichen: ein eigenes, kleines Geschäft mit frischem Obst.

Pol Pot, ap

Bruder Nr. 1 der Roten Khmer , Pol Pot, auf einer Pressekonferenz im Dezember 1979.

(Foto: Foto: AP)

Sie weiß, dass ihr Einkommen geringer ist, als der Preis, den Europäer oder Amerikaner am Ende für eine der rund 150.000 Hosen zahlen, die sie jeden Monat verpackt. Doch sie weiß auch, dass sie es schon viel schlechter hatte.

Als Pen vor sechs Jahren aus der armen Provinz Svay Rieng in die Hauptstadt zog, um in einer der neuen Textilfabriken Arbeit zu suchen, lebte sie mit drei anderen Arbeiterinnen auf den sechs Quadratmetern. Heute teilt sie den Raum nur noch mit einer Kollegin.

Überwachte Arbeitsbedingungen

Mit 70 bis 80 Euro im Monat verdient sie inzwischen fast doppelt so viel wie zu Anfang. Das reicht, um ihre Familie auf dem Land jeden Monat mit zehn bis zwanzig Dollar zu unterstützen. Pen ist kein Einzelfall: Viele der 350.000 Arbeiter in Kambodschas Textilindustrie müssen mit ihrem mageren Verdienst auch noch ihre Eltern unterstützen.

In den vergangenen Jahren hat sich die Textilindustrie zum Rückgrat der Wirtschaft in Kambodscha entwickelt: 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 80 Prozent aller Exporte gehen auf die Herstellung von Kleidung zurück.

Neben den niedrigen Löhnen sorgte Ende der neunziger Jahren vor allem ein Handelsabkommen mit den USA für den textilen Aufschwung. Das Besondere an dem Abkommen: Die USA knüpften Vorteile im Handel für kambodschanische Textilien an die Einhaltung und Überwachung der Arbeitsbedingungen in den Fabriken.

Nicht zuletzt deshalb ist die Situation für die Arbeiter in Kambodschas Textilfabriken besser, als in vielen anderen Entwicklungsländern. Und seit westliche Firmen mehr auf die Einhaltung von Arbeitsstandards achten, haben sich diese zu einem Standortvorteil für Kambodscha entwickelt.

Das sieht auch die Regierung in Phnom Penh: "Die Gewerkschaften nicht zu respektieren und die Arbeitsstandards nicht einzuhalten hieße, die Henne zu schlachten, die unsere goldenen Eier legt", sagt Kambodschas Wirtschaftsminister Cham Prasidh.

Erfreuliche Diskussionen

Dass das nicht nur leere Worte sind, zeigt ein regelmäßiger Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): In seiner aktuellen Fassung bescheinigt der ILO-Bericht Kambodschas Textilsektor in allen Bereichen weitere Verbesserungen. Der Mindestlohn von 50 Dollar wird demnach bei 98 Prozent aller regelmäßig beschäftigten Arbeiter eingehalten.

50 Dollar sind aber auch in Kambodscha sehr wenig Geld und steigende Preise, vor allem für Lebensmittel, erschweren den Arbeitern ihr Auskommen. Auch Pen merkt, dass sie zuletzt weniger Geld zu ihren Eltern schicken konnte.

Wie die meisten ihrer Kolleginnen ist auch Pen in einer Gewerkschaft und hat schon mehrmals für mehr Geld gestreikt. Während die Gewerkschaften eine Anhebung des Mindestlohns um zehn Prozent fordern, fürchten die Arbeitgebervertreter um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts.

"Das sind Diskussionen, wie man sie aus dem Westen kennt - nur hier ist es wirklich erfreulich, dass es sie gibt", sagt Botumroath Lebun. Die 33-jährige verfolgt die Entwicklung Kambodschas sehr genau. Lebun ist Journalistin und in der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe ihres Wirtschaftsmagazins Economics today ist von diesem Streit zu lesen.

Eigentlich ist es nicht "ihr" Magazin. Doch der Herausgeber hat sie geholt, aus Los Angeles, wo sie zuvor arbeitete, um das neue Magazin aufzubauen. Lebun ist die Idealbesetzung für diesen Job - nicht nur, weil sie eine der am besten ausgebildeten Journalisten in Kambodscha ist, sondern auch, weil sie eine Tochter des Landes ist.

Wann die Erinnerung beginnt

Lebun wurde im Februar 1975 geboren, zwei Monate vor der Machtübernahme der Roten Khmer. An ihren Vater kann sie sich nicht erinnern, sie weiß nicht einmal was mit ihm geschehen ist, kann nur vermuten, dass er noch im Jahr ihrer Geburt ein Opfer des Pol-Pot-Regimes wurde. Irgendwie schaffte es ihre Mutter, sie und ihren Bruder durch die Hungersnöte und Arbeitslager der folgenden Jahre zu retten.

Von der Kindheit in Kambodscha weiß sie nur aus Erzählungen, ihre Erinnerungen beginnen in einem Flüchtlingslager in Thailand und führen über die Bronx, wo sie zur Schule ging, an die Columbia University, wo sie zwei Abschlüsse machte, einen in Politik und einen an der berühmten School of Journalism.

Vor zehn Jahren reiste Lebun zum ersten Mal nach Kambodscha, in das Land, von dem sie ahnte, dass es ihre Heimat ist, von dem sie wusste, dass es arm ist und ganz anders als Amerika. Seitdem lässt es sie nicht mehr los. Sie bereiste das Land, arbeitete für die Vereinten Nationen und als Journalistin.

Und sie lernte ihre Heimat lieben. Trotz aller Schwächen und Probleme, die sie kennt und über die sie regelmäßig schimpft. Sie lamentiert über das Demokratiedefizit im Land und über die Korruption.

Tuktuk ins Glück

Sie fürchtet, dass der Reichtum aus Ölfunden vor der Küste Kambodschas in den Taschen der Eliten versandet. Und ihren beiden Mitbewohnern sagt sie unverblümt, dass sie deren Arbeit für das UN-Tribunal, das die noch lebenden Anführer der Roten Khmer zur Rechenschaft ziehen soll, für Geldverschwendung hält.

Doch trotz allem ist sie davon überzeugt, dass Kambodscha vorankommt. "Nicht nur wirtschaftlich geht es bergauf", sagt sie, "die Menschen sind optimistischer und offener, das ganze Land blüht auf".

Ein kleines bisschen hat die zierliche Frau selbst dazu beigetragen. In einem Land, in dem noch vor 30 Jahren Bildung mit dem Tod bestraft wurde, sind gut ausgebildete Menschen wie sie besonders wertvoll.

Und anders als viele ausländischen Investoren, Facharbeiter und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen fühlen sich die zurückgekehrten Flüchtlinge dem Land und seinen Menschen verbunden und in der Gesellschaft schnell integriert. Es existieren keine Statistiken über die Zahl der Heimkehrer, doch Botumroath Lebun ist nur eine von vielen Heimkehrern, die Kambodscha zu einer besseren Zukunft verhelfen wollen.

Eigeninitiative und Unternehmergeist

Sie wird weiter in den USA und in Kambodscha leben, wird pendeln zwischen den Welten. Sie liebt die USA, das Land, das ihr so viele Möglichkeiten eröffnet hat, doch ihr Herz, so sagt sie, wird immer in Kambodscha bleiben.

Keo Phearom war noch nie in den USA. Um genau zu sein: Er hat Kambodscha noch kein einziges Mal verlassen, obwohl er in seinem Tuktuk wahrscheinlich genügend Kilometer gefahren ist, um damit einige Male den Erdball zu umrunden.

Allerdings hat Phearom genügend Amerikaner zu den Tempeln von Angkor gefahren, um zu wissen, was der American Dream ist. Phearom hat nicht als Tellerwäscher, sondern als Kellner angefangen und Millionär ist er auch nur, weil eine Flasche Wasser schon mehrere tausend kambodschanische Riel kostet.

Doch Keo Phearom hat mit Eigeninitiative, Unternehmergeist und Arbeit viel erreicht. Als Nächstes will er eine Lizenz erwerben, um Gruppen durch die Ruinen von Angkor zu führen. Deshalb studiert er die Geschichte des einst gewaltigen Khmer-Reiches, eignet sich Wissen über die Bedeutung der Tempel in Angkor an und feilt an seinem Englisch.

Die Lizenz kostet etwa 3000 Dollar. Doch Phearom ist sicher, dass sich die Investition lohnt. Er weiß, dass jedes Jahr mehr Touristen nach Angkor kommen, dass die Wachstumsraten bei etwa 20 bis 30 Prozent liegen.

Er weiß, dass er mit dem Zertifikat "English speaking guide" die Touristen nicht mehr nur für zwölf Dollar zu den Tempeln fahren, sondern für 20 oder 30 Dollar durch die Ruinen führen kann. Keo Phearom gibt Gas, er hat noch viel vor.

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