Die neuesten Nachrichten aus Kabul, jeder kennt sie: Selbstmordattentäter sprengt sich in der Innenstadt in die Luft; Bombe explodiert vor Regierungsgebäude. Nur die Zahl der Opfer variiert. 22 Menschen wurden im vergangenen Jahr bei der Attacke auf das Hotel Interkontinental getötet; vier Menschen, als Mitte Januar ein mit Sprengstoff beladenes Auto in einem Wohnviertel in die Luft ging. Die afghanische Hauptstadt gehört inzwischen wieder zu den gefährlichsten und prekärsten Orten der Welt. Mitten hinein erscheint nun ein einzigartiges Dokument irritierender Beständigkeit: der Architekturführer Kabul.
Der kleine Verlag aus Berlin, der ihn herausbringt, hat einige abseitige Orte im Programm. Kirgisistans Hauptstadt Bischkek zum Beispiel oder den Architekturführer Liechtenstein. Aber Kabul? "Die Bauwerke sind ein Mosaikstein bei der Frage, was das Land eigentlich zusammenhält", sagt Jan Dimog. Der Autor hat mehrere Jahre für die internationalen Sicherheitskräfte im zerstörten Kabul gearbeitet. "Wenn da wieder etwas aufgebaut wird, dann macht das die Afghanen nicht nur stolz", sagt Dimog. "Das ist für sie auch ein Identifikationsobjekt." So wie das Kabul City Center. 2005 eröffnete diese erste Shopping Mall Afghanistans, gebaut für 35 Millionen Dollar im Stile der Hochglanzarchitektur arabischer Wüstenstaaten. "Wir können das auch", sei das Signal dieses Gebäudes, sagt Dimog.
Das Buch ist voll solch ambitionierter Projekte der vergangenen Jahrzehnte. Bei einem Besuch in der von Schutzwällen und Wachtürmen geprägten Stadt übersieht man sie leicht. Da sind zum Beispiel die Häuser am Kabulfluss, eine aus den 1920er-Jahren stammende Reihe zweigeschossiger Gebäude. Im alten Stil wurden sie in Rosa, Hellgrün und Orange restauriert. Oder die Skateboardhalle neben dem Ghazi-Stadion, in dem die Taliban bis 2001 Menschen öffentlich hinrichteten. Eine regierungsunabhängige Organisation unterhält hier seit 2009 die erste Schule des Landes für Skateboarder.
Am Stadtrand steht wie ein kariöser Backenzahn der verfallene Darul-Aman-Palast. 1929 von einem Pariser Architekten entworfen, sollte er Afghanistans Aufbruch in die Moderne markieren. Er erinnert an den Reichstag in Berlin, was auch daran liegt, dass den Palast schließlich der deutsche Architekt Walter Harten baute. Kabul wurde auch für Touristen interessant, 1971 kamen mehr Menschen zu Besuch als je zuvor. 190 000 Rucksackreisende, Hippies und Mitarbeiter von Entwicklungshilfeorganisationen tummelten sich in der Stadt. Aus diesen Jahren stammen eine ganze Reihe Hotelbauten. Darunter das im Stile der Sechzigerjahre gebaute Spinzar Hotel, in dem die Hilfsorganisation IOM heute abgeschobene Flüchtlinge unterbringt - auch aus Deutschland. Es ist ein verstörendes Nebeneinander von Tragödien und Hoffnung.
Die Architektin und Mitautorin Zahra Breshna, die in Kabul und Berlin arbeitet, schätzt besonders die "Wedding Halls". Um die 100 dieser verspiegelten Hochzeitssäale sind in den vergangenen Jahren entlang der großen Straßen errichtet worden, für bis zu 1000 Gäste. "Die geben einem in dieser bunkerähnlichen Stadt das Gefühl, dass die Menschen leben", sagt Breshna.