Kämpfe in Libyen:Gaddafi-Sohn zeigt sich überraschend in Tripolis

Die heftigen Kämpfe in Libyen dauern an, die Nato bombardiert die Gaddafi-Residenz - und auch die Propagandaschlacht läuft: In der Nacht ist Saif al-Islam, einer der Söhne des bedrängten Machthabers, völlig unerwartet vor einem Hotel in Tripolis aufgetaucht. Die Aufständischen hatten zuvor seine Festnahme gemeldet. Er bestritt, dass die libysche Hauptstadt weitgehend unter Kontrolle der Aufständischen sei. Auch zum Aufenthaltsort seines Vaters äußerte er sich.

Auch mehr als 24 Stunden nach der weitgehenden Einnahme der libyschen Hauptstadt durch die Gegner von Muammar al-Gaddafi ist der Verbleib des bedrängten Machthabers weiter unklar. Dagegen erschien sein Sohn Saif al-Islam Gaddafi in der Nacht zum Dienstag völlig überraschend vor einem Hotel in Tripolis, in dem sich etwa 30 ausländische Journalisten aufhalten, darunter Reporter der Nachrichtenagentur AP.

Saif Al-Islam, son of Muammar Gaddafi, greets supporters in Tripoli

Gaddafi-Sohn auf freiem Fuß: Völlig überraschend erschien Saif al-Islam in der Nacht in Tripolis. Die Rebellen hatten zuvor seine Festnahme gemeldet.

(Foto: Reuters)

Die Aufständischen hatten angegeben, den 39-Jährigen, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht wird, am Sonntagabend gefangen genommen zu haben. Saif al-Islam Gaddafi fuhr in einem gepanzerten Fahrzeug vor dem Hotel Rixos vor, das in einem von Regierungstruppen kontrollierten Gebiet liegt.

Der Sohn von Machthaber Gaddafi lud die Journalisten zu einer Fahrt durch die Stadt in seinem Konvoi ein. Der Konvoi aus gepanzerten Geländewagen fuhr durch Straßen voller bewaffneter Gaddafi-Gefolgsleute und durch das Viertel Bu Slim, das als Hochburg der Regimetreuen gilt. Vor Gaddafis Gebäudekomplex Bab al-Asisija warteten mindestens hundert Männer auf Waffen, die an Freiwillige zur Verteidigung des Regimes verteilt wurden.

Saif al-Islam habe bestritten, dass die Aufständischen den größten Teil der Hauptstadt unter ihre Kontrolle gebracht hätten, berichtete ein Korrespondent der britischen BBC. Es habe sich um eine Falle gehandelt. "Wir haben den Rebellen das Rückgrat gebrochen", habe er während der kurzen Unterhaltung mit den Journalisten gesagt. Auf die Frage, ob sein Vater sich noch in Tripolis befinde und in Sicherheit sei, habe er achselzuckend "selbstverständlich" erwidert.

"Tripolis ist unter unserer Kontrolle", sagte der Gaddafi-Sohn laut CNN. Er habe angekündigt, eine Tour durch die Stadt unternehmen zu wollen, um zu zeigen, dass dies sicher sei. Dem BBC-Bericht zufolge blieb bei dem kurzen Auftritt am Hotel unklar, ob Saif al-Islam Gaddafi aus der Hand der Rebellen freigekommen sei oder sich gar nicht in ihrer Gewalt befunden habe. Wie es weiter hieß, strahlte der regierungstreue Sender al-Urubah in der Nacht jedoch eine kurze Erklärung des Gaddafi-Sohns aus, in der dieser bestritt, gefangen genommen worden zu sein.

Saif al-Islam Gaddafi wird ebenso wie sein Vater und dessen Schwager, Geheimdienstchef Abdulah Senussi, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht. Chefankläger Luis Moreno Ocampo hatte am Montag bereits mit Vertretern des libyschen Übergangsrates über eine mögliche Überstellung des 39-Jährigen nach Den Haag gesprochen.

Heftige Gefechte in Tripolis und Al-Odschailat

Die Kämpfe rund um die Residenz Gaddafis in Tripolis gingen auch in der Nacht weiter. Wie der arabische Nachrichtensender al-Arabija unter Berufung auf Angaben der Rebellen berichtete, griff auch die Nato das Anwesen im Stadtteil Bab al-Asisija an. Es seien schwere Explosionen zu hören gewesen.

Frame grab of Saif Al-Islam, son of Libyan leader Muammar Gaddafi, shaking hands with supporters in Tripoli

Gaddafi-Sohn auf freiem Fuß: Völlig überraschend erschien Saif al-Islam in der Nacht in Tripolis. Die Rebellen hatten zuvor seine Festnahme gemeldet.

(Foto: Reuters)

Bei ihrem Kampf um die Kontrolle von Tripolis haben die Rebellen weitere Verstärkung aus der Hafenstadt Misrata erhalten. Mehrere Schiffe mit etwa 500 Kämpfern und Waffen an Bord hätten die Stadt am Montag erreicht, weitere Aufständische seien über die Küstenstraße in die Hauptstadt vorgedrungen, teilte der Militärrat von Misrata mit. Weitere Kämpfer hätten von Misrata aus ihren Vormarsch auf Sirte, Gaddafis Geburtsort, fortgesetzt.

Etwa 80 Kilometer westlich von Tripolis lieferten sich libysche Rebellen und Gaddafi-Truppen am Dienstagmorgen heftige Gefechte. Nach Angaben der Rebellen konzentrierten sich die Kämpfe auf die Stadt Al-Odschailat (Al Ajaylat). Dort hatte es kürzlich eine Pro-Gaddafi-Demonstration gegeben.

Die libyschen Regierungstruppen feuerten US-Angaben zufolge hingegen am Montagabend erneut eine Scud-Rakete ab. Wo das Geschoss landete und ob es Verletzte gab, war zunächst nicht bekannt. Die Kurzstreckenrakete wurde aus der Nähe von Sirte, der Heimatstadt Gaddafis, abgefeuert, wie aus Militärkreisen in Washington verlautete. Sirte steht noch unter der Kontrolle des Regimes.

"Es ist noch nicht vorbei", sagte US-Präsident Barack Obama am Montag in einer von den großen amerikanischen TV-Sendern ausgestrahlten Audio-Botschaft zur Lage in Libyen. Noch hätten die Rebellen den Machtkampf in Tripolis nicht endgültig gewonnen. "Doch so viel ist klar: Das Gaddafi-Regime ist am Ende und die Zukunft Libyens liegt in der Hand des Volkes", sagte er. Zugleich warnte der US-Präsident vor Vergeltung und Gewalt: "Wahre Gerechtigkeit kommt nicht durch Vergeltungsmaßnahmen und Gewalt. Sie kommt durch Versöhnung und durch ein Libyen, das seinen Bürgern erlaubt, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen."

Wo steckt Gaddafi?

Die Rebellen kontrollieren nach ihrem Einmarsch in der Nacht zum Montag nach eigenen Angaben nun bis zu 95 Prozent der libyschen Hauptstadt. Die Residenz des Diktators auf einem schwer gesicherten Militärgelände in Bab al-Asisija ist aber weiter in der Hand der Regierungstruppen. Ein Bunkersystem unter der Anlage gilt als ein möglicher Aufenthaltsort Gaddafis. Anderen Spekulationen zufolge könnte sich der Diktator in Richtung algerische Grenze oder in seinen Heimatort Sirte abgesetzt haben, der ebenfalls noch von Regierungstruppen kontrolliert wird.

Wie der arabische Nachrichtensender al-Dschasira in der Nacht berichtete, fanden Rebellen zwei Leichen, bei denen es sich um die von Senussis und die von Khamis al-Gaddafi, eines weiteren Sohns des Diktators, handeln könnte. Eine Bestätigung dafür gab es aber nicht. Khamis al-Gaddafi, der eine Eliteeinheit der Truppen seines Vaters im Kampf gegen die Rebellen kommandierte, wurde bereits mehrfach von den Aufständischen für tot erklärt. Das Regime hatte die Angaben jedes Mal zurückgewiesen.

Am Montag war Gaddafis ältestem Sohn Mohamed nach Berichten der Rebellen die Flucht gelungen. Er hatte sich den Angaben zufolge beim Einmarsch der Aufständischen am Sonntagabend ergeben und war unter Hausarrest gestellt worden. Später sei er mit Hilfe von Regierungstruppen entkommen, hieß es.

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