Russland übt schon einmal die Eskalation. Kusti Salm, der Stabschef des estnischen Verteidigungsministeriums, sagte der finnischen Zeitung Iltalehti, Russland habe Raketenangriffe mit Hubschraubern auf estnischem Territorium simuliert. Diese Grenzverletzungen hätten in letzter Zeit mehrmals stattgefunden. Moskau äußerste sich nicht zu den Vorwürfen Estlands. Die russische Marine hat am Dienstag Manöver im finnischen Meerbusen angekündigt, zuvor waren bereits weiter südlich Übungen durchgeführt worden.
Moskau möchte mit diesen Manövern und den simulierten Angriffen vermutlich weiter Druck auf die EU und vor allem auf Litauen aufbauen. Der baltische Staat hatte am Samstag mitgeteilt, den EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskriegs in der Ukraine folgend, den Warenverkehr per Eisenbahn in die russische Exklave Kaliningrad einzuschränken. Betroffen sind davon vor allem Baumaterialien, Zement und Metalle. Lebensmittel und viele andere Waren können nach wie vor in die Exklave importiert werden. Kaliningrad liegt zwischen Polen, Litauen und Weißrussland, es gibt keine direkte Verbindung nach Russland, und viele Güter müssen deshalb mit Zügen durch Litauen oder auf dem Seeweg in die Exklave transportiert werden. Kaliningrad ist für Russland von großer strategischer Bedeutung, es ist der Heimathafen seiner Baltischen Flotte, und mit dort stationierten Raketen kann Moskau einen großen Teil Europas bedrohen.
Der Kreml hatte wegen der Transitbeschränkungen am Mittwoch angekündigt, es würden Maßnahmen ergriffen werden, die "nicht im diplomatischen, sondern im praktischen Bereich liegen". Was das bedeuten soll, ist unklar. Womöglich wird Russland versuchen, weiter auf wirtschaftlichem Weg, durch die künstliche Verknappung von Nahrungsmitteln und fossilen Brennstoffen, Druck auf den Westen auszuüben. Auch könnte Litauen von dem gemeinsamen Stromnetz mit Russland abgeschnitten werden.
Obwohl die Exklave Kaliningrad wegen ihrer Lage immer wieder in Konfrontationsszenarien zwischen Russland und der Nato eine Rolle spielt, scheint eine militärische Eskalation derzeit unwahrscheinlich. Experten meinen, Russland fehlten wegen des Krieges in der Ukraine schlicht die Mittel für eine Konfrontation mit der Nato.
In einer früheren Version des Artikels hieß es, auch russische Flugzeuge hätten den Luftraum mehrerer Ostseeländer verletzt. Das ist falsch. Der beschriebene Vorfall ereignete sich bereits im Juni 2021. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.