Am 20. November 2012 hat die kongolesische Rebellengruppe M 23 die Stadt Goma übernommen. Eine Million Menschen leben in der Stadt im Osten Kongos, an der Grenze zu Ruanda.
Hunderttausende sind auf der Flucht vor der Rebellengruppe M 23 und vor der kongolesischen Armee. Eine Spirale aus Mord, Vergewaltigung, Zerstörung und Anarchie treibt sie seit fast acht Monaten durch das Land, viele von ihnen fliehen zum zweiten, dritten, vierten Mal. Aber sind es 250.000, 800.000 oder eine Million Flüchtlinge, die seit Beginn des Konflikts ihr Zuhause verlassen mussten?
So genau scheint das keiner zu wissen. Obwohl die UN eine fast 20.000 Mann starke "Peacekeeping" Truppe im Kongo stationiert hat, kann von Frieden keine Rede sein. Zu viele Akteure, zu viele Interessen konkurrieren miteinander. Die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft droht, den Konflikt eskalieren zu lassen. Hintergründe, Akteure und Geschichte: Ein Überblick.
[] Worum geht es in dem Konflikt?
Der "Ostkongo-Konflikt 2012" begann im April mit dem Aufstand der M-23-Rebellen. M 23 steht für den 23. März 2009. An diesem Tag hatten die Rebellen ein Abkommen mit der Regierung geschlossen, das ihnen die Aufnahme in die nationale Armee garantierte. Eine Ankündigung von Präsident Joseph Kabila, ihre Rechte einschränken zu wollen, führte im Frühjar 2012 zum Bruch.
In Kämpfen mit der kongolesischen Armee konnten die M-23-Rebellen immer mehr Städte an der Grenze zu Uganda und Ruanda übernehmen. Im Juli 2012 gelang es ihnen Berichten zufolge, bei Gefechten um die Stadt Bunagana 600 kongolesische Soldaten nach Uganda zu vertreiben. Kurz darauf wurden weitere Städte in der Gegend eingenommen - viele der Einwohner flüchteten in die Stadt Goma.
Im November 2012 wurden die Kämpfe in der Nähe von Goma intensiver, am 20. des Monats übernahmen die Rebellen schließlich die Stadt. Nach Informationen der UN haben M-23-Kämpfer dabei "Zivilisten verletzt, Entführungen von Frauen und Kindern fortgesetzt, Eigentum zerstört und Journalisten sowie Gegner ihres Vormarsches eingeschüchtert".
Die 1400 in Goma stationierten Soldaten der UN hatten die M-23-Kämpfer einfach passieren lassen. In einer Meldung der UN heißt es, es gebe weiterhin Patrouillen der Blauhelmsoldaten.
Der gegenwärtige Konflikt kommt nicht aus dem Nichts. Die Geschichte des Kongos ist geprägt von der Herrschaft verschiedener Kolonialmächte, die Millionen Kongolesen versklavten. Nach der Unabhängigkeit im Juni 1960 folgten zunächst fünf unruhige Jahre unter Ministerpräsident Patrice Lumumba. 1965 putschte sich Diktator Joseph Mobutu an die Macht.
Anfang der neunziger Jahre stürzte der Bürgerkrieg in Ruanda den Kongo in eine tiefe Krise. In dem Nachbarland bekriegten sich die beiden Volksgruppen der Hutu und Tutsi, 1994 gipfelten die Kämpfe im Völkermord der Hutu an Hunderttausenden Tutsi und gemäßigten Hutu. Um den Völkermord zu stoppen, griff die von Tutsi dominierte Exilpartei Ruandische Patriotische Front (RPF) ein und beendete den Bürgerkrieg. Die RPF stellte in der Folge die Regierung, was mehr als zwei Millionen Hutu zur Flucht über die Grenze in den Kongo veranlasste.
Gemeinsam mit dem noch regierenden Diktator Mobutu begannen sie, die Tutsi im Kongo zu bekämpfen. Doch diese wehrten sich erfolgreich, stürzten im Laufe dieses "Ersten Kongokriegs" Mobutu und machten Laurent Kabila zum neuen kongolesischen Präsidenten.
Doch auch Kabila konnte die Hutu nicht vollständig zurückschlagen - weshalb die Tutsi-dominierte Regierung im Nachbarland Ruanda Truppen schickte, um ihn abzulösen. Kabila rief nach Hilfe - und wurde gehört. In den folgenden Jahren bekriegten sich auf dem Boden der Demokratischen Republik Kongo Kämpfer aus dem eigenen Land, aus Simbabwe, Namibia, Angola und Ruanda. Mehr als Fünf Millionen Menschen starben. Erst 2003 wurde der "Zweite Kongokrieg" formal beendet.
2006 gewann der Sohn des 2001 verstorbenen Laurent Kabila, Joseph, die demokratische Wahl, die im Friedensvertrag festgeschrieben war. Seither ging es für weite Teile des Landes bergauf, die Demokratische Republik Kongo konnte sich weitgehend stabilisieren.
Doch im Osten des Landes kam es weiterhin zu Kämpfen ("Kivu-Krieg" oder"Dritter Kongokrieg" genannt). Bis 2008 lieferte sich die kongolesische Regierungsarmee hier Gefechte mit Truppen aus Ruanda und lokalen Milizen, die nicht am Friedensprozess nach dem zweiten Kongokrieg beteiligt wurden. Dann verschoben sich die Fronten - Kongo und Ruanda schlossen sich im Kampf gegen eine Gruppe ruandischer Hutu-Rebellen zusammen. Außerdem erklärten die Tutsi-Milizen 2009 ihrerseits ein Ende der Kämpfe. Ein Friedensabkommen sollte ihre Aufnahme in die kongolesische Regierungsarmee garantieren.
Ruanda spielt schon wegen der historischen Verstrickung der beiden Länder eine wichtige Rolle im aktuellen Kongo-Konflikt. Die Grenze ist durchlässig, immer wieder drangen ruandische Truppen in der Vergangenheit auf kongolesisches Gebiet vor und versuchten, ihren Einfluss zu verfestigen.
Aktuell wird Ruanda vorgeworfen, die M 23 zu unterstützen. Die M 23 besteht größtenteils aus Tutsi-Rebellen, die im Osten des Kongos seit Jahrzehnten gegen die dort lebenden Hutu-Milizen kämpfen. Ruandas Präsident Kagame und ein Großteil seiner Regierung gehört ebenfalls der Volksgruppe der Tutsi an - und er wirft der kongolesischen Tutsi-Regierung Kabilas seit langem vor, zu wenig gegen die Hutu-Milizen zu unternehmen. Gewinnt die Gruppe der M 23 weiter an Einfluss, werden die Hutu zurückgedrängt - für Ruanda ein willkommener Effekt.
Außerdem ist Ruanda interessiert an Rohstoffen wie Diamanten, Gold, Kupfer und Kobalt, die im östlichen Kongo zu finden sind. Auch territoriale Ansprüche spielen eine Rolle - viele Menschen in Ruanda sehen die Gebiete im Osten Kongos als ursprünglich ruandisches Gebiet an.
UN-Beobachter gehen davon aus, dass die Führer der M 23 "direkte militärische Befehle" aus Ruanda empfangen. Außerdem soll das Nachbarland die Rebellen mit Waffen ausgestattet haben. Sowohl der ruandische Präsident Kagame als auch die Rebellen bestreiten die Vorwürfe.
Bei einem Treffen der Präsidenten Kabila und Kagame angesichts der aktuellen Unruhen war auch Ugandas Präsident Yoweri Museveni anwesend - das Land tritt als Vermittler auf, wird aber ebenfalls verdächtigt, die M-23-Rebellen zu unterstützen.
16.996 Soldaten sind im Rahmen der Monusco-Mission (United Nations Organization Stabilization Mission in the DR Congo) im Kongo stationiert, ihre Aufgabe ist die "Stabilisierung" des Landes, eine "Peacekeeping"-Operation.
Die insgesamt 19.000 Monusco-Vertreter im Kongo (neben Soldaten sind auch Beobachter und Polizisten dabei) kommen größtenteils aus Bangladesch, Ägypten, Indien, Nepal, Pakistan und Südafrika. Viele von ihnen seien, so ein Bericht des amerikanischen Fachmagazins Foreign Policy, vor allem dort, um die hohen Zulagen der UN zu beziehen. Sie seien "nicht im Kongo um zu sterben". In einem Expertenbericht heißt es, die Blauhelme hätten nichts getan, um die Gewalt einzudämmen. Auch dem Einmarsch in Goma sahen sie schweigend zu.
Die UN-Truppen sind, mit wechselnder Bezeichnung, seit 1999 im Kongo. Das aktuelle Mandat geht bis zum 30. Juni 2013. Das Budget für ein Jahr beträgt 1,4 Milliarden Dollar, eine der teuersten Peacekeeping-Missionen in der Geschichte der UN.
Anfragen, Telefongespräche, Ächtung der Gewalt - die Reaktion des Westens folgen einem Muster, das bereits aus vielen Konflikten bekannt ist. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte Ruandas Präsident Paul Kagame dazu aufgerufen, seinen Einfluss auf die M 23 geltend zu machen und die Situation zu beruhigen. Kagame besteht jedoch darauf, keine Verbindung zu den Rebellen zu haben. Der französische Außenministers Laurent Fabius, bekräftigte, dass die M 23 Unterstützung aus Ruanda erhalte. Er sei darüber "tief besorgt" und forderte eine Änderung des Monusco-Mandats.
Dennoch erhält Ruanda weiter finanzielle Unterstützung aus dem Westen, nur ein Teil der Entwicklungshilfe wurde außer Kraft gesetzt. Da man Ruanda als Vermittler in der Region braucht, wird dem Land nie direkt vorgeworfen, M 23 zu unterstützen. Nach dem jüngsten Vormarsch der M 23 hat der Sicherheitsrat jedoch eine Resolution erlassen. Sie nennt Ruanda zwar weiterhin nicht, verurteilt jedoch jede Unterstützung der Rebellen von außerhalb - ein Warnzeichen an Ruanda, das allerdings derzeit selbst im Sicherheitsrat sitzt. Zudem prangert sie an, was im Osten Kongos geschieht: Sexualisierte Gewalt, Rekrutierung von Kindersoldaten, Vertreibung, Exekutionen, Willkür.
Wie sich der Konflikt in den kommenden Wochen und Monaten entwickeln wird, ist schwer vorauszusagen. Zu viele ethnische, nationale und wirtschaftliche Konfliktlinien überlagern sich - und jede Partei trägt zumindest eine Teilschuld an der aktuellen Krise. Der Kongo ist durch Kriege und jahrelange Ausbeutung gekennzeichnet. 2011 führte der Human Development Index der Vereinten Nationen das Land auf dem letzten Platz. Durch seine Größe und ethnische Vielfalt gilt die Republik als schwer regierbar.
In den kommenden Wochen sind weitere Gefechte zu erwarten. Wahrscheinlich werden noch weitere Regierungssoldaten zu den Rebellen überlaufen. Dass die M 23 tatsächlich das ganze Land inklusive der Hauptstadt Kinshasa einnimmt, erscheint dagegen unwahrscheinlich: Goma ist 1500 Kilometer von Kinshasa entfernt - und die meuternden und mordenden Rebellen sind im Land eher unpopulär.
Was geschieht, wenn die Rebellen geschlagen werden, ist aber ebenso unklar. Die M 23 wieder in die Armee einzugliedern, könnte schwierig werden. Für das Verhältnis zwischen den Nachbarstaaten dürfte feststehen: Unterstützt Ruanda weiterhin die Rebellen, wird die Beziehung über Jahrzehnte vergiftet - ein dauerhafter Frieden in der Region rückt damit in weite Ferne.