Einer Sache kann sich Kamala Harris bereits sicher sein: Die Republikanische Partei nimmt sie ernst. Erst eine Stunde war vergangen, seit US-Präsident Joe Biden am Sonntag verkündet hatte, dass er im November nicht zur Wiederwahl antritt, da schalteten die Republikaner den ersten Anti-Harris-Werbespot. Biden hatte die Vizepräsidentin als seine Nachfolgerin empfohlen, und Harris hatte wenig später gesagt, dass sie nun Präsidentin werden wolle.
Aus ihrem Umfeld verlautete, dass sie am Sonntag zehn Stunden am Telefon verbracht habe, um mit den wichtigsten Mitgliedern der Partei sowie mit Gewerkschaften und bedeutenden Parteispendern zu sprechen. Die Kampagne von Joe Biden hat sich offiziell in „Harris for President“ umbenannt, was bedeutet, dass Harris das gut gefüllte Konto dieser Kampagne nutzen kann. Zudem hat sie allein am Sonntag rund 50 Millionen Dollar an Spenden eingenommen – ein deutliches Zeichen dafür, dass die demokratische Basis den Rückzug Bidens mit Erleichterung und Hoffnung aufnimmt.
Die Clintons haben sich für Harris ausgesprochen, Obama noch nicht
Bei ihrem ersten Auftritt nach Bidens Rückzug aus dem Wahlkampf lobte Harris die Errungenschaften ihres Chefs als „unübertroffen“. Er kämpfe „jeden Tag für das amerikanische Volk“. Harris hielt die kurze Ansprache vor dem Weißen Haus bei einer Veranstaltung zur Ehrung von College-Sportlern. Biden wäre gerne selbst da, sagte Harris. Es gehe ihm viel besser, er erhole sich schnell und freue sich darauf, bald wieder nach draußen zu gehen.
Der Präsident hatte zuletzt in den Umfragen teils deutlich hinter dem republikanischen Kandidaten Donald Trump zurückgelegen. Am Sonntag war eine Umfrage veröffentlicht worden, der zufolge Biden im Bundesstaat Michigan sieben Prozentpunkte hinter Trump lag. Michigan gehört zu den umkämpften Swing States, in denen die Wahl entschieden wird. Harris steht in den Umfragen etwas besser da als Biden, sie liegt jedoch ebenfalls noch hinter Trump.
Im Verlauf des Sonntags und des Montags haben sich prominente Demokraten für Harris ausgesprochen, darunter Hillary und Bill Clinton – und Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses, die immer noch großen Einfluss in der Partei hat. Sie gilt als eine der treibenden Kräfte hinter Bidens Rückzug. Ebenso bemerkenswert war allerdings, wer sich nicht hinter sie gestellt hat. Chuck Schumer, der Mehrheitsführer im Senat, sowie Hakeem Jeffries, der demokratische Minderheitsführer im Repräsentantenhaus, hielten sich bedeckt. Wie Harris stammt sie aus Kalifornien, was ihr Schweigen umso auffälliger macht.
Und der frühere Präsident Barack Obama ließ wissen, dass die Partei in den kommenden Wochen Neuland betrete. Er habe großes Vertrauen, dass die Parteispitze einen Prozess initiieren werde, an dessen Ende ein hervorragender Kandidat oder eine hervorragende Kandidatin stehen werde. Das klang so, als wünsche er sich, dass jemand Harris herausfordern würde.
Zahlreiche mögliche Gegenkandidaten reihen sich hinter Harris ein
Danach sieht es nicht aus. Als mögliche Kandidaten waren in den vergangenen Wochen einige Gouverneure genannt worden, darunter Josh Shapiro aus Pennsylvania, Gavin Newsom aus Kalifornien, Andy Beshear aus Kentucky oder Gretchen Whitmer aus Michigan. Diese haben sich jedoch inzwischen allesamt für Harris ausgesprochen. Sie kommen hingegen alle als mögliche Kandidaten für die Vizepräsidentschaft infrage, was auch für Roy Cooper aus North Carolina oder Mark Kelly aus Arizona gilt.
Die wohl spannendste Kombination wären Harris und Whitmer: Zwei Frauen auf dem Presidential Ticket gab es noch nie. Größer könnte der Gegensatz zum republikanischen Duo, Donald Trump und Senator J. D. Vance, nicht sein. In Teilen der Demokratischen Partei gilt das jedoch als zu riskant. Harris solle einen weißen Mann als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft wählen, heißt es, um eine demografische Ausgeglichenheit herzustellen.
Darüber, ob sie die demokratische Kandidatin wird, entscheiden die 4600 Delegierten der Democratic National Convention. Diese treffen sich vom 19. August an in Chicago zum Parteitag. Die Parteispitze will jedoch nach Möglichkeit schon vorher eine Entscheidung über die Kandidatur herbeiführen. Geplant ist ein virtuelles Votum Anfang August. Das wäre möglich, falls bis dahin nicht doch noch weitere Kandidaten ihren Wunsch bekunden, für die Demokraten ins Rennen zu gehen.
Harris hat in ihren dreieinhalb Jahren als Vizepräsidentin wenig von sich reden gemacht. Das lag zum einen daran, dass Vizepräsidenten generell ein Dasein im Schatten führen, und zum anderen daran, dass Biden ihr unliebsame Themen wie die Lage an der Grenze zu Mexiko zugewiesen hatte. Zuletzt hatte Harris versucht, ihr Profil zu schärfen, indem sie sich auf Reisen durchs Land als Befürworterin des Rechts auf Abtreibung positionierte. Dieses Thema könnte im Wahlkampf von großer Bedeutung sein, da Teile der Republikaner auf ein landesweites Verbot drängen.
Mit Spannung wird das mögliche TV-Duell mit Trump erwartet. Der Clou: Mit Harris träfe eine frühere Staatsanwältin auf den verurteilten Straftäter Trump.