Kämpfe in Syrien:Assad lässt auf Demonstranten schießen

Das syrische Regime probt Demokratie: Während Präsident Assad über vermeintliche Reformen abstimmen lässt, eröffnen seine Soldaten das Feuer auf Demonstranten. Die EU-Außenminister setzen auf neue Sanktionen, um den Druck auf den syrischen Staatschef zu erhöhen - das Verfassungsreferendum kritisieren sie als "Farce". Lob für Assad kommt hingegen aus Russland.

Das Verfassungsreferendum in Syrien hat den blutigen Konflikt in dem Land nicht entschärft: In der syrischen Hauptstadt Damaskus sind drei Menschen von Regierungstruppen erschossen worden. Sicherheitskräfte hätten auf die Demonstranten geschossen, die für mehr Demokratie auf die Straße gingen, berichteten Oppositionsanhänger.

Syrians vote on a new constitution

Das staatliche Fernsehen und die Nachrichtenagentur Sana zeigten friedliche Bilder der Wahl - in zahlreichen Orten kam es allerdings zu Gefechten.

(Foto: dpa)

Die Proteste seien bereits am Sonntag nach dem Referendum im Stadtteil Kfar Suseh ausgebrochen. Dort sei die Abstimmung weitgehend boykottiert worden. Nach Angaben einer Menschenrechtsgruppe wurden dabei auch drei Menschen verletzt.

EU kritisiert Referendum massiv

In der Europäischen Union ist das Referendum auf massive Kritik gestoßen. Die Abstimmung sei eine "erschreckende Maskerade", sagte der französische Außenminister Alain Juppé vor einem Treffen der 27 EU-Außenminister in Brüssel. "Es ist würdelos, weil zur gleichen Zeit Bomben auf Homs und andere Städte fallen."

Die Abstimmung sei ein "Hohn", sagte auch der österreichische Außenminister Michael Spindelegger in Brüssel. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nannte es eine "Farce", wenn das syrische Fernsehen über das Referendum und "blühende Landschaften der Demokratie" berichte und gleichzeitig "Kinder in den Krankenhäusern umgebracht und Frauen in den Krankenhäusern vergewaltigt werden".

Es gehe nun darum, wie man diese Morde stoppen könne. Spindelegger sprach sich gegen eine Militärintervention aus. Auch Asselborn sagte, ein Militäreinsatz oder die Lieferung von Waffen an die syrische Opposition sei "keine Option".

Ein Bündel neuer Sanktionen gegen Syrien

Stattdessen beschlossen die EU-Außenminister im Lauf ihrer Sitzung in Brüssel ein Bündel neuer Sanktionen, um den Druck auf das Regime von Präsident Assad zu erhöhen: Sie stoppten alle Frachtflüge syrischer Fluggesellschaften. Zudem werden die europäischen Konten der syrischen Zentralbank eingefroren, sieben weitere Minister werden mit Reiseverboten und Kontensperrungen belegt. Außerdem wurde der Handel mit Gold, Edelsteinen und Edelmetallen verboten.

Emily Haber, Staatssekretärin im deutschen Außenministerium, sagte, die bisherigen Sanktionen - unter anderem ein Verbot der Öleinfuhren - hätten bereits "eine erhebliche politische Wirkungskraft entfaltet". Außenminister Guido Westerwelle erklärte: "Nach der gestrigen Farce eines Referendums, das mit Demokratie nichts zu tun hat, ist es richtig und wichtig, dass wir in Europa heute neue und schärfere Sanktionen gegen das Regime in Syrien beschlossen haben."

Die EU will auch Mitglieder der Opposition, die sich zum Gewaltverzicht und zu demokratischen Werten bekennen, künftig stärker unterstützen. Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) wird in einer Erklärung der EU-Regierungen als ein legitimer Vertreter des syrischen Volkes anerkannt, nicht aber als einziger.

Der niederländische Außenministers Uri Rosenthal sagte, die EU prüfe, ob sie "zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Friedenstruppe nach Syrien schicken" könne. Dazu müsse es zunächst aber erst einmal einen Frieden geben. "Die erste Priorität ist also, dass die Gewalt aufhört und dass Präsident Baschar al-Assad zurücktritt." Emily Haber widersprach: "Es ist noch gar nicht der Zeitpunkt, um darüber zu sprechen". Ohne Einladung oder Beschluss des UN-Sicherheitsrates sei das nicht möglich: "Beides liegt noch nicht vor."

Assad setzt unterdessen seine Offensive in den Protesthochburgen unbeirrt fort: Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur Reuters von einem Dauerbeschuss vor allem sunnitischer Teile der Stadt. Ersten Meldungen zufolge wurden mindestens zwei Menschen getötet. Landesweit gab es am Wochenende mehr als 130 Tote, die meisten in Homs, Hama und Daraa.

Syriens Verbündeter Russland lobt Referendum

Als "Schritt zur Demokratisierung" hat Syriens Verbündeter Russland das Verfassungsreferendum begrüßt. Die Abstimmung sei wichtig zur Bildung eines Mehrparteiensystems, sagte Außenminister Sergej Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax. Er rief Assads Gegner auf, sich an Reformen in Syrien zu beteiligen.

"Regierung und Opposition müssen die Gewalt einstellen", betonte Lawrow in Moskau. Die Kontaktgruppe der Freunde Syriens trage dagegen nicht zur Lösung des Konflikts bei, kritisierte er. Das Treffen der Kontaktgruppe am vergangenen Freitag in Tunesien sei "bedauerlicherweise völlig einseitig" gewesen.

Russland fordert von der internationalen Gemeinschaft, die Assad-Führung als Partner anzuerkennen und nicht weiter zu isolieren. Regierungschef Wladimir Putin warnte den Westen erneut vor einem militärischen Einschreiten in Syrien. Als Vetomacht im Weltsicherheitsrat hatte Moskau eine Resolution des Westens gegen Damaskus blockiert.

Eine Resolution oder auch nur eine Erklärung des Ratspräsidenten lässt Russland auch weiterhin nicht zu: Nur unter der Bedingung, dass auf "jedwede Form eines schriftlichen Dokuments" verzichtet wird, gaben Moskaus UN-Diplomaten in Genf grünes Licht für die Syrien-Dringlichkeitsdebatte, die von arabischen Staaten, der EU und den USA unterstützt wird.

Vermeintlich demokratische Reformen

Das Ergebnis der Volksabstimmung hat das Staatsfernsehen in Damaskus inzwischen verkündet. Demnach sollen knapp 90 Prozent der Wähler für die Änderungen gestimmt haben. Nach Regierungsangaben waren 14,6 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, sich an dem Referendum zu beteiligen. Bereits am frühen Sonntagmorgen öffneten nach Angaben staatlicher syrischer Medien landesweit etwa 14.000 Wahllokale. Fernsehbilder zeigten zahlreiche Syrer bei der Stimmabgabe. Letztlich nahmen an dem Referendum jedoch vor allem die Bewohner von Damaskus teil.

Syrians vote on a new constitution

Präsident Assad und seine Frau Asma gaben am Sonntag ihre Stimme ab - die Führung in Damaskus will möglicherweise schon am Montag Ergebnisse bekanntgeben. 

(Foto: dpa)

Außerhalb der Hauptstadt sowie in den Krisenregionen blieben viele Menschen nach Berichten von Augenzeugen den Wahlurnen fern. Wichtigste Neuerung im Verfassungsentwurf ist, dass die Monopolstellung der regierenden Baath-Partei aufgehoben werden soll. Allerdings bleiben politische Aktivitäten auf Basis der Religion oder der Stammeszugehörigkeit untersagt.

Beobachter gehen davon aus, dass dies vor allem den Kurden und Vereinigungen wie der verbotenen Muslimbruderschaft schadet. Mit dem Referendum werde die Macht des Präsidenten kaum eingeschränkt, kritisieren Aktivisten. Vielmehr behalte er weitreichende Vollmachten wie die Befugnis, das Parlament aufzulösen und die Regierung zu berufen.

Opposition vor Zerreißprobe: Gruppe spaltet sich ab

Die Opposition steht seit Sonntag vor einer neuen Zerreißprobe: Prominente Mitglieder des Syrischen Nationalrates spalteten sich am Sonntag ab und verkündeten die Gründung der Syrischen Patriotischen Gruppe. Sie wird vom Anwalt und früheren Richter Haitham al-Maleh angeführt. Dem Nationalrat sei es nicht gelungen, den Rebellen in Syrien zum Erfolg zu verhelfen, hieß es in einer Erklärung der Gruppe.

Die Patriotische Gruppe habe sich zum Ziel gesetzt, die Führung des Landes unter Machthaber Baschar al-Assad zu Fall zu bringen und dabei auch die Freie Syrische Armee einzubinden. Der Nationalrat war bei syrischen Regierungsgegnern zuletzt immer mehr in die Kritik geraten, weil er den bewaffneten Widerstand gegen Assad nicht offen unterstützte.

Niederlande wollen Friedensmission

Die Niederlande haben eine internationale Friedensmission für Syrien gefordert. Es werde alles versucht, "um zu sehen, ob wir an einem bestimmten Punkt einen friedenserhaltenden Einsatz auf die Beine stellen können", sagte der niederländische Außenminister Uri Rosenthal bei den Beratungen in Brüssel.

Allerdings heiße das, dass vor dem Beginn eines entsprechenden Einsatzes Frieden herrschen sollte, fügte er hinzu. Wie aus niederländischen Diplomatenkreisen verlautete, strebt Rosenthal keine EU-Truppe an, sondern allenfalls eine Beteiligung an einem internationalen Einsatz unter Führung der Arabischen Liga oder der Vereinten Nationen.

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