Süddeutsche Zeitung

Österreich vor der Wahl:All die Jahre nach Haider

In Kärnten regierten die Rechtspopulisten unter Jörg Haider lange bevor Europa Salvini, Orbán und den Brexit kennenlernte. Mit den Folgen ist das österreichische Bundesland heute noch beschäftigt.

Von Tobias Zick, Klagenfurt

Da steht er, der Wald, und schweiget. Kein Hauch lässt irgendwas rascheln, ringsherum schirmen die Stadionwände die insgesamt 299 Bäume gegen Wind ab. Ein sehr rechteckiges Stück Mischwald, im Flutlicht, vor fast leeren Rängen. Bäume, ein so selten gewordener Anblick, dass man sie eigens aufsuchen muss, wie Tiere im Zoo. Der Kunstvermittler Klaus Littmann, ein Baseler mit gesunder Bräune und blauem Sportsakko, hat jahrelang einen Ort gesucht, wo er diese Umwelt-Dystopie in eine große Installation umsetzen konnte.

Echte Bäume in einem echten Fußballstadion: In etlichen Städten Europas hat Littmann Absagen kassiert, Klagenfurt hat es möglich gemacht. Und so findet die Hauptstadt Kärntens seit Wochen in der Weltpresse statt, während die lokale Presse Schlagzeilen mit der Tatsache macht, dass Leonardo di Caprio ein Bild des Stadionwalds auf Instagram geteilt hat. Fragt man Littmann dagegen nach Reaktionen der Leute am Ort, sagt er: "Es ist unterirdisch." Einer der Höhepunkte war neulich jener Morgen, als er, wie er erzählt, durch die Innenstadt von Klagenfurt spazierte. Da packte ihn plötzlich ein Mann an der Schulter, schubste ihn auf die Straße und rief ihm hinterher: "Hau ab mit deinem Scheißwald!" Das war etwa zwei Wochen nachdem ihn jemand auf einer Publikumsdiskussion als "Brunnenvergifter" beschimpfte und ankündigte, man werde ihn "am nächsten Baum" aufhängen. Dass er mit seinem Projekt die politische Landschaft der Gastregion derart aufwühlen würde, hätte er nicht gedacht.

Dabei sei es eher Zufall, dass er in Kärnten gelandet sei. Aus gestalterischer Sicht allerdings ein glücklicher Zufall: "Es ist das perfekte Stadion für den Zweck. Stahl, Glas, Beton; ein Bau, der sich nach oben schließt. Irgendein abgehalftertes Stadion wäre nicht das Gleiche gewesen."

Gerichtsprozesse brachten viele widerliche Details aus der Haider-Zeit ans Licht

In der Tat, das Stadion ist kaum abgenutzt. Bauen ließ es ein gewisser Jörg Haider, insgesamt elf Jahre lang Landeshauptmann Kärntens, bis zu seinem Tod am 11. Oktober 2008, als er nachts mit 142 Stundenkilometern und 1,8 Promille im Klagenfurter Vorort Lambichl von der Straße abkam und sich überschlug.

Sein Stellvertreter verkündete im Fernsehen: "Die Sonne ist in Kärnten vom Himmel gefallen", ehe er dann als Ersatz-Sonne recht bald das Amt des Regierungschefs übernahm. Geblieben von Jörg Haider sind Mahnmale der Prasserei wie eben das Stadion, gebaut zur Fußball-EM 2008, für rund 96 Millionen Euro, fast doppelt so viel wie angekündigt. Hinzu kommen bis heute jedes Jahr rund eine Million Euro Unterhaltskosten, und das, während bei Heimspielen des SK Austria Klagenfurt in den letzten Jahren selten mehr als 700 der 30 000 Sitzplätze belegt waren. Geblieben sind auch die Schuldenberge in alpiner Höhe.

Unvergessen ist der Werdegang der Landesbank Hypo Alpe Adria, die Haiders Regierung vor dem Konkurs rettete, indem sie die Haftung für Risiken in Höhe von mehr als 24 Milliarden Euro übernahm, mehr als das Zehnfache des gesamten Kärntner Jahresbudgets. Geblieben von Haider ist auch der Geist des Rechtspopulismus, den er seinerzeit in Kärnten heranzüchtete und aus der Flasche ließ, lange bevor die meisten Europäer Wörter wie "Salvini", "Orbán" oder "Brexit" fließend aussprechen konnten. Heute spukt dieser Geist durch weite Teile des Kontinents - während Kärnten seit nunmehr sechs Jahren wieder sozialdemokratisch regiert wird. Wie kam es dazu? Peter Kaiser, SPÖ, Nachnachfolger Haiders als Kärntner Landeshauptmann, empfängt am Besprechungstisch seines Amtszimmers, blaue Krawatte, das silbrige Haar leger, aber doch akkurat gescheitelt.

Man solle aufpassen, dass man "kein falsches heroisierendes Bild" von ihm zeichne, sagt Kaiser: "Es sind nicht wir hinaufgewählt worden. Die anderen wurden abgewählt", sagt er. Der Skandal um die Hypo Alpe Adria, die Gerichtsprozesse, die allzu widerliche Details ans Licht der Öffentlichkeit brachten - das war dann doch zu viel, auch für etliche frühere Haider-Anhänger. Bei den Wahlen 2013 holten die beiden FPÖ-Spaltprodukte, das von Haider gegründete Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und Die Freiheitlichen in Kärnten (FPK), zusammen nur noch gut 23 Prozent.

Peter Kaisers Sozialdemokraten gewannen neun Prozent hinzu und bei der Wiederwahl 2018 noch mal fast zehn Prozent. "Wir haben Kärnten auf dem Abstellstreifen übernommen und es auf die Fahrbahn geführt", sagt Kaiser. Derzeit baut Infineon eine neue Chip-Fabrik in Kärnten. "Jetzt blinken wir links raus, auf die Überholspur und schauen, dass wir das Tempo so halten, wie es erlaubt ist." Kaisers mitunter fast penetrant sachlich-nüchterne Art gilt als wesentliche Zutat des Erfolgsrezepts, aber ebenso, wie er selbst sagt: "Grundsätze, zu denen man auch stehen muss. Und zweitens: Authentizität. Es macht keinen Sinn, wenn ich mich an der Spitze von irgendwelchen dialektmarodierenden Leuten gegen das eine oder andere ausspreche. Ich habe einen gewissen Stil, den kennen die Leute."

Wobei es nach Ansicht diverser Beobachter einige Kärntner Besonderheiten gibt, die seinerzeit den Höhenflug Haiders begünstigt haben. Das latente Gefühl des Abgehängtseins, eine Grundzutat des Nährbodens für Populismus, sitze hier tief, sagt Oliver Vitouch, Psychologe und Rektor der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Bereits unter den Habsburgern sei die Region vernachlässigt worden: "Das sehen Sie schon an der Architektur. Klagenfurt fehlt die barocke Bausubstanz, die andere österreichische Städte haben." Da kam ein begnadeter Redner, der den Leuten versprach, ihr Bundesland ganz groß rauszubringen - etwa als Spielort bei der Fußball-EM - ganz recht.

"Die Haider-Jahre waren eine Zeit mit manisch-depressiven Zügen", sagt Vitouch, "und zwar nicht nur beim Landeshauptmann selbst, sondern in weiten Teilen der Bevölkerung." Nach dem Unfalltod Haiders sei der jahrelange Rausch in einen Kater umgeschlagen, die Bevölkerung sei in einen kollektiven Katzenjammer verfallen: "Man musste sich eingestehen, dass vieles auf Lug und Trug gebaut war - und dass man alldem auf den Leim gegangen war. In dieser Phase kam dann der nüchterne Zugang eines Nicht-Popstar-Politikers gerade recht."

Könnte das politische Pendel eines Tages zurückschlagen? "Ich denke, dass die FPÖ in Kärnten aufgrund ihrer Skandaltradition noch auf Jahre hinaus abgemeldet ist", sagt Vitouch, "aber es ist durchaus denkbar, dass sie mit der richtigen Frontfigur und zwei, drei geschickten Slogans wieder sehr stark werden könnte, wenn die Sozialdemokratie in irgendwelche Skandale oder Fettnäpfchen tappt."

Der Mann, der antritt, um Haiders BZÖ wieder groß zu machen - 2018 kam sie bei der Landtagswahl auf 0,38 Prozent -, empfängt im Klagenfurter Bürgerbüro der Partei. Martin Rutter, Spitzenkandidat, Jahrgang 1983, ein drahtiger Mann mit Oberlippen- und Kinnbart, schreitet durch eine Tür, über der ein riesiges Porträt von Jörg Haider hängt. Was er von dem "politischen Übervater" weitertragen wolle, sagt er, sei dessen "rebellischer Geist".

Bedingungsloses Grundeinkommen, EU-Austritt, Umweltschutz statt Klimawahn

Rutter hat etwa im Internet zu einer "satirischen Protestaktion" gegen das Waldprojekt im Haider-Stadion aufgerufen. Die Leute sollten mit "funktionsunfähigen Kettensägen" aufmarschieren, um ihren Unmut gegen die Bäume kundzutun. Ansonsten fordert seine Partei etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen von 2500 Euro, den Austritt Österreichs aus der EU sowie "Umweltschutz statt Klimawahn".

Auf Wahlkampfveranstaltungen verteilt Rutter Aufkleber mit dem Slogan: "Lieber heiße Tanten als teure Asylanten." Der jetzige SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser, sagt Rutter, treffe mit seinem "sehr formellen Auftreten" langfristig nicht die "Kärntner Seele": "Emotional berührt er die Kärntner nicht so."

Es gebe in diesem Bundesland zwei Besonderheiten, sagt Peter Kaiser in seinem Amtszimmer. Zum einen die Neigung, "politische Entwicklungen eine Spur emotionaler zu bewerten". Zum anderen, statistisch erwiesen, eine überdurchschnittliche Bereitschaft zum Wechselwählen. "Das war zuletzt günstig für uns. Aber es könnte genauso gut eines Tages wieder umgekehrt wirken. Was wir an politischen Stärkeverhältnissen haben, müssen wir uns täglich neu erarbeiten."

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SZ vom 27.09.2019/swi
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