Süddeutsche Zeitung

Ein Bild und seine Geschichte:Der Junge, der den Kaiser zum Lachen brachte

Wilhelm II. zeigte sich heiter wie selten mit Prinz "Fritzi", dem Sohn eines adeligen Freundes. Später sorgte eine Sondergenehmigung des Kaisers dafür, dass der Jugendliche an die Front durfte - das Ende kam schnell.

Von Oliver Das Gupta

So sieht man Majestät kaum auf Fotos: Der durch seinen von Geburt an gelähmten linken Arm gehandicapte Kaiser hat einen Fünfjährigen hochgehoben. Der Junge, den sie alle "Fritzi" rufen, schaut etwas skeptisch drein, aber Wilhelm II. wirkt ziemlich heiter - sein Lächeln legt sogar die Zähne unter seinem markanten Schnurrbart frei (auch das kam eher selten vor).

An diesem Frühlingstag vor 117 Jahren, am 7. Mai 1904, weilt der deutsche Kaiser und König von Preußen in Donaueschingen, einer Stadt im heutigen Baden-Württemberg. Dort, unweit des Schwarzwaldes, verbringt Wilhelm besonders gerne Zeit, Anlass ist meist die Jagd. Der Grund für sein Wohlbefinden aber sind wohl vor allem seine Gastgeber: die fürstlichen Eheleute Irma und Max Egon II. zu Fürstenberg.

Mit deren Kindern pflegt der Monarch einen Umgang, "als wenn es seine eigenen wären", wie eine Zeitzeugin damals beobachtet (wobei der Kaiser mit seinem eigenen Nachwuchs mitunter nicht gerade zimperlich umging). Besonders scheint er den jüngsten Fürstenberg-Spross zu mögen: Den 1898 geborenen Prinzen Friedrich Eduard, eben jenen "Fritzi". Der hilft ihm "als kleiner Bub beim Unterschreiben" sogar ein Stück weit "Regieren", wie sich der Kaiser später erinnern wird.

Der Prinz spielt Geige und Flöte, er wird von Privatlehrern unterrichtet und legt jährlich Prüfungen am deutschen Gymnasium im fernen Prag ab. Unweit der böhmischen Hauptstadt befindet sich der zweite Stammsitz der Fürstenbergs, denn das Haus ist sowohl Teil des deutschen Hochadels als auch der Aristokratie der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Die Fürstenbergs sind deshalb auch ein Bindeglied zwischen dem Hohenzollern Wilhelm und dem Habsburger Franz Ferdinand von Österreich-Este, jenem Erzherzog-Thronfolger, dessen Ermordung 1914 den Ersten Weltkrieg auslösen sollte.

Das Schloss der Fürstenbergs dient dem Kaiser auch als eine Art Zufluchtsort im Krisenjahr 1908. Damals schwelt die Affäre um Philipp zu Eulenburg, der dem Herrscher viele Jahre ein enger Vertrauter ist und in frivolen Männerrunden bespaßt. Eulenburg und auch andere Männer aus seinem Dunstkreis sind schwul. Doch da praktizierte Homosexualität damals verboten ist und die Causa durch den Journalisten Maximilian Harden und mehrere Prozesse publik wird, hat der Kaiser plötzlich ein erhebliches Problem. Er wendet sich von Eulenburg ab und umso mehr den Fürstenbergs zu. Im von Homophobie durchwirkten Europa der Vorkriegszeit schadet die Affäre Wilhelms Ansehen gerade in deutschkonservativen Kreisen erheblich.

Ein Bild und seine Geschichte

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Zum Eulenburg-Skandal kommt noch die Daily-Telegraph-Affäre um ein Interview des Kaisers mit der britischen Zeitung, in dem er sich mit ungeschickten und falschen Aussagen noch tiefer in die Krise schwadroniert hat. Die Aufregung ist groß, die Regierung seines auch mit Eulenburg befreundeten Reichskanzlers Bernhard von Bülow schwankt. Nun besteht für den Kaiser eigentlich Handlungsbedarf, doch Wilhelm II. kneift: Er reist nach Donaueschingen, Kontrastprogramm bei den Fürstenbergs, bei Fritzi und all den anderen lieben Kindern.

Doch dort kommt es noch schlimmer für den Kaiser: Der Chef seines Militärkabinetts, ein General namens Dietrich von Hülsen-Haeseler, will den betrübten Wilhelm auf einem festlichen Abend mit einer besonderen Einlage aufmuntern. In einem Ballkleid der Gastgeberin und mit einem großen mit Pfauenfedern geschmückten Hut tanzt er zu Walzerklängen und wirft Kusshände in die versammelte Feiergesellschaft, die kräftig applaudiert. Kaum hat der General den Saal verlassen, fällt er um: "Er ist gestürzt, weil er tot war", vermerkt ein Augenzeuge. Die Umstände des Ablebens von General Hülsen-Haeseler werden geheim gehalten. Einige Tage später hat der Kaiser einen Nervenzusammenbruch.

Die Freundschaft der Fürstenbergs zu dem Hohenzollern wird in dieser Zeit noch enger, seine Freunde überhäufen Wilhelm in unzähligen Briefen mit schwülstig formuliertem Mitleid.

Als 1914 der Erste Weltkrieg beginnt, lässt sich Prinz Fritzi von der Euphorie mitreißen. Der Teenager mit dem weichen runden Gesicht besucht die Westfront, verteilt Geschenke und trifft den Kaiser in seinem Hauptquartier. Der junge Fürstenberg will auch mitkämpfen, ist aber noch zu jung. Wilhelm hilft nach: 1916 erteilt ihm der Kaiser eine Sondergenehmigung. Der 17-Jährige kommt im Rang eines Leutnants zum Badischen Fußartillerieregiment Nr. 14 nach Straßburg.

Der Kaiser trauert um den "lieben tapferen Fritzi"

Im Sommer, nachdem Rumänien auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten ist, wird er an die Ostfront verlegt. Nun erlebt er die volle Grausamkeit der Kämpfe. In Briefen nach Hause beschreibt er, wie es ist, wenn "wieder so ein paar Menschenleiber in der Luft herumfliegen" beim Trommelfeuer auf die gegnerischen Linien - "es ist ganz tierisch - man wird's aber selber".

Ende des Jahres befindet er sich mit seiner Einheit etwa 200 Kilometer nördlich von Bukarest. Am 31. Dezember 1916 setzt am Nachmittag unerwartet russischer Artilleriebeschuss ein. Eine Granate trifft die Hütte, in der Fritzi gerade mit zwei Kameraden zusammensitzt. Schwer verletzt an Arm und Lunge schleppt er sich zum nahen Verbandsplatz, wo er versorgt wird. Der Prinz fragt noch, ob er wieder gesund wird. Abends ist er tot.

Zur Bestattung in Donaueschingen am 9. Januar 1917 schickt Kaiser Wilhelm II. einen Vertreter und einen Brief an seinen Freund Max Egon. Er trauere um den "lieben tapferen Fritzi", der den "Heldentod" gestorben sei, teilt der Herrscher seinem Freund mit. "Ich habe oft für Dich und Deinen Jungen in diesem Krieg gebetet, dass ihr erhalten bleibt", so Wilhelm, "nun hat der Herr es anders beschlossen".

Friedrich Eduard zu Fürstenberg wird 18 Jahre alt.

Die Fotos stammen aus dem Band "Max Egon II. zu Fürstenberg - Fürst, Soldat, Mäzen" (Jan Thorbecke Verlag 2019), in dem die historische Figur des Adeligen umfangreich dokumentiert wird.

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