Sanktionen:EU will Kaliningrad-Konflikt entschärfen

Sanktionen: Der Transit von Waren zwischen dem Bahnhof in Kaliningrad und Russland soll wieder möglich sein. Die EU bemüht sich um eine Lösung.

Der Transit von Waren zwischen dem Bahnhof in Kaliningrad und Russland soll wieder möglich sein. Die EU bemüht sich um eine Lösung.

(Foto: Vitaly Nevar/Reuters)

Die EU-Kommission arbeitet an einer neuen Leitlinie über den Transport von sanktionierten Waren. Sie soll klarstellen, dass der normale Güterverkehr von Russland in die Exklave Kaliningrad nicht betroffen ist.

Von Stefan Kornelius

Die EU-Kommission will den Konflikt um die russische Exklave Kaliningrad entschärfen. In den nächsten Tagen soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung eine neue Leitlinie über die Handhabung des Sanktionsregimes veröffentlicht werden. Ihr zufolge wird auch weiterhin der Gütertransport per Bahn von Russland in die Exklave Kaliningrad erlaubt sein. Auch Güter von der Sanktionsliste können in der bisher üblichen Stückzahl ohne Einschränkungen über den Bahnkorridor gebracht werden. Allerdings sollen die Transporte auf Auffälligkeiten geprüft werden.

Der Konflikt war vor zehn Tagen ausgebrochen, als Litauen Stahl- und Eisenlieferungen aus Russland nach Kaliningrad über die Bahntrasse festsetzte. Die litauische Regierung betonte damals, dass sie sich an Sanktionsleitlinien der EU-Kommission halte - eine Darstellung, die der Chefdiplomat der EU, Josep Borrell, bestätigte. Inzwischen fahren die Güterzüge selbst nach russischer Darstellung wieder ohne Behinderung.

Russland reagierte auf den Transportstopp zunächst scharf, sprach von einer "faktischen Blockade" und drohte mit unproportionalen Gegenschlägen. In der EU-Kommission begannen unterdessen Ursachenforschung und eine Neubewertung. Offenbar war die ursprüngliche Weisung vom Handelskommissariat unter Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis ausgegangen, einem früheren lettischen Premierminister. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen revidierte nach Information der SZ die konfrontative Haltung, die auch im rechtlichen Widerspruch zur "Gemeinsamen Erklärung" der EU und Russlands über den Transitverkehr von November 2002 steht. Umstritten war, ob der Transit von Russland in die Exklave unter die im Sanktionsregime angewandte Formel von "Import, Export und Transfer" gefallen wäre. Unklar ist auch, ob das Handelskommissariat in Unkenntnis der sicherheitspolitischen Eskalation oder gar auf Wunsch der litauischen Regierung gehandelt hatte.

Die Korrektur der Kommission entschärft damit eine sicherheitspolitisch gefährliche Situation. In Brüssel heißt es nun, der Transit sei grundsätzlich erlaubt und werde ermöglicht. Allerdings habe Litauen das Recht und die Pflicht zu wissen, was transportiert werde.

Die baltischen Staaten plädieren traditionell für einen Kurs der Härte gegenüber Russland und verweisen darauf, dass Kaliningrad bereits vor dem Ukraine-Krieg ein Umschlagplatz für Schmuggelware gewesen sei. In Russland nutzten Scharfmacher wie der ehemalige Präsident Dimitrij Medwedjew die Gelegenheit und sprachen von einer "Bedrohung für das Vaterland". Mit dem Verweis auf eine nationale Bedrohung wird gerne ein Kriegsvorwand konstruiert.

Die neuen Leitlinien der Kommission sollen nicht nur den Umgang mit dem Stahl- und Eisenembargo, sondern auch die nächsten Stufen im Sanktionsregime regeln. Am 10. Juli fallen Zement und Alkohol unter das Verbot, einen Monat danach folgt Kohle. Später im Jahr werden Öl und Raffinerieprodukte von den Sanktionen betroffen sein.

Nach der Korrektur aus Brüssel lässt sich der unterschiedliche Blick aus der Kommission auf die Umsetzung der Sanktionen nicht länger verschleiern. Bemerkenswert war, dass auch die russische Seite um eine Beruhigung bemüht war und der EU Zeit für eine Klärung eingeräumt hatte. Damit zeigte sich, dass Moskau nicht wirklich ein Interesse an einer Eskalation mit Nato- und EU-Mitgliedern hatte. Zwar werden zwischen Moskau und Brüssel keine direkten Verhandlungen geführt, aber die Signale werden aufmerksam registriert. In Moskau mehrten sich in den vergangenen Tagen aber auch Stimmen wie etwa des einflussreichen Sekretärs des nationalen Sicherheitsrats, Nikolai Patruschew, die nun Sanktionen gegen Litauen einleiten wollten. Beobachter sprechen von einem Lager der Falken und der Tauben. Die moderate Seite dringt nun auf ein Signal der EU.

Die Kommission wiederum steht nicht nur vor dem Problem, eine bereits getroffene Richtlinie möglichst geräuschlos zu revidieren. Sie muss auch auf die innenpolitische Situation in Litauen Rücksicht nehmen, wo ein Kurswechsel als Schwäche vor Russland interpretiert würde und vor neuen Provokationen aus Moskau gewarnt wird. Außenminister Gabrielius Landsbergis machte in einem Interview klar, dass sein Land "keine zusätzliche Klarstellung" angestrebt habe. "Was präsentiert wurde, ist ausreichend und klar", so Landsbergis. Russland dürfe "keinen diplomatischen Sieg" davontragen. Nicht nur deshalb soll Litauen die Möglichkeit eingeräumt werden, bei gravierenden Sanktionsverstößen beim Transit einzugreifen, wenn also etwa außergewöhnlich große Mengen eines sanktionierten Gutes transportiert werden.

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