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Krieg in Mali:Überschätzt sich Frankreich, muss Deutschland helfen

Kampfbereitschaft, Mobilität und taktische Fähigkeiten der Islamisten in Mali sind größer als angenommen. Der Krieg frisst sich fest und Deutschland wird helfen müssen, wenn sich Frankreich überhebt. Nur gemeinsam ist Europa eine veritabel abschreckende Macht. Bleibt die Frage: Warum muss immer erst ein Krieg stattgefunden haben, um das zu verstehen?

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Dieser Tage laufen Militäreinsätze üblicherweise in drei Phasen ab. Zunächst herrscht Erleichterung über den Mut, den einer da aufbringt - im Falle Malis der französische Präsident. Selten war die Zustimmung zu einem Einsatz so einhellig. Prompt wurde François Hollande ein wahrer präsidentieller Charakter zugebilligt. Offenbar braucht das Land Helden.

Selbst in Deutschland tut sich das traditionell starke interventionsskeptische Lager schwer mit einer Generalkritik. Das im Norden begangene Unrecht, die klar erkennbare Bedrohung durch Fanatiker, deren Eifer und Hass: All das macht es leicht, zwischen Aggression und Reaktion zu unterscheiden.

Der allemal schwache bis handlungsunfähige Staat Mali in islamistischer Hand? Das ist der Albtraum nicht nur der Nachbarn Malis, sondern der freiheitlichen Welt überhaupt. Der Erfolg der Islamisten würde Nachahmer befeuern, die Sorge vor einem Gottesstaat mit all seiner zerstörerischen Projektionskraft ist weltweit groß. Ganz abgesehen von der humanitären Katastrophe, wenn viele Millionen Unschuldige unter die Knute einer Unrechtsbande gerieten.

Phase zwei beginnt üblicherweise sehr schnell nach dem ersten Einsatztag. In Mali hat es nun eine Woche gedauert, bis die eigentliche Dimension dieser Intervention sichtbar wurde. Erleichterung wird abgelöst von Beklemmung: Das wird kein leichter Krieg werden, und die Gefahren zeichnen sich erst ab. In dieser Phase schlägt das Pendel in die andere Richtung, apokalyptische Szenarien werden umhergereicht: ein Flächenbrand von Libyen bis Mauretanien, eine dschihadistische Erhebung auch in anderen Ländern, der Zusammenbruch der Rohstoffversorgung aus Nordafrika.

In Mali ist heute schon absehbar, dass dieser Krieg auch die dritte Phase erreicht: Der Konflikt frisst sich fest. Das in der UN-Resolution genannte Kriegsziel, die Befreiung Nordmalis aus islamistischer Hand, lässt sich so einfach nicht erreichen. Die Infektionsgefahr, vor allem in Algerien, aber auch im Süden Libyens, ist enorm. Unterschätzt wurden Kampfbereitschaft, Mobilität und die taktischen Fähigkeiten der Islamisten. Unterschätzt werden, wie so häufig, die Größe des Landes und seine ethnische Zerrissenheit.

Besserwisserei ist keine Entscheidung

Eine schnellbewegliche Mini-Armee hat sich da ein Land genommen, weitaus motivierter als ihr malischer Gegner, der seit jeher daran gewöhnt ist, dass er den unruhigen Norden des Landes nicht kontrollieren kann. Aber Vorsicht: eine folkloristische Angelegenheit ist dieser Krieg nicht. Vielmehr wird er von ideologischem und religiösem Feuer genährt, das die eigentliche Quelle des Unfriedens dieser Zeit ist.

Frankreichs Regierung wird über die Gefahren dieser Mission nachgedacht haben. Sie ist mit den malischen Verhältnissen vertraut, sie weiß um die Doppelrolle Algeriens im Umgang mit den Islamisten und hat selbst verfolgt, wie sich in der Folge des libyschen Befreiungskriegs ungewollte neue Kräfte entfesselten und in den Waffenlagern Gaddafis bedienten.

Gerne wird die Liste der Versäumnisse vor einer Intervention als Beweisstück eingeführt, um die Doppelgesichtigkeit einer Kriegsnation zu entlarven. Etwa: Hätte Frankreich den Libyen-Krieg nicht durchgesetzt, gäbe es nun keinen Mali-Konflikt. Oder: Hätte Frankreich oder die EU früher die taumelnde malische Regierung aufgefangen, dann wäre der Norden nicht an die Tuareg und die Islamisten gefallen.

Allein: Politik funktioniert gerade in diesen Regionen nicht nach dem Wenn-dann-Prinzip. Optionen ergeben sich und verfallen wieder, Gefahren wachsen und verpuffen. Auch in Mali wechseln Interessen schneller als das Wetter. Im Rückblick weiß es jeder besser, aber Besserwisserei ersetzt keine Entscheidung.

Frankreich muss jetzt, da es sich zu diesem Krieg entschlossen hat, schwierige Entscheidungen fällen. Dabei helfen die Erfahrungen, die das Land in Westafrika und die Nato in Afghanistan gemacht haben. Die wichtigste nach einer Woche: Wie kann verhindert werden, dass der Konflikt weiter eskaliert? Vermutlich wäre es klug, das Ziel der Intervention zunächst darauf zu begrenzen, die Städte an der Grenze zu Nordmali zurückzuerobern und dort ein Bollwerk gegen die Islamisten aufzubauen.

Den Norden wird Frankreich mit ein paar tausend Mann und ein paar tausend afrikanischen Soldaten nicht zurückerobern können. Afghanistan hat gezeigt, dass man gegen terroristisch agierende Banden auf Mopeds wenig ausrichten kann, wenn nicht Zehntausende Soldaten bereit stehen - und zwar für lange Zeit.

Deutschland muss Frankreich helfen

Die zweite Lehre: Frankreich wird eine Ausweitung des Krieges mit seinen Verbündeten abstimmen müssen - weil es am Ende möglicherweise deren Hilfe benötigt. Auch wenn Hollande die Mission noch als französische Angelegenheit betrachtet, werden die Verbündeten nicht untätig zusehen können, wenn sich das Land überhebt. Daraus erklärt sich auch die Zurückhaltung der Nato, der USA und auch Deutschlands: Einen neuen Einsatz von afghanischer Dimension kann kein Land leisten. Aber es wächst die Furcht, dass eine Hilfe aus Bündnissolidarität nötig werden könnte.

Die USA und Deutschland wären in diesem Moment besonders gefragt. Zwar gilt: Kein europäisches Land außer den Briten leistet derzeit mehr auf den Schauplätzen internationaler Konflikte als Deutschland. Frankreich zieht überstürzt aus Afghanistan ab, im Kosovo stellt Deutschland doppelt so viele Truppen und seit vier Jahren den Kommandeur.

Andererseits nutzt diese Aufrechnerei wenig. Die Feuerwehr wird dort gebraucht, wo es brennt. Die USA ziehen sich aus den arabischen Konflikten zurück, es entsteht ein gefährliches Vakuum. In Europa könnte sich der fatale Eindruck festsetzen, dass Berlin zwar sehr robust seine Interessen bei der Reform der Eurozone durchsetzt und dabei Solidarität mit seinen Vorstellungen von Stabilität einfordert - dass diese Solidarität aber eine einseitige Angelegenheit ist.

Deutschlands bevorzugter Aufenthaltsort in Krisen ist jedenfalls der Windschatten. Dafür gibt es viele gute historische und auch politische Gründe. Der schlechteste Grund aber ist, dass Krisenherde wie Mali das Land nichts angingen. Dieses Argument zeugt von strategischer Kurzsichtigkeit. Besser wäre, man analysierte im Licht der Erfahrungen der letzten Jahre seine Chance. Ein Ergebnis wäre jedenfalls, dass man alleine wenig ausrichten kann gegen den neuen Unfrieden. Gemeinsam hingegen wäre Europa eine veritabel abschreckende Macht - gerade auch in Mali. Fragt sich nur, warum immer erst ein Krieg stattgefunden haben muss, um die Erkenntnis zu gewinnen.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2013/sst
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