Süddeutsche Zeitung

Kämpfe in Ostukraine:Kiew geht zum Angriff über

Nach der Präsidentschaftswahl treibt die ukrainische Armee die prorussischen Separatisten in die Defensive - zumindest vorerst. Deren Zusammenhalt hat nach einer Niederlage in Donezk tiefe Risse bekommen.

Von Antonie Rietzschel

Frieden - das ist wohl Petro Poroschenkos größtes, aber auch am schwierigsten einzulösendes Versprechen an die ukrainische Bevölkerung. Erreichen will das der neu gewählte Präsident nicht durch Verhandlungen mit den "Terroristen", wie er bei einer Pressekonferenz einen Tag nach seinem Wahlsieg sagte, sondern mithilfe der ukrainischen Armee. Schneller und effektiver solle die agieren. "Der Anti-Terror-Einsatz sollte nicht zwei oder drei Monate dauern, sondern nur wenige Stunden", sagte der 48-Jährige.

Die im Osten des Landes stationierte Armee schien den Ruf aus Kiew zu hören und zögerte nicht lange. Bisher hatten prorussische Kämpfer ohne große Widerstände Gebäude besetzen können. Am Montag, einen Tag nach der Präsidentschaftswahl, versuchten sie den internationalen Flughafen in Donezk unter ihre Kontrolle zu bringen. Die ukrainischen Streitkräfte reagierten mit einer größeren Offensive: Mit Kampfflugzeugen, Militärhubschaubern und Fallschirmjägern griffen sie an. Nach einem mehrstündigen Gefecht konnte die Armee die Separatisten von dem Flughafengelände vertreiben.

Eine klitzekleine Erfolgsgeschichte

Doch der Kampf verlagerte sich in das Stadtgebiet. Nicht weit vom Donezker Hauptbahnhof entfernt lieferten sich beide Seiten schwere Gefechte (die Kyiv Post hat versucht, den Ablauf zu rekonstruieren), die Geschäfte in der Stadt blieben geschlossen, Gebäude wurden evakuiert. Angaben des Bürgermeisters zufolge sollen 40 Menschen getötet worden sein, darunter zwei Zivilisten.

Gleichzeitig teilt Innenminister Arsen Awakow mit, der Flughafen von Donezk sei wieder unter Kontrolle der Regierung in Kiew. Es ist eine kleine Erfolgsgeschichte für das ukrainische Militär, hatte es in den vergangenen Wochen doch zahlreiche Tote zu beklagen, umgekommen in Hinterhalten oder bei Angriffen auf Stützpunkte. Die Separatisten schossen Militärhubschrauber vom Himmel und paradierten mit Panzern, die sie in ihre Gewalt gebracht hatten. Die ukrainischen Soldaten, so schien es, waren in der Defensive. Doch nun hat sich die Situation zumindest für kurze Zeit verändert. Jetzt sind es die Separatisten, die zurückstecken müssen.

Bei der Bevölkerung im Osten haben sie kaum noch Rückhalt, dort ist man der Gewalt müde, aber auch verängstigt. In Einzelfällen wehren sich sogar Menschen gegen die Kämpfer. In diesem von Maidan-Aktivisten verbreiteten Video sollen Frauen in Kramatorsk zu sehen sein, die einen Bus mit bewaffneten Separatisten in die Flucht schlagen:

Mit Petro Poroschenko haben es die prorussischen Separatisten nun mit einem Präsidenten zu tun, der vom Volk gewählt und von Russland zumindest respektiert wird. Kremlchef Wladimir Putin hatte bereits vor der Präsidentschaftswahl angekündigt, mit der neuen Führung zusammenarbeiten zu wollen. Am Montag wiederholte der russische Außenminister Sergej Lawrow die Worte Putins.

Gerüchte über Flucht

Die prorussischen Separatisten sind nervös, so viel lässt sich sagen. Ihre größte Stärke war bisher auch ihr Zusammenhalt. Doch der scheint nun Risse zu bekommen. Der Chef der sogenannten "Volksrepublik Lugansk", Walerij Bolotow, hat der "Volksrepublik Donezk" offenbar den Krieg erklärt. Deren selbsternannten Regierungschef Denis Puschilin nennt er einen "Verräter", weil seine Kämpfer das Eindringen ukrainischer Soldaten in die Stadt Donezk nicht verhinderten. Das verbreiten verschiedene ukrainische Nachrichtenseiten.

Die "Volksrepublik Lugansk" streute nach dem Angriff auf den Donezker Flughafen außerdem das Gerücht, Puschilin sei geflohen. Der dementiert in einer Videobotschaft. Er habe nicht versucht wegzulaufen, sagt er.

Auch wenn Puschilin in dem Video sehr müde wirkt - ein Ende des Konflikts ist noch lange nicht in Sicht. Der amerikanische Nachrichtensender CNN hat unter den bewaffneten Truppen der prorussischen Separatisten Kämpfer aus Tschetschenien ausgemacht, bei denen sich die Frage stellt, ob sie mithilfe der russischen Regierung über die Grenze gelangten. Gleichzeitig fordert Russland das Ende des Einsatzes der ukrainischen Armee. Doch darauf wird sich Poroschenko nicht einlassen.

Linktipp: Ein Überblick über die prorussischen Machthaber in Donezk und Lugansk von Florian Hassel.

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