Süddeutsche Zeitung

Deutschlands letzter Kaiser:Wie sich Wilhelm II. über Hitlers Erfolge freute

1941 starb Kaiser Wilhelm II. im niederländischen Exil. Zuletzt zeigte er sich als geifernder Antisemit - und frohlockte über die Wehrmachts-Siege.

Von Oliver Das Gupta

Viele seiner ehemaligen Untertanen bekamen zunächst gar nicht mit, dass der Kaiser gestorben war. Nachdem Wilhelm II. am 4. Juni 1941 im niederländischen Exil Doorn verschieden war (angeblich waren seine letzten Worte: "Ich versinke"), war die Anordnung der nationalsozialistischen Reichsführung an die deutschen Zeitungen klar: Wenn überhaupt, sollte nur knapp vom Ableben des Ex-Monarchen berichtet werden.

Die Münchner Neuesten Nachrichten, die Vorgängerzeitung der Süddeutschen Zeitung, berichtet immerhin in zwei Spalten am Tag danach über den prominenten Todesfall. Auf der unteren Hälfte der Titelseite heißt es milde, Wilhelm sei ohne Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges, aber auch von "psychologischen Fehlern" des Kaisers ist die Rede.

Trauer mit militärischem Pomp

In dem Nachruf wird erwähnt, dem Kaiser seien durch den "Konstitutionalimus" weitgehend die Hände gebunden gewesen - die NS-Propaganda schob dem bisschen Demokratie des Kaiserreichs die Mitschuld an Wilhelms katastrophaler Politik zu. Außerdem meldete die Zeitung, dass der "Führer" und Reichskanzler Adolf Hitler ein Beileidstelegramm an die Gemahlin des Verstorbenen geschickt habe.

Die Trauerfeierlichkeiten vor Ort liefen mit Pomp ab. Zur Bestattung fünf Tage später reisten dutzende Angehörige des Hohenzollern-Clans an, es gab ein buntes Gemisch an Uniformen, alten kaiserlichen und neuen mit Hakenkreuz.

Einmütig stand Arthur Seyß-Inquart, der Reichskommissar für die besetzten Niederlande, (der später in Nürnberg für seine Verbrechen hängen sollte,) neben dem in Husaren-Montur gewandeten greisen Generalfeldmarschall August von Mackensen, der sich willig vom NS-Regime einspannen ließ. Auf dem Sarg Wilhelms lag allerdings die alte Flagge, auf ihr prangte der Adler des untergegangenen Kaiserreichs.

Wilhelm II. war 30 Jahre das deutsche Staatsoberhaupt, er war ein schwacher und starker Herrscher zugleich. Schwach, weil er komplexbeladen und wankelmütig war sowie naiv und emotional minder intelligent. Stark, weil er es trotz seiner Charakterschwächen und Unzulänglichkeiten geschafft hatte, eine ganze Ära zu prägen: das Wilhelminische Zeitalter.

Unberechenbar und grob

Seit seiner Thronbesteigung 1888 interessierten den Kaiser politisch vor allem das Militär und die mögliche deutsche Machtsausdehnung. Wilhelm lehnte die liberalen Ideen seiner Eltern ab; auch agierte er anders als sein Großvater Wilhelm I., der seinem Reichskanzler Otto von Bismarck die Regierungsgeschäfte überließ.

Wilhelm feuerte Bismarck und regierte gerne selbst. Oft düpierte er andere und verhielt sich widersprüchlich, seine verbalen Ausfälle und politischen Manöver waren folgenreich und ließen auch im Ausland den Eindruck aufkommen, in Berlin sitze ein unberechenbarer Grobian an den Schalthebeln. Manche hielten ihn schlichtweg für geisteskrank.

Der Kaiser umgab sich mit Lakaien, schwachen Höflingen und einer Kamarilla, die vor allem eines war: machtgeil und kriegslüstern. Wilhelm schwadronierte oft von großen Gemetzeln, phantasierte von Pakten mal mit jenen, mal mit anderen Staaten. Der Kaiser träumte von deutschen Eroberungen und sogar einem deutschen Weltreich.

Um die Jahrhundertwende ließ er sogar Pläne ausarbeiten für einen Krieg gegen die USA inklusive eines Angriffs auf New York - weil die Reichsführung die Notwendigkeit sah, amerikanisch kontrollierte Karibikinseln unter deutsche Fuchtel zu bringen.

Wilhelm personelles Umfeld war es auch, das den Kaiser 1914 beim Wort nahm und den Ausbruch des Ersten Weltkrieges maßgeblich forcierte (hier mehr dazu).

Besucher Göring

Im Exil erwärmte sich seine zweite Gattin Hermine für Hitler und die NS-Bewegung. Hermann Göring besuchte Wilhelm II. schon vor der Machtergreifung. Der leichtgläubige Kaiser hoffte, dass die Nazis die Restauration bringen würden.

Der Pogrom gegen die Juden im November 1938 empfand der Kaiser zwar als schlimm. Aber spätestens nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war der Ex-Monarch Feuer und Flamme für das neue Deutschland, seinen Antisemitismus zeigte er hemmunglos.

Das, was der Kaiser zusammenfabulierte, war ein krudes Feindbild, das damals wie heute von einschlägigen Kreisen gepflegt wird: das der jüdischen Weltverschwörung.

Der britische Historiker John C.G. Röhl, der wohl beste Kenner von Wilhelm II. und seiner Epoche, dokumentierte in einer opulenten dreibändigen Biographie die antisemitischen Tiraden des alternden Hohenzollern nach 1939: Von einem von Freimaurern und Juden "durchseuchten" Gegner geiferte der Kaiser. Zweimal hätte das Judentum einen Weltkrieg vom Zaun gebrochen, um das "Weltreich Juda" zu errichten. Seine absurde Phantasie glich auf fatale Weise der NS-Propaganda.

Hitlers Erfolge für sich reklamiert

Nun träumte der greise Kaiser von einem germanischen Superstaat auf dem Kontinent, einem Deutschland, das Europa gewaltsam vereint. Immer wieder behauptete Wilhelm vor seinem Tod, dass in Hitlers Eroberungsfeldzügen Gottes Wille geschehe. Der Hohenzoller lobte sich dabei selbst als das Werkzeug des Allmächtigen: Wilhelm pries die Erfolge der Wehrmacht. Stolz verwies er darauf, dass die Offiziere der Nazi-Armee schließlich aus seiner Schule kämen.

"Der Ex-Kaiser verbuchte Hitlers Erfolge, außenpolitisch vor dem Krieg und militärisch nach 1939, auf seinem Konto", sagte Historiker Röhl in einem SZ-Interview. "Wilhelm sah in Hitler seinen Vollstrecker."

Diese Ansichten behielt er bis zu seinem Lebensende. Am 20. April 1941, Hitlers Geburtstag, schrieb der 82-Jährige in einem Brief vom "Sieg über Juda & den Antichrist in britischem Gewand".

Wenige Wochen später war Wilhelm II. tot. Bei den Bestattungsfeierlichkeiten ließ die NS-Führung Wehrmachtssoldaten aufmarschieren vor Wilhelms Wohnsitz, dem Haus Doorn. Das Regime erwies dem toten Kaiser die letzte Ehre, auch Deutschlands Diktator. Einige Landser schleppten einen riesengroßen Kranz durch die Gegend. Es war ein letzter persönlicher Gruß Adolf Hitlers.

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