Kambodscha:Kampf gegen den Frühling

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Regimegegner Kem Sokha wird wegen Hochverrats der Prozess gemacht - "ein barbarischer Akt", sagt seine Tochter. (Foto: Heng Sinith/AP)

Bei der Wahl in einem Jahr wollen Regierungsgegner den Machtwechsel. Doch das Regime greift durch, der Oppositionsführer wird angeklagt, Abgeordnete verstecken sich.

Von Arne Perras, Singapur

Die Anklage lautet auf Hochverrat. Und sie könnte bedeuten, dass Kem Sokha, Führer der kambodschanischen Opposition, für lange Zeit hinter Gitter verschwindet. Am frühen Sonntagmorgen waren Dutzende Polizisten in sein Haus eingedrungen, einen Haftbefehl hatten sie nicht dabei. Sie legten dem Chef der "Cambodia National Rescue Party (CNRP) Handschellen an und verschleppten den Parlamentarier nach Osten, wo sie ihn in einem Gefängnis nahe der vietnamesischen Grenze einsperrten.

Die älteste Tochter von Kem Sokha klingt am Telefon gefasst, obwohl sie um die Gesundheit ihres Vaters fürchtet. "Mei-ne Familie darf ihm kein Essen und keine Medizin bringen", sagt sie, obgleich ihr Vater dringend Tabletten brauche, um den Blutzuckerspiegel einzustellen. "Er muss die Tabletten schlucken, die sie ihm im Gefängnis verabreichen", sagt die Tochter. Und den Mitteln traut sie nicht.

Die Tochter nennt die Festnahme einen "barbarischen Akt", die Anklage habe keine rechtliche Basis, sei allein politisch motiviert: "Die Regierung will keine freien und fairen Wahlen zulassen. Sie versucht alles, um die Opposition lahmzulegen." Monovithya Kem, ebenfalls Mitglied der oppositionellen CNRP, hofft, dass die internationale Gemeinschaft Druck ausüben wird, um Hun Sen zum Kurswechsel zu bewegen. "Andernfalls wird es 2018 keine glaubwürdigen Wahlen geben."

Machthaber Hun Sen herrscht in Phnom Penh seit mehr als 32 Jahren. Und es sieht nicht so aus, als ließe der 65-Jährige an seiner Herrschaft rütteln. Der Oppositionsführer muss sich also dem Vorwurf stellen, er habe sich mit den Amerikanern verschworen, um die Kontrolle über Kambodscha zu gewinnen. Seine Tochter nennt das abwegig, Hun Sen fürchte sich vor der demokratischen Opposition und greife deshalb zur Repression. "Er tut das, um Angst zu verbreiten", sagt sie.

Der Regierungschef und Führer der "Cambodia People's Party" (CPP) war einst Kommandeur der Roten Khmer, bevor er 1977 die Seiten wechselte und in Vietnam Unterschlupf suchte. Im Rückblick versicherte er, dass er bei den Gräueln des Völkermords, der nahezu zwei Millionen Menschen das Leben kostete, nicht mitgewirkt habe und frühzeitig den "Wahnsinn der Politik Pol Pots" erkannt habe. Nach dem Sturz der Roten Khmer kehrte Hun Sen nach Kambodscha zurück und stärkte seine Macht. Er kontrollierte fortan ein zerstörtes Land mit einer traumatisierten Bevölkerung. Hun Sen wurde Kambodschas starker Mann, der alles zusammenhielt. Seitdem hat er die Macht nie hergegeben.

Kambodscha tut sich schwer mit der Demokratisierung, Misstrauen spaltet die politischen Lager. Und die Verhaftung von Kem Sokha bedeutet nach Einschätzung von Analysten einen massiven Rückschlag. Als angeblichen Beleg für begangenen Hochverrat deutet die Regierung auf ein Video, in dem Kem Sokha politische Strategien offenlege und über die Hilfe der Amerikaner spreche. "Ein Witz", sagt seine Tochter zum Vorwurf des Hochverrats; das fragliche Video sei ein "öffentliches Dokument", das schon vor Jahren im Internet kursierte. Darin blicke ihr Vater zurück auf Zeiten, als er das "Cambodian Center for Human Rights" (CCHR) gründete. Dass darin Verweise auf Zusammenarbeit mit US-Experten auftauchten, sei weder verwerflich noch ungewöhnlich. Denn es sei üblich, dass Geberländer finanzielle Hilfe für Projekte leisteten. "Hier versucht jemand, aus fadenscheinigen Anschuldigungen einen Fall für die Justiz zu konstruieren."

Hun Sen kann sich nicht mehr sicher sein, ob er die Jugend noch hinter sich scharen kann

Hun Sens Kalkül sei offenkundig: Er versuche nicht nur, die Opposition auszuschalten, sondern auch den Westen davon abzuhalten, sich stärker für die Demokratie in Kambodscha einzusetzen. "Wenn die USA nun Kritik üben, dann wird die Regierung sagen: Seht her, Kem Sokha ist tatsächlich eine Marionette der Amerikaner." Es herrscht Nervosität in Kambodscha, in beiden Lagern. Ein Oppositioneller erzählt, dass sich mehrere Abgeordnete nun doch verstecken müssten; sie fürchten, dass sie ebenfalls eingesperrt werden. Auch aus dem Regierungslager ist ein hochrangiges Mitglied zum Gespräch bereit, will aber anonym bleiben: "In unseren Reihen gibt es Sorge, dass Massendemonstrationen Chaos verursachen. Wir haben gesehen, was im Nahen Osten geschehen ist, während des sogenannten Arabischen Frühlings. Wir müssen uns wappnen." In der Opposition wird dies als vorgeschobene Sorge gesehen, um Kritik zu ersticken.

Nicht nur Oppositionelle werden verfolgt, auch kritische Medien. So haben die Behörden gerade die Schließung der englischsprachigen Zeitung Cambodia Daily erzwungen, in einem intransparenten Verfahren erstellten sie einen Steuerbescheid über 6,3 Millionen Dollar. Einspruch verboten. Die Bücher der Zeitung hatten die Behörden nie geprüft. So erschien die Cambodia Daily am Montag ein letztes Mal und titelte: "Abstieg in die totale Diktatur".

Hinter der Härte Hun Sens dürfte vor allem Angst vor dem Machtverlust stecken. Er kann sich nicht mehr sicher sein, ob er die Masse der Jugend bei Wahlen noch hinter sich scharen kann. Früher verfolgte er die Strategie, sich als stabilisierende Kraft zu zeigen. Tauchten Rivalen auf, schlug er sie aus dem Feld. Doch im Laufe der Jahre ist der Clan von Hun Sen samt seiner Günstlinge sagenhaft reich geworden, während die Masse der Kambodschaner in Armut lebt. Und inzwischen gehören 65 Prozent der Bevölkerung der Nachkriegsgeneration an, sie nutzt die sozialen Medien, hat mehr Kontakte in die Welt und lässt sich nicht mehr so leicht von der Formel überzeugen, dass Hun Sen an der Spitze unverzichtbar sei, um Kambodscha zu führen.

Nun versucht auch Hun Sen, sich in den sozialen Medien neu zu erfinden. Er gab dort den milden Landesvater, präsentierte sich als einer, der die Sorgen der Jugend ernst nehme. Aber geht diese Strategie bei fairen Wahlen noch auf? Die Opposition fordert demokratische Rechte, prangert Umweltsünden und Günstlingswirtschaft an. Hun Sen aber hat offenbar nicht vor, sich 2018 auf ein Wagnis einzulassen.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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