Kaja Kallas hat seit dem 1. Dezember einen Blitzstart als neue Außenbeauftragte der Europäischen Union hingelegt. Schon am ersten Tag im Amt reiste sie nach Kiew, um den Schwerpunkt ihrer Politik deutlich zu machen: Die Ukraine müsse den Krieg gegen Russland gewinnen – das ist ihre zentrale Botschaft, die sie in Europa zu verbreiten versucht. Und dabei scheut die vormalige Regierungschefin von Estland auch nicht davor zurück, dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Kurs der Besonnenheit zu widersprechen.
Die europäische Außenpolitik schneller und effizienter zu machen, ist der Anspruch von Kallas. Leicht irritiert reagierte sie deshalb an diesem Montag, als ein Journalist ihr vor ihrem ersten Treffen mit den europäischen Außenministerinnen und Außenministern in Brüssel unterstellte, sie habe wegen der Ukraine in den ersten beiden Wochen möglicherweise andere Dinge vernachlässigt. Hat die EU zu zögerlich auf den Umsturz in Syrien reagiert? „Wenn man bedenkt, wie die Europäische Union ansonsten funktioniert“, antwortete Kallas, „dann waren wir ziemlich schnell.“
„Wir dürfen in Syrien kein Vakuum entstehen lassen“, sagt Kaja Kallas
Am Wochenende war Kallas nach Jordanien gereist, um bei einer Diplomatenkonferenz über die Zukunft Syriens zu reden. Sie traf dort US-Außenminister Antony Blinken, den UN-Sondergesandten Geir Pedersen, den türkischen Außenminister Hakan Fidan sowie Chefdiplomaten aus mehreren arabischen Ländern. Alle versprachen, ihren Beitrag zu leisten, damit Syrien zu einem stabilen und friedlichen Staat wird, in dem alle Religionsgruppen ihren Platz finden.
„Wir dürfen in Syrien kein Vakuum entstehen lassen“, sagte Kallas. Auch deshalb sollte sich an diesem Montag in ihrem Auftrag ein Top-Diplomat der EU auf den Weg nach Damaskus machen, um Kontakte zu den neuen Machthabern zu knüpfen. Es handelt sich um Michael Ohnmacht, den kommissarischen Geschäftsträger der EU-Vertretung für Syrien, einen Diplomaten mit großer Nahost-Erfahrung. Er war schon als Botschafter in Libyen sowie in Libanon und in Saudi-Arabien.
Die USA haben diesen ersten Schritt der Annäherung bereits vollzogen. Ob allerdings wirklich die Rebellengruppe, die das Assad-Regime gestürzt hat, der dauerhafte Gesprächspartner sein kann? Darüber gibt es noch keine Verständigung in der EU.
Giorgia Meloni zerstreut Sorgen über eine schnellstmögliche Rückkehr von Flüchtlingen
Die Islamisten von Hayat Tahrir al-Scham (HTS) und ihr Anführer Ahmed al-Scharaa – bekannter unter seinem alten Kampfnamen Abu Muhammad al-Dschaulani – gelten in der EU nach wie vor offiziell als Terroristen und sind mit Sanktionen belegt. Die EU folgte vor Jahren einer entsprechenden Einstufung durch die Vereinten Nationen. Ob diese Listung demnächst aufgehoben werden muss, darüber wurde am Montag bei dem Treffen in Brüssel diskutiert. „Wir werden sie nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten messen“, sagte Kallas.
Dieselbe Formulierung findet sich auch in einem Arbeitspapier, das das italienische Außenministerium für die Sitzung am Montag vorlegte. Es scheint Bedenken zu zerstreuen, die Regierung von Giorgia Meloni werde nun darauf dringen, möglichst schnell möglichst viele Flüchtlinge zurück nach Syrien zu schicken – unabhängig von den Verhältnissen im Land. Immerhin hatte Meloni erst im Sommer einen Gesandten nach Damaskus geschickt und die EU aufgefordert, in den Beziehungen zu Assad einen Neustart zu versuchen.
In dem Zehn-Punkte-Plan aus Rom ist nun viel von Menschenrechten die Rede, von einem friedlichen Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen, von syrischer Selbstbestimmung, von humanitärer Hilfe und langfristig von einem Aufheben der Sanktionen. Unter Punkt neun heißt es: „Es ist notwendig, die Bedingungen für eine sichere, würdevolle, freiwillige und nachhaltige Rückkehr von Flüchtlingen zu schaffen.“ Das alles klingt moderater als so manche Wortmeldung aus Österreich oder aus Deutschland.
Die Auseinandersetzung mit Russland ist der Titel über der Politik von Kaja Kallas, insofern fügt sich der Umsturz in Syrien als Unterzeile ein, mit der ermutigenden Botschaft: Präsident Wladimir Putin ist durch den Krieg in der Ukraine so geschwächt, dass er seinem Verbündeten Assad nicht mehr zu Hilfe eilen konnte. Um Putin weiter zu schwächen, verabschiedete der Rat der Außenministerinnen und Außenminister am Montag ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland. Es trägt die EU-Seriennummer 15 und richtet sich vor allem gegen die russische „Schattenflotte“.
Dabei handelt es sich um alte, nicht versicherte Tanker, die Moskau nutzt, um westliche Beschränkungen des russischen Ölhandels zu umgehen oder auch in der Ukraine gestohlenes Getreide zu transportieren. Bereits im Juni dieses Jahres hatte die EU zwei Dutzend Schiffe auf eine entsprechende schwarze Liste gesetzt. Nun verbietet die EU 52 weiteren Schiffen das Einlaufen in Häfen in der EU. Der Beschluss steht am Ende eines monatelangen Ringens der 27 Mitgliedstaaten, wie es auch Kaja Kallas immer wieder kennenlernen wird.